22.01.11 Neujahrsempfang

Rede von Jörg-Matthias Fritz am Neujahrsempfang des Kreisverbands vom 22. Januar 2011

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Till, sehr geehrter Herr Bürgermeister Lämmle, liebe Gäste und Grüne, lieber Rezzo,

2010 war das wärmste Jahr seit den Temperaturaufzeichnungen.
Wir haben in diesem Sommer wieder einen Vorgeschmack dessen bekommen, was Klimawandel bedeutet. Vom Menschen verursachte Naturkatastrophen finden nicht nur in Pakistan oder in Nigeria oder aktuell im Osten Australiens statt.
Klimawandel ist nicht morgen oder übermorgen, Klimawandel hat bereits begonnen.
Ob an der Rhone, an der Elbe oder der Oder, an der Moldau oder der Weichsel, fast jedes Jahr erleben in Europa verheerende Überschwemmungen, die schönfärberisch als Jahrhunderthochwasser eingestuft werden.
Nicht alle Ereignisse können wir kausal auf Klimaerwärmung zurückführen, aber die Summe und Häufigkeit lässt uns ahnen, was uns droht, wenn wir nicht schleunigst das Steuer herumreißen.

Mit welchen Rahmenbedingungen wird sich also Politik in den nächsten Jahren beschäftigen müssen?
Mit steigenden Kosten aufgrund der Klimaschäden und mit schwindenden Ressourcen.

An drei Bereichen möchte ich das illustrieren:

1) Energieversorgung

Wenn man den Experten vertrauen kann, sind wir am "peak-oil" angelangt, an dem Punkt also, wo nicht mehr Öl gefördert werden kann als 85 Millionen Barrel pro Tag.. Alles was wir an Öl noch fördern, wird mit höheren Kosten verbundenen sein oder mit minderer Qualität.
Die Folgen sind klar: Die Energiepreise werden steigen.
Bei anderen Rohstoffen, seltenen Metallen und Erden haben wir eine gleichlaufende Entwicklung.

Welche Schlüsse ziehen wir daraus?
Wir müssen schleunigst umsteuern hin zu Erzeugung regenerativer Energien. Und zwar aus purer ökonomischer Notwendigkeit.
Dazu ein Beispiel aus der Landespolitik:
Die Landesregierung hat am heftigsten eine Verlängerung der Laufzeiten für alte AKWs propagiert. Das bedeutet nicht nur mehr Atommüll – Gefahren für zigtausende von Jahren, die wir unseren Nachkommen hinterlassen, ich will das gar nicht ausführen: Asse spricht Bände.

Nein, das bedeutet auch, dass Altindustrien am Leben gehalten werden, wo doch die Kraft dieses Landes, seine Dynamik im Mittelstand liegt.
Dort werden Komponenten für regenerative Energien hergestellt, dort werden Anlagen in der Zukunftsindustrie des 21. Jahrhunderts entwickelt.
Wer für die Zukunft Wohlstand sichern will, muss die ökologische Modernisierung des Industriestandorts vorantreiben.
Im ersten Halbjahr 2010 errichtete man in Rheinland-Pfalz 29 Windenergieanlagen auf jetzt 1051, in der gleichen Zeit wurden in Baden-Württemberg gerade einmal 3 Anlagen errichtet, die Gesamtzahl bleibt mit 363 weit hinter dem Nachbarland zurück bei gleichen geografischen Verhältnissen , aber rund der doppelten Fläche.
7 Prozent des Strom produziert Rheinland-Pfalz – Baden-Württemberg gerade einmal 0,8 Prozent.
Das hat etwas mit den unterschiedlichen Landesplanungsgesetzen zu tun.

Heute sind bereits rund 110 Unternehmen aus dem Land – in der Regel als Zulieferer von hochwertigen Komponenten und Bauteilen – direkt in der Windenergiebranche tätig. Im Jahr 2008 wurde von den beteiligten Firmen im Windenergiesektor ein Umsatz von rund 580 Millionen € erwirtschaftet.
Und keine Branche ist dynamischer als die Windkraft.
Im letzten Jahr erwirtschaftete allein die Firma Liebherr (wir kennen sie von den Kühlschränken) – alle Komponenten und Dienstleistungen eingerechnet – bereits rund eine viertel Milliarde Umsatz mit Windkraftanlagen.

