Haushaltsrede 2021

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Maier,
sehr geehrte Frau erste Bürgermeisterin Cobet,
sehr geehrter Herr Hollnaicher,
sehr geehrte Mitarbeiter/innen der Verwaltung,
sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Kolleg/innen des Gemeinderats

2021

Das vergangene Jahr hat uns nachhaltig beeindruckt.

Schon ein ganzes Jahr hält uns dieses unsichtbare, kleine Virus in Schach. Es hat weder einen eigenen Organismus noch ein Gehirn und ist uns doch stets einen Schritt voraus. Es erinnert an die Geschichte vom Wettlauf zwischen Hase und Igel. „Bin schon da“ sagt der Igel, wenn der Hase angekeucht kommt. Der Igel hat eindeutig das bessere Konzept.

Welche Konzepte haben wir im Wettlauf mit dem Virus? Die bisherigen Massnahmen gründen auf die Hoffnung, die Pandemie baldmöglichst hinter uns zu haben und unser altes Leben wieder zu bekommen. Die Impfung gibt durchaus Anlass zu Hoffnung. Aber möglicherweise heißt es auch: „ Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“. Sars Cov 2 ist vielleicht nicht das letzte seiner Art, das uns beschäftigen wird. Zumindest für dieses Jahr ist mit Normalität, wie wir sie uns vorstellen wohl noch nicht zu rechnen. Es stellt sich uns also die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, Konzepte für eine „neue Normalität“ zu entwickeln und das Virus in unser Leben mit einzuplanen, um nicht immer wieder downgelocked und damit ausgenockt zu werden.

Die Pandemie hat vieles durcheinander gewirbelt, es gibt Gewinner und Verlierer. Gerade letztere nicht im Regen stehen zu lassen, sehen wir als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu braucht es Geld, und den mahnenden Worten unseres Kämmerers entnehmen wir, dass es kein Wunschkonzert geben kann.

Trotzdem liegt uns manches am Herzen, weil es unseres Erachtens dem sozialen Frieden und der Stadtentwicklung dient. Corona hat manche Familie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht. Kinder sind isoliert von einem sozialen Umfeld, das familiäre Defizite ausgleichen kann. Sie müssen aufgefangen werden. Die freien Träger der Jugendarbeit leisten hier immens viel, kommen aber personell und räumlich an ihre Grenzen. Hier sind wir gefragt. In Zusammenarbeit mit dem Landkreis könnten durch strategische Konzepte Jugendhilfe-Angebote vernetzt und erweitert werden, um niederschwellige Maßnahmen auszubauen. Je früher Familien und Kinder erreicht werden, umso besser können diese sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln. Die Kinder und Jugendlichen brauchen uns heute, damit sie morgen eine Stütze der Gesellschaft sein können. Hier ist jeder Cent gut investiert.

Regelmäßige Sozialkonferenzen und eine spezialisierte Sozialplanung der Stadt können überdies die Lebensverhältnisse in der Stadt verbessern und die Chancengleichheit erhöhen. Die Sozialplanung zielt in ihrer gesellschaftlichen Funktion auf soziale Gerechtigkeit und den Abbau regionaler Ungleichheit. Eine solche Stelle kann als Steuerungsunterstützung für Politik und Verwaltung bei der bedarfsgerechten Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur helfen. Wir erhoffen uns dadurch einen Austausch sowohl innerhalb der Verwaltung als auch außerhalb mit freien und privaten Trägern sozialer Angebote und mit den Menschen im Quartier.

Bürgerbeteiligung ist natürlich nicht nur im Rahmen der Sozialplanung erstrebenswert. „Göppingen hat Potential, das noch nicht voll ausgeschöpft ist“ haben Sie gesagt , Herr Oberbürgermeister. Stimmt! Jede und Jeder in Göppingen soll sich mit ihren / seinen Ideen, Möglichkeiten und Kräften einbringen können. Bisher wurden sie nicht immer gefragt, aber wer sind denn die Experten für eine Stadt, wenn nicht ihre Bürger? Diejenigen, die sie täglich erleben, weil sie hier wohnen und arbeiten.

Die Wahlbeteiligung bei der letzten OB-Wahl und die derzeitigen heißen Diskussionen um verschiedene Bebauungspläne zeigen uns, dass es notwendig ist, neu und anders auf die Bürgerschaft zuzugehen. Das Leitbild der Stadt muss die aktive Bürgerbeteiligung an öffentlichen Vorhaben in unterschiedlichen Formen als Austausch auf Augenhöhe zwischen Verwaltung und einer kompetenten Bürgerschaft verstehen. Einen Bürgerhaushalt sehen wir deshalb als wichtiges Instrument der Beteiligung. Das Potential der Bürgerschaft gewinnt besonders an Bedeutung in Zeiten rückläufiger Steuereinnahmen und die Mitgestaltung am städtischen Haushalt bietet den Bürgern mehr Transparenz über die Verwendung ihrer eigenen Steuergelder.

