„Jobmotor für die Region“ (Interview)
INTERVIEW JÜRGEN SCHMID
Kreishandwerksmeister sieht in Stuttgart 21 auch ein Konjunkturprogramm
Interviewer: JOA SCHMID | NWZ 22.10.2010
Heute werden die Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 live im Fernsehen übertragen. Kreishandwerksmeister Jürgen Schmid hofft, dass es Schlichter Heiner Geißler gelingt, die Debatte zu versachlichen.
Herr Schmid, was sagen Sie als Kreishandwerksmeister zu den Protesten gegen Stuttgart 21?
JÜRGEN SCHMID: Ich halte die Proteste für völlig daneben. Wenn man hätte protestieren wollen, dann hätte man das zu Beginn der Planungen vor 15 Jahren machen müssen. Jetzt, nachdem das Projekt alle demokratischen Instanzen passiert hat, und auch demokratisch abgesegnet ist, passen die Proteste überhaupt nicht mehr in die Landschaft. Das Projekt kann man gar nicht mehr stoppen. Das Handwerk in der Region Göppingen steht voll hinter Stuttgart 21.
Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten der Schlichtung von Heiner Geißler?
SCHMID: Ich habe hohen Respekt vor der Aufgabe, die Herr Geißler übernommen hat. Ich wünsche ihm viel Erfolg bei der Bewältigung dieser großen Herausforderung. Ich sehe nur nicht ganz, was er denn schlichten soll und kann. Überspitzt formuliert kann man den Bahnhof ja nicht halb oben oder halb unten bauen. Wenn es ihm allerdings gelingt, die Diskussion wieder zu versachlichen, um dann gemeinsam sicher mögliche „Prozessoptimierungen“ zu diskutieren und umzusetzen, dann hätte er für mich schon einen großen Erfolg erzielt.
Hat das Bahnprojekt für den Landkreis Göppingen überhaupt eine Bedeutung?
SCHMID: Ich denke schon, dass das Projekt für den Landkreis Göppingen eine Bedeutung haben wird. Wenn man bedenkt, wie stark maschinenbau- und exportabhängig wir hier in der Region sind – unsere Unternehmen beliefern Kunden in aller Welt – dann wird klar, dass wir extrem schnelle Verkehrsanbindungen brauchen. Wenn man sieht, wie viel Geld in Stuttgart 21 investiert wird, dann ist das mit Sicherheit ein Jobmotor für die ganze Region – und zwar auf Jahre hinaus. Von diesem Jobmotor profitiert auch das Handwerk. Die Konjunkturprogramme laufen jetzt aus. Damit der Aufschwung sich verfestigen kann, brauchen wir Folgeprogramme. Stuttgart 21 ist ein solches Folgeprogramm für die gesamte Region.
Sie glauben, dass die Handwerker im Landkreis von dem Bau der Schnellbahntrasse oder des neuen unterirdischen Bahnhof profitieren?
SCHMID: Ich denke schon, weil das Projekt sich in einer Größenordnung bewegt, wo man einfach auch Firmen braucht, die im Landkreis ansässig sind.
Ist Stuttgart 21 wirklich Voraussetzung für die S-Bahn-Anbindung des Landkreises?
SCHMID: Entsprechende Gutachten gibt es seit Jahren. Darin ist klar manifestiert, dass eine S-Bahn, wenn man wirklich von einer S-Bahn reden möchte, ohne diese Neubaustrecke gar nicht funktionieren kann. Es gab zwar auch Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass man halbherzige Lösungen eventuell auch mit einem dritten Gleis auf der Filstalstrecke realisieren könnte. An den Engstellen beispielsweise in Ebersbach, ist aber ein drittes Gleis entweder gar nicht zu realisieren oder wir provozieren dann die nächste Protestwelle wie in Stuttgart. Wenn wir eine S-Bahn haben wollen, die den Namen auch verdient, dann geht das mit Sicherheit nur in Verbindung mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke.
Was wollen Sie als oberster Vertreter des Handwerks im Landkreis tun, um Ihre Interessen in dem Konflikt deutlich zu machen?
SCHMID: Ich bin Erstunterzeichner bei der Initiative „Für S 21“. Über alle Parteigrenzen hinweg ist es gelungen, mit den Spitzen der Wirtschaft und der Politik zusammen, ein Pro-S21-Bündnis zu gründen und ein gemeinsames Positionspapier zu formulieren. Dahinter steht das Handwerk zu 100 Prozent.
Wie halten es ihre Mitglieder mit dem Milliardenprojekt?
SCHMID: Die Obermeister sämtlicher zugehöriger Innungen stehen voll hinter Stuttgart 21. Bei unserem jüngsten Treffen haben wir unsere Mitglieder aufgefordert, sich auch in der Öffentlichkeit für Stuttgart 21 auszusprechen und sich entsprechend zu engagieren.
Wie schätzen Sie die Stimmung im Landkreis Göppingen ein?
SCHMID: Ich denke, dass sich die Stimmung langsam wieder etwas dreht. Das Problem war, dass diese Protestwelle auf absolut emotionaler Basis gestartet ist. Es gibt Kräfte, die versuchen, diesen Protest auf dieser rein emotionalen Ebene weiter zu führen. Ich denke aber, dass sich der Sachverstand in dem Konflikt immer mehr durchsetzt. Die Zahl der Befürworter ist im Moment schon deutlich höher als die der Gegner. Wahrscheinlich wird sie noch weiter steigen. Wir haben allerdings am Beginn der Proteste die Chance verpasst, uns als Befürworter deutlich zu artikulieren. Wir haben den Protest zu lange unkommentiert laufen lassen.
Welche Auswirkungen hat das Milliardenprojekt Stuttgart 21 auf die Landtagswahl im März nächsten Jahres?
SCHMID: Ich glaube schon, dass das gewisse Auswirkungen haben wird. Ich würde mir allerdings wünschen, dass auch hier die Wahlentscheidungen auf sachlicher Ebene getroffen werden. Schade, dass jetzt von bestimmten politischen Kräften Stimmung gemacht wird. Ich kann eigentlich unsere Bevölkerung nur dazu aufrufen, sich bei populistischen Äußerungen genau zu überlegen, was wirklich dahinter steckt. Von den Versprechungen der Projektgegner wird mit Sicherheit im Nachhinein gar nichts gehalten und das wäre für uns die größte Katastrophe.
zum Gespräch mit Bernhard Lehle im Rahmen dieser Reihe (Langfassung)…
zum Gespräch mit Jörg-Matthias Fritz im Rahmen dieser Reihe…
