Gerechtigkeit erfordert Aufwand
Datengrundlage für neue Abwassergebühr ist schwer zu bekommen
Autoren: DIERK BÖTTCHER, DANIEL GRUPP | NWZ 24.07.2010
Die gesplittete Abwassergebühr, die die Bodenversiegelung berücksichtigt, beschäftigt die Gemeinderäte. Während sich Süßen für die Berechnungsart entschieden hat, sucht Eislingen noch ein Ingenieurbüro.
Eislingen/Süßen. Wenn ein Grundstück stark versiegelt ist, kann dort nur wenig Wasser versickern, bei Regen fließt das Nass direkt in die Abwasseranlagen. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim muss diese Unterschiedliche Belastung in der Kalkulation der Gebühren berücksichtigt werden. Wer also viel Grün auf dem Grundstück hat, wird tendenziell weniger bezahlen müssen, wer sein Areal zubetoniert, muss tiefer als bisher in die Tasche greifen. Besonders betroffen könnten Einkaufszentren mit riesigen Parkflächen sein.
Eislingen könnte bei diesem Thema vorne dabei sein, denn schon seit Jahren beantragt Holger Haas (Grüne) im Rahmen der Haushaltsberatungen, dass sich Verwaltung und Gemeinderat mit der gesplitteten Abwassergebühr befassen. Da das Ansinnen aber bisher nie weiterverfolgt wurde, ist die Stadt ins Hintertreffen geraten. Jetzt, wenn viele andere Kommunen das Abwasserthema umtreibt, muss die Stadt versuchen, ein Ingenieurbüro zu finden, das die Daten für die 4500 Grundstücke ermittelt. Kosten werden in einer Größenordnung von 100 000 Euro erwartet. Lange warten dürfe die Stadt nicht mehr, betonte Kämmerer Walter Benkelmann im Gemeinderat. Denn schon die Gebührenkalkulation 2010 muss nach der neuen Rechtslage erfolgen. Benkelmann rechnet damit, dass die Gebührenbescheide fürs laufende Jahr frühestens Mitte 2011 vorliegen werden. Der Kämmerer betonte zudem, dass es nicht um eine Gebührenerhöhung, sondern um eine gerechtere Aufteilung gehe.
Während Erich Schwendemann (CDU) in dem Urteil den Amtsschimmel wiehern sieht, der viel Geld kostet, weist Eckehard Wöller (FWV) darauf hin, dass diejenigen mit riesigen Stellplätzen die Kläranlage besonders belasten. Nur die Eile störte ihn. „Es ist nicht einzusehen, dass die Familie im Hochhaus Beiträge für Kosten bezahlt, die wegen großen Parkflächen anfallen“, machte Holger Haas mögliche Vorteile der Neuberechnung deutlich, die den Anreiz gebe, nicht komplett zu versiegeln. Den Umweltgedanken und die höhere Gerechtigkeit hat auch Bürgermeister Klaus Heininger hervorgehoben.
Die Eislinger Verwaltung wird nun ein Ingenieurbüro suchen und es mit der Datenerhebung beauftragen. Da ist die Stadt Süßen schon weiter. Hier hat der Gemeinderat einstimmig beschlossen, die gesplittete Abwassergebühr über eine Berechnung der sogenannten „Gebietsabflussbeiwerte“ in Verbindung mit einem Selbstauskunftsverfahren einzuführen. Das bedeutet, dass das Gemeindegebiet in verschiedene Zonen gleicher Siedlungsdichte und Struktur eingeteilt wird, denen unterschiedliche Werte zugeordnet werden, die angeben, wie groß der Anteil der versiegelten Flächen ist, die an die öffentliche Kanalisation angeschlossen sind. Die entsprechenden Daten, hofft die Verwaltung, könnten bis Ende des Jahres vorliegen. Die Bürger sollen dann über die Auskunftsbögen mögliche Abweichungen anmelden und Änderungen beantragen können. Dieses Verfahren kostet die Stadt etwa bis zu 30 000 Euro und ist damit deutlich billiger als eine Luftbildauswertung (bis zu 100 000 Euro) oder eine Begehung vor Ort (250 000 Euro).
