25 Verkehr (Fischer-Bucher)

„Fakten auf den Tisch“ (Interview)

INTERVIEW ANNEROSE FISCHER-BUCHER
Die Sprecherin der S21-Gegner vermisst Argumente und lobt Geißler

Interviewer: DIRK HÜLSER | NWZ 25.10.2010

Wird Stuttgart 21 gebaut, hat das auch Folgen für den Landkreis. Dass aber nicht alle Karten auf dem Tisch liegen, meint die Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Annerose Fischer-Bucher.








Wann waren Sie das letzte Mal in Stuttgart demonstrieren?
ANNEROSE FISCHER-BUCHER: Ich war noch gar nicht demonstrieren, wenn so viele Menschen auf einem Platz sind, wird mir sehr unwohl. Aber ich bewundere alle im Bündnis, die zu den Demonstrationen gehen. Denn sonst hätten wir jetzt die Schlichtung nicht.

Sie könnten sich doch gemütlich auf Ihren Ruhestand vorbereiten – warum engagieren Sie sich nun als Sprecherin des Göppinger Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21?
FISCHER-BUCHER: Ich hatte die erste Notiz in der Zeitung gelesen und gedacht, da melde ich mich. Die Leute haben mich dann gefragt, ob ich Sprecherin sein möchte. Man kann für oder gegen Stuttgart 21 sein. Aber wie die Landesregierung und die Bahn mit bestimmten Punkten umgehen und Gutachten vorenthalten, das geht so nicht. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung der Bahn wurde nicht einmal dem Verkehrsausschuss des Bundestags vorgelegt. Und die Kosten steigen immer weiter, jeder Unternehmer wäre längst bankrott. Aber hier sind’s ja Steuergelder, die man verbraten kann. Aber der Hauptpunkt ist die direkte Demokratie. Die Art und Weise, wie Großprojekte zustandekommen, stinkt immer mehr Leuten – auch, wenn alles demokratisch legitimiert ist.

Es heißt doch, dass die S-Bahn nur dann ins Filstal kommt, wenn Stuttgart 21 gebaut wird – sind Sie gegen die S-Bahn?
FISCHER-BUCHER: Nein, ich bin nicht gegen die S-Bahn. Es gab 2009 eine gemeinsame Machbarkeitsstudie vom Landkreis Göppingen, dem Verband der Region Stuttgart und der IHK-Bezirkskammer, dort wurden fünf mögliche Varianten vorgestellt – nur eine davon setzt Stuttgart 21 voraus. Ich bin keine Fachfrau für Bahnfragen, aber wenn Experten wie der frühere Bahnhofsvorsteher Egon Hopfenzitz sagen, dass der Tiefbahnhof in der geplanten Form bahntechnisch nicht funktioniere, oder der ehemalige Bahn-Chef Johannes Ludewig S21 stoppen wollte, weil es nicht rentabel sei, dann macht mich das nachdenklich. Wir könnten die S-Bahn sofort haben, wenn Kommunen und Landkreis sie finanzieren – das heißt, es würde also auch so gehen. Und es funktioniert auch ohne ein drittes Gleis, zumal es noch stillgelegte Streckenteile gibt, die im Besitz der Bahn sind und die man aktivieren kann.

Handwerksvertreter betonen, dass Stuttgart 21 viele Arbeitsplätze und Aufträge bringe. Profitiert davon nicht auch der Landkreis?
FISCHER-BUCHER: Ich habe bislang noch keine überzeugenden Belege gehört, warum ein kleiner Handwerker bei den europaweiten Ausschreibungen bedacht werden sollte. Der kann da nämlich gar nicht konkurrieren – und ich denke, die Mehrzahl der kleinen und mittelständischen Handwerker weiß das auch. Also ich wäre gespannt auf die Belege – aber die kommen ja nicht. Insofern würde ich da mal ein Fragezeichen machen. Wäre es so, wäre es natürlich super – aber es ist nicht so.