Ideenreichtum und Fantasie sind auch im Bereich Wohnen und Bauen gefragt. Das Positionspapier des Kreisbauernverbands hat uns jüngst aufgezählt, dass in den letzten drei Generationen mehr landwirtschaftliche Flächen verbraucht und versiegelt wurden, als in den 100 Generationen davor. Dass wir Grünen einem weiteren Flächenverbrauch äußerst kritisch gegenüber stehen ist kein Geheimnis.Gleichwohl wollen wir uns nicht gegen zusätzliche potente Steuerzahler/innen, sowohl im privaten, wie im gewerblichen Bereich stellen. Die Ansiedlung von flächensparendem Gewerbe und die Weiterentwicklung der Digitalisierung – das Potential des Böhringer-Areals sind wichtige Schritte. Wer in Göppingen arbeitet, soll gerne auch hier wohnen dürfen. Das Einfamilienhaus ist nach wie vor ein gefragter Lebensort. Den Ausbau weiter derartiger Wohngebiete sehen wir jedoch sehr kritisch. In Baden-Württemberg sind 60 % der Wohngebäude Einfamilienhäuser. 75 % davon werden von Paaren fortgeschrittenen Alters bewohnt. Die durchschnittliche Verweildauer der ganzen Familie in ihrem Haus beträgt etwa 20 Jahre. Ist dieses Wohnkonzept heute noch sinnvoll? Wünschenswert wäre, diesen Wohnraum wieder jungen Familien zur Verfügung stellen zu können, ehe ständig neue Flächen dafür ausgewiesen werden müssen. Dass dies nicht einfach ist, ist uns auch klar. Das Haus zu verlassen, für das man oft lange gespart und Entbehrungen auf sich genommen hat und in dem die Kinder aufgewachsen sind, ist eine hochemotionale Angelegenheit. Trotzdem könnte ein solcher Schritt möglich sein, wenn ansprechende Alternativen wie z.B. Tauschangebote oder generationengemischtes Wohnen zur Verfügung stünden. Nicht zuletzt, um der Vereinsamung im Alter vorzubeugen. Das Thema muss in der breiten Öffentlichkeit erörtert werden und kann sicher nicht kurzfristig gelöst werden, aber um eine Diskussion über alternative Wohnkonzepte kommen wir nicht herum, wenn wir unsere Stadt zukunftsgerecht gestalten wollen.

Im Übrigen gibt es nicht wenige leerstehende Einfamilienhäuser und Baulücken in der Stadt, die aus verschiedenen Gründen nicht genutzt werden. Hier fehlt schon lange ein effizientes Baulücken- und Leerstands-Management. Auch hier steckt soviel Potential für die Innenentwicklung. Wenn wir nicht in die Fläche wollen, um den Wohnraumbedarf zu decken, müssen wir in die Höhe gehen. In Ursenwang wird demnächst massvoll aufgestockt. Das sollte auch an anderen Stellen möglich sein. Wir stehen nach wie vor zur Innenverdichtung. Mit Augenmaß und unter dem Aspekt des Klimawandels. Photovoltaik, Energie-Plus-Häuser, Fassaden und Dachbegrünungen, egal ob privat oder gewerblich gilt es zu fördern und muss für alles, was die Stadt selbst baut eine Selbstverständlichkeit sein. „Städte für Menschen“ lautet das Credo des weltweit anerkannten dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl. Das beinhaltet die Einschränkung des Autoverkehrs, gefahrenfreie und gut ausgebaute Wege für Radfahrer und Fußgänger, Förderung des ÖPNV und eine Gestaltung des öffentlichen Raums, der am Bewegungsspielraum der Menschen orientiert ist. Wie wollen wir in Göppingen leben? Was stützt den Einzelhandel? Die Gastronomie? Womit fühlen wir uns wohl? Auch das muss öffentlich diskutiert werden. Auch hier, ich wiederhole mich – Bürgerbeteiligung.

Zu dem, was unser Leben lebenswert macht gehören jedoch nicht nur Arbeit und ein Dach über dem Kopf.
Last but not least.
Unsere Vereine und Kulturschaffenden. Sie beleben die Stadt nicht weniger als Einkaufsmöglichkeiten und Cafés. Sie fehlen uns in dieser Zeit so sehr. Die Jugendarbeit in den Vereinen, der Ausgleich und die Begegnung beim Sport, das Eintauchen in eine andere Welt beim Besuch von Konzerten, Kino und im Theater – all das bereichert uns und gibt Kraft für den Alltag. Und umgekehrt fehlen wir ihnen genauso. Ihnen fehlen schlicht und ergreifend – unsere Eintrittsgelder. Auch hier hat uns das Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auch hier braucht es Ideenreichtum und Flexibilität, um Auftrittsmöglichkeiten zu schaffen. Kultur ist ein Standortfaktor. Das gibt es nicht zum Nulltarif. Umso wichtiger ist die Fortschreibung der Kulturkonzeption der Stadt, denn die Kultur – und Kreativ-Wirtschaft ist eine wachsende Branche.

Seit Ende der 1980er Jahre hat sie sich zu einem der dynamischsten Wirtschaftszweige der Weltwirtschaft entwickelt. Ihr Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung in Deutschland betrug im Jahr 2019 3,1% des Bruttoinlandproduktes. Damit übertrifft sie in Sachen Wertschöpfung inzwischen andere wichtige Branchen wie die chemische Industrie, die Energieversorger oder aber die Finanzdienstleister. Mit Blick auf unseren Haushalt, bei dem in diesem Jahr Sparen und Konsolidieren im Vordergrund stehen, darf diese Tatsache nicht außer acht gelassen werden.

2021
Welche Konzepte haben wir? Der Igel hat mit Einfallsreichtum und seiner Partnerin an der Seite den Hasen ausgetrickst. Auch wenn Vergleiche hinken – lassen sie uns also Netzwerke mit den passenden Partnern bilden, sinnvolle Investitionen tätigen und mutige Entscheidungen treffen, um gemeinsam Göppingen voranzubringen und das Virus auszutricksen. In der Hoffnung und mit der Zuversicht, dass wir dann in den nächsten Jahren sagen: „Bin schon da !“

Elke Caesar Fraktion
Bündnis90/ Die Grünen