21 Verkehr Till

„Es gibt keine Alternative“

Der Göppinger Oberbürgermeister macht sich für Stuttgart 21 stark

interviewer: RÜDIGER GRAMSCH | NWZ 21.09.2010

Zu Stuttgart 21 gibt es für den Göppinger OB Guido Till keine Alternative. Region und Kreis bräuchten das Projekt, um ein attraktiver Wirtschaftsstandort zu bleiben, so Till im Gespräch mit Rüdiger Gramsch.

Herr Till, Sie sagen, zu Stuttgart 21 gibt es keine Alternative. Warum?
GUIDO TILL: Wir brauchen das Bahnprojekt, damit die Region auch in den nächsten Jahrzehnten ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt und den Anschluss an die Entwicklung in Europa nicht verpasst. Gute und schnell Verkehrsverbindungen sind zwar kein Garant für eine florierende Wirtschaft. Wir wissen aber, dass Regionen, die über solche Anbindungen schon heute nicht verfügen, in der wirtschaftlichen Entwicklung weit abgeschlagen sind.

Aber braucht es für gute europäische Verkehrsverbindungen Stuttgart 21? Es gibt doch Flughafen und Autobahn . . .
TILL: Der Flughafen stößt an seine Kapazitätsgrenzen. Er bräuchte eine zweite Startbahn, die aber auf absehbare Zeit nicht kommen wird. Und wenn wir uns die Autobahn A 8 anschauen, dann hat sich da keine von wem auch immer geführte Bundesregierung in den vergangenen Jahrzehnten mit Ruhm bekleckert. Für den Albaufstieg gibt es immer noch kein genehmigtes Konzept. Die fast täglichen Staus dort sind ein verkehrspolitischer Skandal und sind beschämend für ein Land wie Baden-Württemberg.

Und Stuttgart 21 könnte Flughafen und Autobahn entlasten?
TILL: Davon bin ich überzeugt. Seit der Schnellbahnverbindung von Stuttgart nach Frankfurt konnte die Zahl der Flugverbindungen zwischen diesen beiden Städten deutlich gesenkt werden. Man ist heute schneller mit der Bahn in Frankfurt als mit dem Flieger. Und das macht ökologisch Sinn. Mit Stuttgart 21 werden die Umsteiger auf die Bahn zunehmen, da dann auch andere Großstädte schneller erreichbar sind. Und diejenigen, die zum Flughafen Stuttgart müssen, werden auf Grund der direkten Anbindung eher mit der Bahn dort anreisen als mit dem Auto.

Und welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Stuttgart 21 überregional?
TILL: Eine große. Wir dürfen nicht nur die Bedeutung von Stuttgart 21 für den deutschen Fernverkehr sehen, wir brauchen eine leistungsfähige schienengebundene West-Ost-Verbindung zwischen Paris und Wien. Wien ist international von Bedeutung und zugleich das Tor zu Ost- und Südosteuropa. Da kann es nicht sein, dass der TGV von Paris nach Stuttgart in drei Stunden und 40 Minuten fährt und für die nächsten 80 Kilometer von Stuttgart nach Ulm der Reisende eine weitere Stunde vertrödelt.

Welche Vorteile bringt Stuttgart 21 für den Landkreis und die Stadt Göppingen?
TILL: Stuttgart 21 wird Kapazitäten auf der Filstalstrecke freimachen, die wir für die S-Bahn benötigen. Und den Anschluss an den Stuttgarter Verkehrverbund brauchen wir unbedingt. Ein S-Bahn-Anschluss ist heute für die Wahl des Arbeitsplatzes oder Wohnortes von ganz entscheidender Bedeutung. Vor allem bei hochqualifizierten Mitarbeitern ist das ein wichtiges Kriterium. Sie wollen in einem Ballungsraum mobil sein, auch ohne Auto. Schließlich sollen ja vielleicht auch ihre Kinder entsprechende Einrichtungen in Stuttgart nutzen. Wir brauchen junge, hochqualifizierte Kräfte in unserem Kreis dringend, nicht zuletzt auch um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken.

