Kreistagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen zum Haushalt 2024


17. Oktober 2023
Dorothee Kraus-Prause und Hans Zeeb

Sehr geehrter Herr Landrat,
meine sehr geehrten Damen und Herren von der Kreisverwaltung, der Alb Fils Klinik und Schulleitungen unserer Kreisschulen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem 16. Kreistag, meine sehr geehrten Damen und Herren

Haben wir im letzten Jahr auf die erschreckende und schreckliche Situation durch den Angriffskrieg auf die Ukraine hingewiesen, mit seinen Auswirkungen auf die ganze Welt, auf Baden-Württemberg und bis hinein in die Kommunen, so haben die multiplen globalen Krisen im vergangenen Jahr noch weiter zugenommen. Die Fol-gen der Klimakrise mit Waldbränden, Starkregen und Überschwemmungen erleben wir vor der Haustür und seit wenigen Wochen tobt ein Krieg um Gaza, dessen Di-mensionen und Folgen noch vollkommen offen sind.

Niemals hätten wir gedacht, dass sich ein Krieg in Europa über Jahre hinziehen wird und die Weltlage durch den Konflikt im Nahen Osten aus dem Ruder zu laufen droht.
Sind wir angesichts der Diskussionen von „Kriegsbereitschaft“ und„Kriegstauglichkeit“ inzwischen auch in unserem Land und im humanistisch ge-prägten Europa so weit, dass die 200 Jahre alte Theorie von Carl von Clausewitz wieder als reale Möglichkeit diskutiert werden kann? — „Krieg ist Politik mit anderen Mitteln“? Deshalb sind alle diplomatischen, finanziellen und materiellen Bemühungen umso wichtiger, die den Frieden näherbringen und den Betroffenen ein Leben in Freiheit und Frieden ermöglichen.

Eine Folge dieser Krisen ist die zunehmende Migration, da Menschen in ihren Her-kunftsländern nicht mehr sicher leben können oder ihre Lebensgrundlagen durch Klimakatastrophen zerstört sind.
Der Kreis und die Kommunen bemühen sich um eine menschenwürdige Integration und kommen doch an ihre Grenzen, wenn Personal und Unterkünfte fehlen. Ver-schiedenste Migrationsgipfel versuchen strukturelle und finanzielle Klarheit zu schaf-fen.

Da die beschriebenen Ausgangsbedingungen sich nicht schnell ändern werden, wer-den weiter Menschen zu uns kommen, die auf Asyl angewiesen sind. Wir hoffen des-halb, dass es gelingt qualifizierte Mitarbeitende in diesem Bereich zu gewinnen und dass sich alle Bemühungen, gesicherte Arbeitsverhältnisse und Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete zu schaffen, schnell umsetzen lassen.
Ich komme noch darauf zurück.

Auch erleben wir zunehmende Ungleichheit in unserer Gesellschaft, die Schere wei-tet sich, Armut nimmt zu und erreicht die Mittelschicht. Unsere soziale Infrastruktur erfährt weitere Belastungen, auch durch die Zunahme Älterer und pflegebedürftiger Menschen, und eigentlich wären stabile Strukturen umso wichtiger im Angesicht der multiplen Krisen.
Große Teile der Bevölkerung fühlen sich in dieser gesamtgesellschaftlichen Situation erschöpft und ohne Perspektive und sehnen sich nach einfachen Antworten.

Diese bekommen sie von demokratisch gewählten, aber deshalb nicht demokrati-schen, in Teilen sogar rechtsextremen Parteien. Diese versuchen die Gesellschaft zu spalten und davon zu profitieren. Da wird die Klimakrise schlicht geleugnet oder die Aggressoren in der Ukraine und im Nahen Osten verharmlost.
Lassen Sie uns in dieser Situation gemeinsam für unsere Demokratie eintreten
und unsere freiheitliche demokratische Grundordnung verteidigen. Damit können wir nicht früh genug anfangen und Programme, wie „Demokratie leben“ müssen ihren festen Platz bei der Bildungsregion und im Kreisjugendring haben. Auf die angekün-digte Evaluation freuen wir uns. Wir werden die vielfältigen Herausforderungen nur meistern, wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und stärken und unsere demokratischen Errungenschaften pflegen.

Sehr geehrter Herr Landrat,
Sie haben in der Einbringung am 13. Oktober auf die letzten 5 Jahre Bezug genom-men und es ist eine ganze Menge, was wir gemeinsam erreicht haben, aber es ist angesichts des Gesagten auch deutlich, welche Aufgaben noch vor uns stehen.
Ich sehe, wie in der letzten Dekade gesellschaftliche Veränderungen immer mehr zur Bildung von sogenannten „Blasen“ und Gruppen geführt haben und die Ge-sprächsbereitschaft zur Findung von Kompromissen schwindet. Spaltung und die Verweigerung eines offenen Diskurses ist die Folge.
Das müssen wir durchbrechen und ändern!