Was denken Sie denn gefühlsmäßig, was die meisten Bürger wollen? Oder hätten Sie vielleicht sogar Angst vor dem Ergebnis eines Volksentscheids?
FISCHER-BUCHER: Das mit den Gefühlen ist so eine Sache, Gefühle können täuschen. Es gibt Umfragen, da kommt es dann auch drauf an, wen man beauftragt, eine Umfrage zu machen. Entscheidungen sind aber nochmal eine andere Sache als Umfragen, das sieht man ja auch bei Wahlen. Ich hätte aber keine Angst vor einer Bürgerbefragung oder einem Volksentscheid, dann hätte jeder die Möglichkeit, wenn nach der Schlichtung die Fakten auf dem Tisch liegen, seine Position zu bestimmen. Denn die Argumente der Befürworter wurden bislang ja gar nicht auf den Tisch gelegt. Wenn dann die Mehrheit der Bürger sagt, wir wollen’s, dann müssen sich die Gegner diesem demokratischen Beschluss beugen – und umgekehrt genauso.

Sie haben gerade die Schlichtung angesprochen – räumen Sie der Erfolgschancen ein oder ist das nur ein großes Schauspiel?
FISCHER-BUCHER: Also das glaube ich nicht, dass das ein Schauspiel ist. Die Aussagen von Herrn Geißler haben mich sehr überzeugt. Es ist eine neue Qualität, dass da ein Dialog geführt wird. Dass die Regierenden und die Bahn nun gezwungen werden, die Fakten auf den Tisch zu legen, ist ja etwas Neues. Und das wäre ohne die Demonstrationen und den Widerstand der Bürger nicht zustande gekommen. Und ich denke auch, dass das eine Auswirkung auf die Landtagswahl haben wird.

Ist das wirklich so ein großes Thema, dass es die Wahl entscheiden kann oder sind die Umfragen nicht nur ein Stimmungsbild?
FISCHER-BUCHER: Da würde ich mir so gar kein Urteil erlauben, das muss man einfach abwarten. Aber wenn ich mir so in meinem Umfeld die Stimmung – auch unter CDU-Wählern – anschaue, denke ich schon, dass Stuttgart 21 eine Auswirkung auf die Landtagswahl haben wird. Es gibt natürlich auch Menschen, die nehmen nicht Stuttgart 21 als einziges Argument für ihre Wahlentscheidung. Aber wenn man bedenkt, dass es ja auch viele Wechselwähler gibt – also, dass die traditionellen Wähler den Parteien davonlaufen – erklärt das auch, warum die CDU jetzt so nervös ist und ihre ganzen Unterorganisationen auffahren lässt – ob das die Mittelstandsvereinigung ist oder der Kreishandwerksmeister, der bei CDU-Neubrand Geschäftsführer ist. Aber das ist gut so, Regierende sollen immer nervös sein.

Fühlen Sie sich von den Abgeordneten unseres Landkreises im Landtag bei diesem Thema gut vertreten – egal ob rot oder schwarz?
FISCHER-BUCHER: Bei den Landtagsabgeordneten der CDU wundert es mich natürlich nicht, dass sie die Linie der Landesregierung vertreten, aber auch von denen habe ich bislang noch keine Argumente gehört. Und ich finde es schon erstaunlich, dass, wie jetzt am Wochenende, schon die Demonstranten von der CDU mit Bussen zur Befürworter-Demo nach Stuttgart gekarrt werden – was man ja bislang den anderen vorgeworfen hat. Bei der SPD finde ich es besonders bemerkenswert, dass sie sich so auseinanderdividiert. Also ich fühle mich von allen drei Landtagsabgeordneten im Kreis nicht vertreten – und das geht vielen Menschen so.

Zur Person

Annerose Fischer-Bucher (62) ist Sprecherin des Göppinger Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Die verheiratete Oberstudienrätin und Politikwissenschaftlerin war von 1986 bis 1996 FDP-Mitglied und saß für die FDP eine Periode im Gemeinderat der Stadt Göppingen, verließ dann aber 1996 die Partei und ist seitdem parteilos.

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