„Es gibt keinen Königsweg“ betonte Kämmerer Dieter Niethammer, denn in jeder Gemeinde finde man andere Voraussetzungen vor. Für Einfamilienhäuser werde die Abwassergebühr künftig in etwa gleich bleiben und bei Wohnanlagen etwas sinken, während sie für Lebensmittelmärkte und Industriekomplexe deutlich steigen werde.
„Die Richter haben eine weise und richtige Entscheidung getroffen.“ Für Udo Rössler (SPD) schafft das System „mehr Gerechtigkeit“. Für Armin Kuhn (Grüne) kam das Urteil „nicht aus heiterem Himmel“, während Michael Keller (FDP/AFW) von einem „enormen Aufwand“ sprach: „Mein Jubelsturm über das Urteil hält sich in Grenzen.“ Jörg Bantleon (CDU) schließlich befürwortete das von der Verwaltung geplante Vorgehen: "Alles andere macht wenig Sinn.“
Die Umwelt zahlt es zurück
KOMMENTAR GESPLITTETE ABWASSERGEBÜHR
Autor: THOMAS HEHN | GZ 24.07.2010
Bisher kostete unsere Kläranlage so viel im Jahr. Mit der gesplitteten Abwassergebühr kostet sie genauso viel. Diese Rechnung, die mancher Kämmerer derzeit gerne seinem Gemeinderat unterbreitet, ist zu einfach.
Sicher bereitet es viel Aufwand, eine bislang nur nach dem Frischwasserverbrauch berechnete Abwassergebühr auf eine Gebühr umzustellen, die aufgeteilt ist nach Schmutzwasser aus Haushalten und Betrieben sowie Regenwasser, das über versiegelte Flächen in den Kanal gelangt. Schon die Erfassung von normalen Dächern und begrünten, von asphaltierten Flächen, Verbundpflaster mit oder ohne vergossene Fugen, Rasengittersteinen, Kies oder Schotter ist eine Herkules-Aufgabe. Ganz abgesehen davon, dass die Einschätzung, wie viel oder wenig Regen auf dem jeweiligen Belag versickert, die stets nach Gerechtigkeit bis aufs i-Tüpfele schreiende deutsche Seele geradezu vor die Schranken Justitias treibt.
Aber selbst wenn man auf den Rathäusern ins Schwitzen kommt und die Kosten der Einführung mit Sicherheit auf die Haushalte umgelegt werden: Die neue Gebühr ist nicht nur gerechter, sondern spart langfristig weit mehr Geld als die Umstellung kostet. So werden nun genau die zur Kasse gebeten, die auch in erster Linie dafür verantwortlich sind, dass unsere Kläranlagen immer häufiger überlaufen. Nicht Klospülung, Dusche oder Waschmaschine sind schuld daran, dass es bei den mit dem Klimawandel verbundenen immer heftigeren Unwettern reihenweise die Kanaldeckel lupft und selbst auf der Alb die Keller unter Wasser stehen. „Das eigentliche Problem ist, dass wir das Regenwasser von der Kläranlage wegbringen müssen“, erläuterte jüngst ein Amstetter Gemeinderat, als Klärwärter einer vom Fach.
So gesehen erscheinen die riesigen asphaltierten Parkplätze vor Einkaufszentren, Firmen und öffentlichen Einrichtungen in einem anderen Licht. Bislang sah man von den Chefetagen noch gelassen auf diese Umweltdiskussion herab. Künftig steigen die Abwassergebühren – und zwar kräftig. Rechnungen von 5000 Euro im Jahr werden den Unternehmern endlich Beine machen, wie man den unbequemen „Kostenfaktor“ möglichst schnell wieder eliminiert. Etwa indem man den Regen auf Parkplätze über Retentionsflächen versickert, statt den Kanal zu überfluten. Dann müssen auch nicht mehr so viele Regenüberlaufbecken gebaut werden. Und die sind weitaus teurer als die paar zehntausend Euro für die Einführung der neuen Abwassergebühr. Die Umwelt wird es zigfach zurückzahlen.