Offener Brief an Danyal Bayaz zu Deiner Forderung zur Erhöhung des Renteneintrittsalters

Sehr geehrter Herr Finanzminister,
lieber Danyal Bayaz,

du hast vor wenigen Tagen die Einschätzung abgegeben, die Rente mit 67 sei „nicht zu halten“ und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters unvermeidbar.

Dem widersprechen wir als gewerkschaftlich organisierte Grüne entschieden! Weder wird die Behauptung, nicht alle seien Dachdecker, der Lebens- und Arbeitssituation von Beschäftigten im Land gerecht, noch ist die Anhebung des Renteneintrittsalters die Ultima Ratio der Finanzierung der gesetzlichen Rente.

Längst nicht nur auf Baustellen wird körperlich hart gearbeitet – das trifft auch auf Krankenhäuser, Kitas, Fabrikhallen, den Handel und viele andere Branchen und Berufsgruppen zu. Neben körperlichen sind es insbesondere psychische Belastungen, Stress, Druck und Leistungsverdichtung, die Menschen erschöpfen und verhindern, dass sie das heutige Renteneintrittsalter erreichen. Dies wird sich allem Anschein nach auch in der zukünftigen Arbeitswelt nicht ändern. Als Grüne, die nahe bei den Menschen sind und Mitverantwortung für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen haben, sollten wir nicht so tun, als sei die zukünftige Arbeitswelt so schön und unbeschwert, dass „Arbeiten bis 70“ kein Problem sei. Als grüne Gewerkschafter*innen erleben wir täglich das Gegenteil: gerade auch in transformationsbetroffenen Unternehmen und Branchen müssen Beschäftigtenrechte und gute, gesunde Arbeitsbedingungen immer wieder gegen Angriffe (Union-Busting und Betriebsratsmobbing) verteidigt werden.

Im Übrigen läuft eine Debatte um die Erhöhung des Renteneintrittsalters unseren Forderungen nach selbstbestimmten Arbeitszeiten, die zum Leben passen, völlig zuwider.

Wenn unser gemeinsames Ziel ist, dass Beschäftigte gut und gesund arbeiten können bis zum regulären Renteneintritt, dann hat die Landesregierung in Baden-Württemberg einige gute Instrumente dafür in der Hand: die Stärkung von Tarifbindung und Mitbestimmung bei öffentlichen Auftragsvergaben, Förderungen und Investitionen, konsequentes juristisches Verfolgen von Betriebsrats-Mobbing und die Stärkung von Gewerbeaufsicht und Arbeitsschutz. Wir begrüßen es sehr, wenn ihr als größerer Koalitionspartner diese Themen in der Landesregierung noch stärker vorantreibt.

Auch bei der Stabilisierung der Finanzierung der gesetzlichen Rente sehen wir andere Stellschrauben, an denen es sich zu drehen lohnt: Zunächst könnte die Einbeziehung von mehr Einkommensarten (z.B. Selbstständige, Abgeordnete – Stichwort Bürgerversicherung) und dem Einkommen ab dem ersten Euro (Zurückdrängen der Minijobs) ebenso zu einer Entlastung führen wie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Eine Verbesserung der Erwerbsbeteiligung von Frauen würde deren Beiträge erhöhen und gleichzeitig die Gefahr von Altersarmut reduzieren. Auch eine moderate Anhebung der Beitragssätze könnte ggf. helfen, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Alles in allem sehen wir keine ökonomische Notwendigkeit zur Erhöhung des Renteneintrittsalters – wohl aber einen politischen Schaden, wenn in der aktuellen Situation, die für viele Menschen mit Verunsicherungen einhergeht, nicht Sicherheit, sondern weitere Zumutungen in Aussicht gestellt werden. Es gibt viele Beschäftigte, die belastet, gestresst und erschöpft sind. Es gibt viel zu viele Menschen, die aufgrund von psychischen Erkrankungen in die Frührente gehen müssen. Ihnen müssen wir Grünen zeigen, dass wir ihre Situation kennen und ernst nehmen und durch eine Politik der Guten Arbeit zum Guten Leben beitragen.

Mit freundlichen Grüßen

Siegfried Heim
Gabriele Frenzer-Wolf
Julia Friedrich
Beate Müller-Gemmeke MdB                                
Martin Gürtler
Patrick Graf                                    
Uta van Hoffs
Klaus van Hoffs
Sarah Heim                                     
Klaus-Peter Spohn-Logé
Thomas Bleile           
Verena Anlauf
Matthias Dreikluft                        
Frank Feldmann
Rolf Gramm Özgül                        
Altunkaş-Raichle