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Noch lange nicht am Ende

Göppinger Aktionsgruppe gegen Stuttgart 21 hofft auf die Wende

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 07.03.2011

Sie geben den Kampf noch nicht verloren. Die Göppinger Aktivisten gegen Stuttgart 21 klammern sich an neue Hoffnungen. „Das Ding ist noch nicht lange nicht in trockenen Tüchern“, sagen sie.

Göppingen. Sie wissen, dass die Bevölkerung mehrheitlich Stuttgart 21 will. Aber das lähmt sie nicht. Noch immer ruft die Aktionsgruppe Göppingen, im Kern 15 bis 10 Leute, zum Kampf gegen das Milliardenprojekt auf. verteilt Infomaterial, will aufklären. Auch nach zig Fernsehstunden Schlichtung, in der Stuttgart 21 rauf und runtergespult wurde. Macht das noch Sinn?

„Bei der Schlichtung sind nicht alle Fakten auf den Tisch gekommen“, sagt Reinhold Woditsch aus Salach. Vor allem nicht geologische Gutachten, die in Frankfurt unter Verschluss lägen. Und der Stresstest von Stuttgart 21 sei noch nicht gelaufen.

Gunild Carle zückt maliziös eine Broschüre der Befürworter die „21 gute Gründe für Stuttgart 21“ verspricht. Eine entlarvende Propaganda, findet sie. Da werde Göppingen gar nicht erwähnt, obwohl behauptet werde, dass Göppingen von Stuttgart 21 profitiere. Stimme ja auch nicht. Göppingen verliere den schnellen Regionalbahnverkehr, und ob die S-Bahn komme, sei letztlich eine finanzielle Frage, die vom Kreistag abhänge. Für die ganzen Kreisgemeinden südlich der Bahnlinie gebe es ohnehin keine Verbesserung, dafür die Belastung durch die ICE-Trasse.

Aufklären – ja das gelinge weiterhin, sagt Carle. An diesem Samstag auf dem Marktplatz, dem landesweiten Aktionstag gegen Stuttgart 21, sei das Interesse von Bürgern spürbar. Eine neue Hoffnung gibt es auch: das Bürgerbegehren gegen eine Mischfinanzierung von Stuttgart 21. Davon versprechen sich die Aktivisten eine durchschlagende Rechtsfrage, die bald vor Gericht kommen soll. Und wenn daraus nichts wird und auch aus der Landtagswahl nicht – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Walter Sittler, die Galionsfigur der Stuttgart 21-Gegner, hat schon die Losung ausgegeben: So wie Kalkar und Wackersdorf mitten im Bau gestoppt worden seien, werde auch Stuttgart 21 noch scheitern.

Es ist Überzeugung und Empörung, was die Aktivisten antreibt. Woditsch ist durch den „Schwarzen Donnerstag“, den Tag der Wasserwerfer und Verletzten, zur Protestwelle gestoßen. Seitdem ist er „bei jeder Demo in Stuttgart“ und hat sich den Parkschützern angeschlossen. Nicht als einer, der auf die Platanen im Schlossgarten klettert, sondern bei der Info-Fußtruppe. „Da gibt es verschiedene Aktionskreise“, stellt er klar.

Gunild Carle aus Aichelberg ist seit Sommer/Herbst dabei, als der Protest losging. Weil sie nie verstanden hat, warum man den „bestfunktionierenden Kopfbahnhof von Deutschland“ aufgeben soll. Und das ganze Drumherum mit Kosten und etcetera auch nicht. Den Befürwortern von Stuttgarter 21 hält sie mindestens 21 gute Gründe entgegen, warum das Unsinn sei. „Wenn 100 000 Menschen gegen Stuttgart 21 demonstriert haben, gibt es sogar 100 000 Gründe“, sagt sie.

Birgit van Straelen hat schon in den 90er-Jahren an einer Unterschriftenaktion gegen das Bahnprojekt teilgenommen. Damals war sie Stuttgarterin, heute wohnt sie in Aichelberg. Geldverschwendung und Landschaftszerstörung auf der Voralb, den denkmalgeschützten Bahnhof stutzen – das sind ihre Gründe. und sie mag sich nicht vorstellen, wie Stuttgart über viele Jahre zur Baustelle wird. „Da kommst du nicht mehr durch.“ Für sie wichtig, weil sie noch in Stuttgart arbeitet. Und in Aichelberg bekommt sie ja auch eine Baustelle vor der Haustür. Als Musikerin engagiert sie sich von Fall zu Fall für den Protest und trommelt dann buchstäblich gegen Stuttgart 21 – wie an diesem Aktionstag.

Rockmusiker Werner Dannemann schließt sich da mit Leidenschaft an. Auch er ist schon 15 Jahre Gegner des Projekts, das ihn mit der Neubautrasse in Kirchheim auch tangiert. „Ich hab da immer voll dagegen gehalten“, sagt er, „die Bahn hat unsere kritischen Fragen übergangen.“ Dannemann hat schon mehrfach gegen Suttgart 21 gerockt – jetzt erstmals in Göppingen.

Aktivist und Chronist: Raimund Wimmer zurück bei der Apo

Raimund Wimmer ist nicht nur Aktivist gegen Stuttgart 21, sondern auch Chronist. Als Bildjournalist dokumentiert er die Auseinandersetzungen in Stuttgart: Mit Foto, Filmkamera und Hochbildstativ ist er bei jeder Demo dabei. Auch am „Schwarzen Donnerstag“. Da hat das ZDF sogar einen Filmschnipsel von ihm gezeigt, der eine Wasserwerfer-Szene festhielt.

Der Göppinger war auch Zeitzeuge der Schlichtung, als einer der akkreditierten Journalisten im Saal. „Da konnte man sehen, wenn Unruhe bei der Bahnseite aufkam. Was die Fernsehkameras nicht zeigten“, erzählt er.

Wimmer saß schon für die Grünen im Kreistag, hat dann aber sein Parteibuch aus Protest gegen den Nato-Einsatz im Kosovo zurückgegeben. Jetzt ist er wieder ein reiner Apo-Aktivist, ein Mann der außerparlamentarischen Opposition auf der Straße, und fühlt sich in dieser Rolle wohl.

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