Meine sehr geehrten Damen und Herrn,
dieser Haushaltsplan – erneut mit Sorgfalt und Übersichtlichkeit erstellt, dafür Herrn Stolz, Herrn Haas und allen Ämtern herzlichen Dank! – er greift die vielen konkreten Herausforderungen auf und hinterlegt sie mit Zahlen.
Der Landkreishaushalt 2024 ist aus unserer Sicht durchaus als sehr bemerkenswert zu benennen. Oder muss man sagen, dass er langsam, aber sicher zu einem Haus-halt der Superlative wird, wenn man bedenkt, dass sich sein Volumen in der letzten Dekade verdoppelt hat und wir im Plan im Ergebnishaushalt bis 2024/25 tatsächlich auf die halbe Milliarde zusteuern?
Aber – es gibt durchaus auch Hoffnung, z. B. ist die Steuerkraftsumme im LK GP für 2024 mit 1.753 € höher als die Durchschnittswerte aller BW-Landkreise von 2023. Und der Wert wächst schneller als im Durchschnitt. Damit ist der Gesamtwert für 2024 auch über eine halbe Milliarde im Landkreis.
Was wäre das auch sonst für eine Finanzpolitik, wenn sie solche Perspektiven nicht aufzeigen könnte.
Was uns Sorgen macht, ist die Personalentwicklung in den unterschiedlichen Berei-chen und die nicht besetzbaren Stellen. Mehr als 12% nicht besetzte Stellen bei stetig wachsenden Aufgaben muss bei den Mitarbeitenden zu Überlastung führen und auch zu Frust. Je nach Arbeitsbereich ist dieser Frust auch bei den Bürgerinnen und Bürgern spürbar, etwa bei der Zulassungsstelle.
Große Hoffnung wird mit der Digitalisierung oder auch KI verbunden, ob sie
die erhoffte Abhilfe schaffen, wird sich weisen.

Meine sehr geehrten Damen und Herrn,
Lassen Sie uns einzelne Themen beleuchten.
Ich will vorausschicken, dass sich unsere Fraktion im Lichte des Gesagten, aber auch wegen der derzeitigen Fülle der Aufgaben in den verschiedenen Bereichen und der angespannten Personalsituation mit Anträgen sehr zurückhält.

Gesundheitswesen im Landkreis

Alles, was wir als Landkreis – und das gilt auch für uns als Grüne Fraktion – in den vergangenen Jahren angegangen haben, haben wir mit Blick auf den ganzen Land-kreis getan. Deshalb freuen wir uns sehr, dass wir im nächsten Jahr unsere moderne leistungsfähige Klinik einweihen können.
Die bundespolitischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen und der eklatante Fachkräftemangel lassen, wenn überhaupt, nur einen engen Entscheidungsspielraum hier auf Kreisebene. Die Gesundheitslandschaft und das, was der Bund und die Län-der weiter entwickeln wollen ist ebenso der Beschleunigung unterworfen wie die gesamte Gesellschaftsentwicklung.
Und ich sage gern, wie bei der Öffnung des Ärztehauses von Professor Bommer formuliert: „Der Paradigmenwechsel der Gesundheitsversorgung“ ist im Landkreis gold-richtig angegangen worden und wir sind sehr gut für die Zukunft im gesamten Landkreis aufgestellt!

Was das Helfensteiner Gesundheitszentrum angeht, liegt noch ein großes Stück Arbeit vor uns, auch um z. B. neuen Akteure zu gewinnen, die wir brauchen. Wir werden weiter große Steine aus dem Weg räumen müssen und nicht alle wünschens-werten Vorstellungen werden durchzusetzen sein.
Auch hier gilt: keine Gruppen gegeneinander ausspielen und Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten zeigen, um zu machbaren Kompromissen zu kommen. Vor allem danken wir allen Pflegerinnen, Ärzten und Beschäftigen der Alb -Fils Klinken für ihren Einsatz, inzwischen oft weit über das Machbare hinaus!
Auch persönlich konnte ich mich in diesem Jahr davon überzeugen und war glücklich über die verlässliche Arbeit, die alle bei sehr schwierigen äußeren Bedingungen in Göppingen und Geislingen erbringen, und die, wie ich hoffe, in Zukunft noch stärker gewürdigt wird.