Ein Beispiel aus unserer Stadt.
Schuler-Pressen ist eingestiegen ins Windkraftgeschäft und ist der erste Komplettanbieter in Baden-Württemberg. Mit Müh und Not, so klagt die Unternehmensleitung, wurde ein Standort für den Prototyp in Stötten genehmigt. Sechs weitere Anlagen einer Nullserie sollen in diesem Jahr produziert werden. Doch für diese sechs Anlagen erhält Schuler trotz intensiven Bemühens beim Wirtschaftsministerium keine Standorte genehmigt.
Was hat das bitte mit Modernisierung zu tun?

Klimaschutz und Arbeitsplätze sind kein Gegensatz, sondern im Gegenteil:
Mit dem Kampf gegen den Klimawandel eröffnen wir ganz neue Optionen und Jobs für unsere jungen Leute.
Diese größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts zu bestehen, dafür kann Baden-Württemberg mit seiner mittelständischen Industrie die Blaupausen liefern. Wir sollten der Motor sein für ressourcen- und energiesparendes Produzieren und auch für die ganzen Dienstleistungen, die man dafür braucht.
Das ist die Chance unserer Exportindustrie.

Oder wie es Fritz Kuhn, stellvert. Fraktionsvors. der Grünen im Bundestag, ausdrückt: "Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben."
Gestatten Sie mir die Bemerkung: Fritz Kuhn wäre sicherlich kein schlechter Wirtschaftminister für Ba-Wü.

2) Bereich Bildung

Immer weniger Kinder heißt schwindende Ressource an klugen Köpfen.
Bildungsgerechtigkeit ist nicht soziale Wohltat, sondern ökonomisches Gebot.
Denn woher sollen die klugen Köpfe, die findigen Menschen kommen, wenn nicht von denen, die heute unsere Schulen und Kindergärten besuchen?
Im Bildungswesen lässt der Wandel unserer Gesellschaft am deutlichsten ablesen: Immer mehr Kinder und Jugendliche kommen aus Zuwandererfamilien:
Bei den unter 15-jährigen ist es jede/r fünfte Schüler/in
bei den 4.Klässler jedes vierte,
bei den unter 5 Jahren jedes dritte Kind.

Die Chancen unserer Kinder dürfen nicht davon abhängen, ob die Eltern fähig sind, Nachhilfe zu geben oder zu bezahlen, ob sie dem Kind viel vorlesen. Wir brauchen eine individuelle Förderung eines jeden Kindes in der Schule.
Wie erreicht man das?
Indem man diejenigen, die eine gute Schule machen wollen, die Ideen haben, engagierte Rektoren, eifrige Lehrer, rührige Bürgermeister, indem man ihnen den Freiraum lässt, ihre Ideen umzusetzen und sie nicht abwürgt per order de mufti wie die berühmten hundert Rebellen aus Oberschwaben, die aufs Regierungspräsidium einbestellt wurden und einen Anschiss verpasst bekamen.
Oder knebelt nicht Gemeinden, die ihre Schule an drei Standorten unterhalten wollen und geht nicht auch noch in Berufung.

Wir müssen Kreativität zulassen und fördern und nicht knebeln. Das ist der Weg für das Ziel: Jedes Kind nach seinen Fähigkeit und seinem Engagement zu fördern.
Lasst tausend Blumen blühen anstatt mit dem Rasenmäher über alles hinwegzufegen, das nicht ins Konzept des dreigliedrigen Einheitsbreis passt.

