Stellungnahme der Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Haushalt 2022 November 18, 2021November 23, 2021 12.11.21 Stellungnahme der Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Haushalt 2022 Sehr geehrter Herr Landrat, meine Damen und Herren von der Verwaltung, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren Um mit Ihrem Vergleich zu beginnen, Herr Landrat, wir befinden uns in vielen Bereichen auf stürmischer See. Oder anders gesagt: Krisenwerden uns weiter begleiten. Wir befinden uns mitten in der vierten Welle einer weltweiten Pandemie, die uns lehrt, mit neuen Rahmenbedingungen wie Inzidenzen oder G 2 und G 3 Regeln umzugehen. Stellenneuschaffungen im Gesundheitsamt sind die notwendige Folge seither. Nicht erst seit der VRE-Problematik ist das Gesundheitsamt wichtige Anlaufstelle geworden und die Beratungsfunktion unverzichtbar. Unser Respekt gilt allen, die im Landkreis Göppingen “systemrelevant” ihrer Arbeit nachgehen, dies teilweise unter erschwerten, körperlich anstrengenden Bedingungen mit Masken oder auch Vollschutz. Hervorragend organisiert war der Ablauf im Kreisimpfzentrum. Umso bedauerlicher, dass bei der Impfquote im Landkreis weiterhin Luft nach oben ist und sich einige trotz aller Informationen nicht zu diesem Schritt überwinden können. Wir hoffen, dass vor allem Kinder und Jugendliche dies nicht zu spüren bekommen, wenn es wieder um Kitaschließungen oder ähnliches gehen sollte. Besorgniserregend ist die Schnelligkeit, mit der das Virus Varianten entwickelt, die immer ansteckender sind. Außer Impfungen und viel Disziplin beim Einhalten von Regeln gibt es bis jetzt keinen anderen Ausweg. Dass wir vermutlich sehr bald die Alarmstufe erreichen, ist erschreckend. Gut überstanden haben die Krise bis jetzt etliche Bereiche der Wirtschaft, abzulesen an den Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinden. Auch die Steuerkraftsumme zeigt vielfach wenig Schwächen, genauso wie eine weit über dem Soll liegende Grunderwerbsteuer. Wenn allerdings – wie jetzt immer deutlicher wird – die Lieferketten unsicherer werden wegen fehlender Container oder dem Bedienen anderer Märkte außerhalb Europas, zeigen sich dramatisch die Folgen einer globalisierten Wirtschaft. Dies wird auch bei uns im Landkreis spürbare Auswirkungen haben. Die Klimakrise als unser wichtiges politisches Thema ist mittlerweile in fast allen Parteien angekommen. Allerdings hapert es gewaltig an der Umsetzung. Einerseits fließen nach wie vor Subventionen in CO2 – intensive Wirtschaftszweige, wie den Flugverkehr oder den Braunkohleabbau, andererseits fehlt es an einer konsequenten klimaschützenden Politik, zum Beispiel bei den Erneuerbaren Energien. Gefühlt wird jedes Windrad in Baden -Württemberg von Bürgerinitiativen bekämpft, es fehlen aber Gegenvorschläge, wie stattdessen umweltfreundlicher Strom erzeugt werden kann. Geradezu paradox ist die wiederaufflammende Diskussion um Atomkraftwerke! Auf der Suche nach einem Endlager, das wir der Nachwelt über Jahrtausende hinterlassen, ist auch die Schwäbische Alb als möglicher Standort ins Visier gekommen. Ein schwieriger und langwieriger Entscheidungsprozess hat begonnen, bei dem wir erwarten, auf dem Laufenden gehalten zu werden. Im Dauerkrisenmodus ist der Landkreis seit der demokratisch getroffenen Entscheidung, die Helfensteinklinik bis zum Jahr 2024 in ein ambulantes Zentrum umzuwandeln. Diese Situation bedauern wir alle sehr. In der Rückschau wird deutlich, dass Information und Kommunikation im Vorfeld vermutlich nicht ausgereicht haben. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Devise „eine Klinik- zwei Standorte“ war groß, genauso groß wie der Schock, als – für die meisten unerwartet – deutlich wurde, dass diese Zielvorstellung den gesundheitspolitischen Realitäten nicht standhalten kann und die Umsetzung des neuen Konzeptes zeitnah angegangen werden muss. Die Gründe für diesen Schritt sind umfangreich dargelegt und diskutiert worden, untermauert durch drei Gutachten. Trotz Pandemie fanden zahlreiche Infoveranstaltungen der Verantwortlichen mit Bürgerinnen und Bürgern im Landkreis statt. Unterschiedliche Positionen ziehen sich durch einige Fraktionen, auch bei uns Grünen, aber es gilt, den Tatsachen ins Auge zu sehen und immer wieder auch schwierige Entscheidungen zu fällen. Der Trend zur Ambulantisierung mit der Folge, dass weniger Krankenhausbetten gebraucht werden und weitere Konzentrationsprozesse werden sich fortsetzen. Auch eine neue Bundesregierung wird nicht umhinkommen, diesen Prozess fortzuführen. Allein das Defizit der Krankenkassen wird dieses Jahr auf 7 Mrd. geschätzt! Diese Fakten gilt es anzuerkennen. Bereits jetzt gibt es eine Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge für 2022 infolge der Corona-Pandemie.Dass einige Kommunen aufgrund der Entscheidung jetzt eine Auskreisung erwägen, ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir hoffen, dass die auskreisungswilligen Gemeinden nach Prüfung der komplexen Sachlage wieder in die Gemeinschaft der Landkreisgemeinden zurückkehren. Sollte es die Möglichkeit geben, jetzt offengelegte infrastrukturelle Probleme mit Kräften des Landkreises zu lösen, wollen wir uns gerne damit auseinandersetzen. Wichtig ist uns eine professionelle zukunftsfähige Konzeptentwicklung zum Gesundheitsstandort Geislingen. Zum Thema Kreisbewusstsein: Das hat für alle von uns sicherlich eine andere Bedeutung. Für die einen ist der Landkreis ein Ort zum Wohlfühlen, für andere ein Ort der Mitwirkung, für wieder andere ohne jegliche emotionale Bedeutung, um nur Varianten aufzuzeigen. Was wir als politisch gewählte Vertreter beitragen können, um die Bandbreite des Landkreises abzubilden, ist, den Sitzungsort zu wechseln und damit “vor Ort” zu sein. Auftakt dazu ist bereits heute, wo wir in Süssen tagen. Große Sorgen machen uns die Alb-Fils-Kliniken. Nicht nur, weil das Defizit weit höher ausfällt als angenommen, sondern auch, weil die individuelle Betroffenheit einzelner Patienten, bei denen nicht alles glatt lief, in der Öffentlichkeit eine größere Rolle spielt als die Zufriedenheit der großen Mehrheit. Der Fachkräftemangel ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Doch was dagegen tun? Mehr Gehalt? Mehr Anerkennung? Weniger Schichtdienst? Es gab und gibt viel Lob für engagiertes Personal, nicht nur in den Kliniken, sondern ebenfalls in Pflegeeinrichtungen und in Arztpraxen im Laufe der anhaltenden Pandemie. Doch Lob ist nicht ausreichend, es müssen Taten folgen. Eine wegweisende Lösung zeichnet sich nicht ab. Im Wettstreit um engagiertes Personal können nur gute Rahmenbedingungen helfen und der Neubau am Eichert trägt hoffentlich dazu bei. Natürlich gibt es bei den aktuellen Defizitentwicklungen Sorgenfalten. Nicht nur, weil eine Effizienzrendite Basis der Finanzierung des Neubaus ist, sondern auch im Blick auf die Frage, wie es unter aktuellen Rahmenbedingungen gelingen kann, in die Nähe eines neutralen Ergebnisses zu kommen. Diese finanzielle Situation ist im Bundesvergleich kein Einzelfall, doch sie muss hier vor Ort angepackt werden. Dazu erwarten wir im Aufsichtsrat Lösungsvorschläge. Für Diskussionen werden die realistischen ermittelten Abbruchkosten des „Altbaus“ sorgen. Werden falsche Erwartungen geweckt, wenn erneut über den Erhalt des Gebäudes spekuliert wird oder über die Sinnhaftigkeit des Abbruches? Die Fakten, die zur damaligen Entscheidung eines Neubaus statt Sanierung geführt haben, sind geblieben und der Abriss ist auch Bestandteil der geltenden Baugenehmigung. Es bleibt spannend. Unerfreulich ist das Ergebnis einer Zollkontrolle im Oktober beim Neubau der Klinik. Seither Glück gehabt und jetzt Pech? Auf Großbaustellen vermutlich Alltag, für uns ein Skandal, wie Unternehmen Subunternehmen und diese wiederum