Müllentsorgung und Rekommunalisierung

Das neue Müllkonzept hat seine Bewährungsprobe bestanden: Unsere Müllmengen sinken und in der Gebührentabelle belegen wir nicht mehr den letzten Platz in Ba-den-Württemberg. Ein großer Erfolg ist die 60l Tonne, eine alte grüne Forderung, die lange für unmöglich gehalten wurde.
Beim Bio-Müll brauchen wir noch weitere Überlegungen. Die Idee den Biobeutel in eine Tonne zu stopfen, halten wir noch nicht für ausgereift und wiederholen deshalb unseren Antrag aus der UVA-Sitzung eine solche Tonne abzuwägen mit einer her-kömmlichen Biotonne.
Angesichts geltender Verträge, die wir auch anders gewünscht hätten, werden die Kosten – Stichwort „bring or pay“- noch für 2 Jahre steigen. Dazu kommen, wie in anderen Bereichen auch, die allgemeinen Kostensteigerungen im Blick auf Trans-port, Personal und Energie.
Eine Rekommunalisierung bis 2026 ist in den vergangenen Monaten im Blick auf ihre organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen von der Verwaltung geprüft worden – auch eine Gruppe unserer Fraktion war im kommunalen
Müllheizkraftwerk in Ulm. Wir werden im Dezember darüber öffentlich im UVA disku-tieren. Wir sehen – so viel kann man sagen – im Augenblick für eine Kündigung 2024 keine realistische Grundlage. Was wir aber wissen ist, dass wir uns im Interes-se der Sicherung der Fernwärme sehr schnell mit möglichen Verwertungskonzepten für unseren Müll – auch nach 2030 / 2035 – beschäftigen müssen. In diesem Bereich braucht es langfristige Perspektiven für alle Beteiligten. Kann, bzw. muss die Müll-verbrennung ergänzt werden durch Biogas, Vergärung oder Geothermie an diesem oder anderen Standorten? Können wir dafür weitere Partner gewinnen? Auch wir wären froh, wenn wir die Abhängigkeit von einem chinesischen Investor beenden könnten.
All das sind Fragen, die der neue Kreistag ab Juli 2024 umgehend angehen muss. Deshalb wollen wir dieser Forderung mit einem Antrag Nachdruck verleihen.

Klimaschutz und Klimaanpassung

Unsere Klimaagentur leistet gemeinsam mit der Energieagentur sehr gute Arbeit– wir haben es im letzten UVA gemeinsam gewürdigt. Wir sind auf allen Ebenen, intern und in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen, gefordert an den notwendigen Maßnahmen zur Klimaanpassung zu arbeiten. Herausfordernd ist der Weg zur Klimaneutralität. Hier müssen wir noch deutlich ambitionierter vorgehen, wenn wir das Ziel bis 2040 erreichen wollen. Die „drei E“, Energie sparen, Energieef-fizienz und die Erneuerbaren Energien sind weiterhin unsere Grundlage und behalten ihre Gültigkeit. Im Landkreis muss der Anteil der Erneuerbaren Energien– Wind und Photovoltaik – deutlich höher werden, hier gilt es bei den Kommunen um Akzeptanz zu werben. Wir brauchen darüber hinaus eine rasche und sinnvolle Sanierung des eigenen Gebäudebestands und müssen – und da sind wir mit dem Müllkonzept ge-rade dabei -die Ver- und Entsorgung optimieren und bei der Mobilität große Schritte wagen. Dass Klima und Biodiversität zusammengehören ist in den Alltag von Natur-schutzbehörde und Landwirtschaftsamt eingegangen. Wir hoffen vom Landwirt-schaftsamt bald wieder einen Bericht zu bekommen.

Mobilität

Wir wissen, dass der Verkehrssektor vor großen Aufgaben steht, wenn wir die Kli-maneutralität erreichen wollen, im Bund, aber auch im Landkreis. Dem Amt für Mobilität ist das sehr bewusst und wir danken allen Mitarbeitenden für ihre engagierte Arbeit in allen Bereichen. Im Blick auf den Ausbau von A8 und B 10 ist der Landkreis mit Hartnäckigkeit dabei, doch sind auch ihm die Hände gebunden im angesichts notwendiger Verfahren.
Im öffentlichen Verkehr haben wir mit dem Nahverkehrsplan einen großen Schritt gemacht und hoffen, dass wir bei unseren Ausschreibungen den VVS-Standard um-setzen können – schließlich war das ein wesentlicher Beweggrund für unseren Beitritt.
Offen – und da braucht es noch viele Überlegungen – ist die Umsetzung der Clean Vehicle Direktive bei den Ausschreibungen im Landkreis, gerade im Blick auf die Antriebsart. Wir sind deshalb froh, dass wir das Thema Wasserstoff mit der Unterstützung der Fachstelle weiter aktiv bearbeiten können.