3) Bereich Finanzen

„Wachstum, Wachstum um jeden Preis“, sagt Meinhard Miegel, Vorstand des konservativen „Denkwerks“-Zukunft und fügt hinzu: „Wir verhalten uns wie Drogensüchtige. Und“, ich zitiere weiter, „da echtes, solides Wachstum vielen nicht reichte, wurden riesige Schaumberge geschlagen. Jetzt wird mit enormen Steuermitteln der nächste Schaumberg geschlagen. Was da getrieben wird, ist doch nicht normal. Wir sollten uns als Gesellschaft … eingestehen: Wir haben uns übernommen. … Wir sind Opfer einer Ideologie immerwährender wirtschaftlicher Wachstums-möglichkeiten.“

Wir werden zukünftig mit schwindenden Einnahmen in den öffentlichen Haushalten rechen müssen. Denn wie soll gleiche Wertschöpfung generiert werden, mit immer weniger Menschen, die arbeiten, und immer mehr, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden?
Wir werden uns Gedanken machen müssen, wie unsere Gesellschaft Wohlstand erhalten kann, nicht mit "Schlicht immer mehr vom Gleichen", sondern mit mehr Effektivität.
Und dazu gehört auch der sorgsame Umgang mit den öffentlichen Haushalten. Nach der Schuldenbremse im Grundgesetz darf das Land ab 2020 keine Schulden mehr aufnehmen, der Bund ab 2016 nur noch ein Zehntel dessen, wie wir uns jetzt verschulden – und das ist richtig so. Denn der Schuldendienst schnürt uns die Luft ab. Schlechte Beispiele haben wir zurzeit in Europa genug.

Das heißt aber auch, wir müssen sehen, wie wir bei dieser Ressourcenlage, so investieren, dass wir die richtigen Effekte erzielen und nicht einfach nur das Geld vergraben.
Und wenn eine Bahnstrecke nicht wirtschaftlich ist, weil der Güterverkehr die Steigung nicht schafft, wenn ein neuer Bahnhof nicht leistungsfähiger ist als der alte, dann sollten wir uns besinnen und die knappen Mittel dort einsetzen, wo sie dringender benötigt werden und mehr Effizienz erwirtschaften. Dann ist sehr wohl zu fragen, ergibt das einen Sinn?

Den Zustand unserer Straßen, ob Bund, Land oder hier in unserer Stadt, um eine aktuelle Debatte aufzugreifen, mag man bemängeln. Aber da darf dann auch – bei allem Verständnis für lärmgeplagte Anwohner – die Frage erlaubt sein, wie wir den Unterhalt immer neuer Straßen finanzieren wollen, wenn das bestehende Netz schon unsere Mittel überfordert?

Und wenn ich mir die kommunalen Finanzen anschaue, dann wird man schwummrig.
Unsere Stadt Göppingen nimmt nach der mittelfristigen Finanzplanung in den nächsten vier Jahren 10 Mio. neue Schulden auf. Gleichzeitig wird die verbliebene Rücklage von knapp 30 Mio. (von ehemals knapp 40 Millionen) aufgebraucht. Summa summarum: 40 Millionen Unterdeckung des Haushaltes in den nächsten vier Jahren.
Steigende Soziallasten, wachsende Aufgaben in der Kinderbetreuung und Bildung u.a. aber nicht die nötigen Mittel von Bund und Land.
Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Mittel, wir dürfen die Kommunen nicht ausbluten lassen, sie sind der größte öffentliche Investor.
Die Kommune ist die Keimzelle des demokratischen Gemeinwesens, das Herz der Gesellschaft, in ihr findet das Leben statt. Die Kommunen sind gefordert ihre Gebäude zu sanieren, um Energie zu sparen, (im Übrigen das Konjunkturprogramm fürs Handwerk), sie sind gefordert, die Bildung für alle und jeden zu garantieren, sie müssen den Großteil der zukünftigen Lasten tragen und dazu müssen wir sie auch in die Lage versetzen.

Die Landtagswahl im März wirft weite Schatten voraus.
Und mancher reibt sich die Augen ob der Umfragen.
Wie kommen Die Grünen auf Werte von 25, 26, gar 29 Prozent im Ländle?
Die Erklärung ist so simpel wie klar:
"Nicht nur der Gedanke muss zur Wirklichkeit vordringen, auch die Wirklichkeit zum Gedanken."
Die Bürgerinnen und Bürger haben verstanden: Die Grünen wollen nicht das Unterste nach oben kehren oder umgekehrt. Die Grünen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Die Grünen stellen nicht nur die richtigen Fragen, Die Grünen haben auch Konzepte entwickelt für die neuen Herausforderungen und jetzt ist die Zeit sie umzusetzen.

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