Subunternehmen einschalten. Einerseits Folge einer globalisierten Wirtschaft oder auch Zeichen einer überforderten Branche? Wie können solche kaum durchschaubaren oder unzulässigen Beauftragungen verhindert werden? Es gäbe noch viele Themen, die angesprochen werden müssten: Die Folgen der demographischen Entwicklung, die Schulsituation, besonders der Neubau der Bodelschwinghschule in Göppingen und Geislingen, Mobilitätsthemen, Infrastruktur, Fachkräftemangel, soziale Themen usw. Mit Rücksicht auf die Fülle der zu bewältigenden Aufgaben der Verwaltung haben wir uns beschränkt auf wenige Anträge, die uns im Kontext dieser Themen besonders wichtig sind. Dazu gehören soziale Themen wie die Förderung der Einbeziehung junger Menschen in das Arbeitsleben oder auch die Vernetzung zwischen Jugend- und Seniorenarbeit im Rahmen der Sozialraumorientierung. Der Klimakrise kann nur mit einer entschiedenen Verkehrswende begegnet werden – entsprechende Angebote sind auszubauen. Genauso wichtig ist uns die Gestaltung der Energiewende im Landkreis. Die Digitalisierung wird weiter fortschreiten, dazu wollen wir wissen, wie die Verwaltung diesen Prozess gestaltet. In diesem Zusammenhang freuen wir uns, dass unser Antrag zum Thema Homeoffice vom vergangenen Jahr einen erfreulichen Schub bekommen hat, wenn auch unterstützt durch die Coronakrise und die Vorgaben der Arbeitsschutzverordnungen. Unsere Anträge haben wir beigefügt, diese sind im Einzelnen nachzulesen. Der Antrag zu den Brachflächen ist uns so wichtig, dass wir ihn erneut gestellt haben. Finanzen: Um es vorwegzunehmen, wir halten es nicht für notwendig, nochmals ein Gremium zu installieren, das sich mit den Finanzen des Landkreises beschäftigt. Mit der angekündigten und terminierten Klausur des VA ist sowohl der richtige als auch der dafür zuständige Ausschuss damit befasst. Analog der Klausur des UVA erwarten wir eine Erweiterung des Gremiums. Wir wünschen uns eine Diskussion über eine strategische Haushaltskonsolidierung, die die spezifischen Probleme des Landkreises einbezieht. Fakt ist, dass anstehende notwendige Investitionen nicht im Finanzkonzept enthalten sind und es ab 2023 zu haushaltstechnisch schwierigen Jahren kommen wird. Wie jedes Jahr ist die Kreisumlage eine relevante Entscheidung, gerade auch für finanzschwächere Kommunen. Wenn aber allein 132 Millionen an Sozialaufwendungen an die Gemeinden fließen, wenn wir an 7. Stelle im Regierungsbezirk Stuttgart liegen bei einer Steuerkraftsumme, die im unteren Drittel anzusiedeln ist, dann können wir den von der Verwaltung vorgeschlagenen Hebesatz zumindest mehrheitlich mitgehen. Entscheidend für die nächsten Monate wird es sein – und damit komme ich auf den Anfang der Rede zurück – wie es gelingen wird, die See zu beruhigen und die Fahrt auf weniger stürmischen Gewässern fortzusetzen. Wie kann es gelingen die komplexen Herausforderungen, vor denen wir stehen, angemessen zu erläutern? Wie können Bürgerinnen und Bürger sinnvoll in Entscheidungsprozesse eingebunden werden? Dazu Ideen zu entwickeln sind wir alle aufgefordert, meine Damen und Herren! Bedanken möchten wir uns bei der Verwaltung des Landkreises, allen voran bei Ihnen, Herr Landrat und Ihnen, Herr Stolz sowie allen Mitarbeitenden. Besonders hervorheben möchten wir die Mitarbeitenden an unseren Kliniken. Die Bilder von schwerkranken, beatmeten Menschen und von den Mitarbeitenden, die unter Kräfte zehrenden Bedingungen Ihrer Arbeit nachgehen, haben sich uns allen eingeprägt. Deswegen nochmals ein ausdrücklicher Dank für diesen Einsatz und viel Kraft für das, was noch an Anforderungen kommen wird. Nun liegt es an uns, was wir aus den Anträgen und Vorschlägen zum Haushalt machen. Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen. Dazu ein Wort von Marie von Ebner-Eschenbach: Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht. Für die Fraktion der Grünen Martina Zeller-Mühleis