Weniger CO2 Ausstoß heißt zwingend Ausbau des Radverkehrs. Wir freuen uns auf den Radverkehrstag und hoffen, dass wir im Blick auf den Radschnellweg doch noch eine Durchbindung in Uhingen erreichen. Schnellwege dürfen keine Lücken haben, wenn sie ihr Ziel erreichen wollen. Die Radverkehrskonzeption wird fortgeschrieben und in vielen Kommunen passiert auch etwas.
Bei der Mobilität zeigt sich auch, dass wir auf die Unterstützung von Land und Bund angewiesen sind. Ein gutes Beispiel ist der derzeitige Streit um das 49 € Ticket. Es reicht nicht sich für sinnvolle Maßnahmen Meriten zu holen und die finanzielle Absi-cherung dann im Ungewissen zu lassen oder weiterzureichen.

Soziales und Jugend

Der Sozialetat ist wie immer der größte Bereich. Die Aufgaben und die Ausgaben sind weitgehend klar definiert. Wir alle wissen, wie notwendig gesicherte soziale Strukturen für das gesellschaftliche Fundament sind. Vieles, was wir jetzt als Ausga-ben sehen, sind soziale Investitionen, Investitionen, die helfen, zukünftige Ausgaben zu vermeiden. Herr Stolz spricht in diesem Zusammenhang gern von den rentierli-chen Schulden. Ein gutes Beispiel sind die Frühen Hilfen. Leistungen in diesem Bereich versprechen langfristige Wirkungen. Wir möchten deshalb gern die Diskussion um eine festangestellte Familienhebamme (Familien-, Gesundheits- und Kinderkran-kenpflegerin) aufgreifen und eine unbefristete Stelle in diesem Bereich beantragen.

Wir haben in der Einleitung auch auf die schwierige Situation im Bereich Migration hingewiesen. Das Thema Zuwanderung ist komplex und die rasche Integration von Migrant:innen in den Arbeitsmarkt spielt eine ganz wesentliche Rolle. Der Arbeit der Ausländerbehörde kommt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu. Nach einer aktuellen Bertelsmann-Studie fühlen sich Mitarbeitende bei weitreichenden Ermessensentscheidungen allein gelassen. Auch belasten Mehrfachprüfungen, z.B. von Dokumenten, die bereits von einer anderen Behörde wie dem Jobcenter gesichtet wurden.
Wir fragen nach der Situation in Göppingen. Wie sieht die Kooperation zwischen Jobcenter und Ausländerbehörde aus? Sind ausreichend Mittel für Supervision und kollegiale Beratung eingeplant? Wie gelingt die Umsetzung des Spurwechsels nach dem Chancenaufenthaltsgesetz im Landkreis?
Wir beantragen einen Bericht von Jobcenter und Ausländerbehörde mit Zahlen und Schlaglichtern zur Integration von Geflüchteten in Arbeit und Beschäftigung.
Für alle ist günstiger Wohnraum von zentraler Bedeutung, nicht erst wenn er droht, verloren zu gehen.
Sozialer Wohnungsbau könnte dazu einem wesentlichen Teil beitragen und damit sind wir bei der Kreisbau. Wir müssen überlegen, wie diese große Aufgabe durch den Landkreis gestärkt werden kann. Wäre es nicht an der Zeit die Eigenmittel der Kreisbau zu stärken, indem wir nicht Gewinne „abschöpfen“, sondern sie mit dieser Zielvorgabe in der Gesellschaft belassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Zum Ende der Rede möchte ich vielen Menschen im Landkreis meinen Dank aus-sprechen, allen, die im Ehrenamt den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, den Mitarbeitenden im und um das Landratsamt, die trotz des starken Personalmangels ihre Arbeit sehr gut machen, auch den vielen Menschen in den kreiseigenen Schulen.

In diesen friedlosen Zeiten richte ich zum Schluss einen lauten Appell an alle, setzen wir uns für Frieden und Freiheit, für die Stärkung unserer Demokratie und unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung ein. Es ist notwendiger denn je.

Meiner Fraktion danke ich für die gute Zusammenarbeit und meiner Kollegin im Fraktionsvorsitz Dorothee Kraus Prause für die engagierte und vertrauenswürdige Zusammenarbeit in der Grünen Doppelspitze, auch bei dieser Rede.

Ihnen allen danke ich fürs Zuhören.
Lassen Sie uns im Gespräch bleiben und bleiben wir zuversichtlich!