Und die S-Bahn für Göppingen halten Sie für unverzichtbar?
TILL: Wir gehören zur Metropolregion Stuttgart, sind aber derzeit weder Mitglied im Verkehrverbund, noch sind wir an das S-Bahnnetz angeschlossen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass Beitritt zum Verkehrsverbund und der S-Bahn-Anschluss viel Geld kosten werden. Aber wir werden dieses Geld aufbringen müssen, wenn wir nicht von der Region abgehängt werden wollen. Wir brauchen bessere Verbindungen im Regional- und Nahverkehr. Und das geht nur, wenn durch Stuttgart 21 Kapazitäten auf der Filstalstrecke frei werden.

Kritiker von Stuttgart 21 bringen jetzt wieder den Ausbau der vorhanden Filstalstrecke ins Gespräch. Ist das in Ihren Augen eine Alternative.
TILL: Noch einmal. Zu Stuttgart 21 gibt es keine Alternative. Wird dieses Projekt gestoppt und eingestellt, wird es keine Ersatzstrecke geben. Kommt Stuttgart 21 nicht, bleibt alles, so wie es ist. Und mit dem Status quo werden wir von den modernen Verkehrswegen abgeschnitten. Mit allen Konsequenzen.

Es macht also keinen Sinn, sich mit Trassen-Varianten zu beschäftigen?
TILL: Nein. Bitte schauen Sie sich doch mal unsere Tallage an. Wie wollen Sie denn heute entlang der jetzigen Strecke noch ein weiteres Gleis legen? Mal ganz abgesehen davon, dass Sie dann immer noch nicht mit Tempo 200 oder gar mehr auf dem neuen Gleis fahren können. Der Flächenbedarf für ein weiteres Gleis wäre erheblich, viele Bauwerke wie Brücken, Stege, Unterführungen müssten abgebrochen und erneuert werden. Von der zusätzlichen Lärmbelastung, die ein solches Gleis mit sich bringen würde ganz zu schweigen. Darüber hinaus werden keine Gleiskapazitäten für die S-Bahn frei.

Können Sie die Argumente der Kritiker an dem Projekt nicht nachvollziehen?
TILL: Die Verträge für Stuttgart 21 sind unter Dach und Fach, die Entscheidungen für das Projekt sind in den Parlamenten gefallen und damit demokratisch legitimiert. Wenn die Wähler das Projekt nicht hätten haben wollen, hätten sie schon bei den vergangenen Wahlen gegen die Befürworter stimmen müssen. Das haben sie aber nicht getan.

Die Befürchtungen, dass es bei der Tieferlegung des Bahnhofs in Stuttgart Probleme mit dem Untergrund geben könnte, teilen Sie nicht?
TILL: Es ist ja nicht so, dass in Stuttgart zum ersten Mal unterirdisch gebaut wird. Und es hat damals, in den 70ern, auch keine Probleme mit dem Gestein gegeben. Probleme gibt es immer dann, wenn gepfuscht wird. Wie zum Beispiel beim U-Bahn-Bau in Köln.

Und die in die Höhe schnellenden Kosten sind für Sie kein Argument?
TILL: Ein Jahrhundertprojekt, das so entscheidend die Infrastruktur in unserer Region verändert, kostet viel Geld. Das ist richtig. Ich bin überzeugt, dass wir in einigen Jahren uns alle bestätigt sehen, dass dieses Geld gut investiert ist.

Sie sind überzeugt, dass Stuttgart 21 kommen wird?
TILL: Ja, das bin ich. Das Projekt ist nicht mehr zu kippen, auch wenn die Kritiker diesen Eindruck zu vermitteln versuchen. Ich halte es für nicht vertretbar, wie dabei einige politisch Tätige mit ausgeklügelten Strategien die Ängste der Menschen schüren.

Zur Person

Guido Till (55) ist seit 2004 Oberbürgermeister der Stadt Göppingen. Seit seinem Austritt aus der SPD im Februar ist Till parteilos. Till stammt aus Haan bei Düsseldorf. In den 90er Jahren war er Sozialbürgermeister in Halle und Beigeordneter des Landkreises Wittenberg.

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