21 Eislinger Erklärung

Kreis-CDU in Turbulenzen

Parteiaustritte wegen Rücknahme der „Eislinger Erklärung“ belasten Klima

Autor: HELGE THIELE | NWZ 21.07.2010




An der Basis brodelt es: Die Art und Weise, wie die „Eislinger Erklärung“ der Jungen Union zurückgenommen wurde, sorgt in der CDU für Kritik und Vorwürfe. Jetzt ist der Uhinger Parteichef zurückgetreten.
 
Kreis Göppingen. Am vergangenen Samstag ist Kai Steffen Meier, Chef der Jungen Union (JU) im Kreis, Sieger geblieben. Ein Antrag auf Neuwahlen wurde im Kreisausschuss abgelehnt, der 25-jährige Geislinger darf die CDU-Nachwuchsorganisation auch künftig führen. „Er hat seinen Kopf noch mal aus der Schlinge ziehen können“, sagt dazu Matthias Rapp. Der 23-Jährige war bis Montag Vorstandsmitglied der Jungen Union im Ortsverband Unteres Filstal. Jetzt ist Rapp, der er es wichtig findet, dass sich junge Menschen in der Politik engagieren, ausgetreten. Aus der JU und auch aus der CDU. Zu tief sitzt bei ihm der Frust über die Art, wie die – wegen ihrer stark rechtslastigen Passagen umstrittene – „Eislinger Erklärung“ der JU Mitte Juni zurückgenommen wurde. „Es geht für mich gar nicht mehr darum, ob man hinter dem Papier steht oder nicht“, betont Rapp. Sondern darum, dass sich „einzelne Vorstandsmitglieder bewusst über einen einstimmigen Beschluss des Kreisausschusses der Jungen Union hinweggesetzt“ hätten und es im Anschluss „nicht für notwendig hielten, die betreffenden Personen zu informieren“.
 
Tatsächlich gleicht die Rücknahme des Papiers, über dessen Inhalt und Formulierungen auch viele weltoffene Christdemokraten entsetzt waren, einer „Nacht- und Nebelaktion“, wie es Jan Viohl ausdrückt. Auch er ist seit Montag nicht mehr Mitglied bei CDU und JU – aus den gleichen Gründen wie Rapp. Weil auch Viohl die Nase voll hatte, steht die CDU in Uhingen nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen ohne Vorsitzenden da. Der 22-jährige Viohl war erst im Juni zum Nachfolger von Thomas Rapp an die Spitze des CDU-Ortsverbands gewählt worden. Kurz vor Beginn des Landtagswahlkampfes ist in Uhingen jetzt guter Rat teuer.
 
Rückblende: Am Abend des 12. Juni hatte der „geschäftsführende“ Kreisvorstand der JU in Sachen „Eislinger Erklärung“ zum Rückzug geblasen . Weil der politische Druck aus Bund und Land immer stärker wurde, nahm die JU-Spitze das Papier vom Markt. Gerade mal drei stimmberechtigte Mitglieder waren an jenem Samstagabend anwesend, von fünf anderen habe man ihre Meinung zuvor telefonisch eingeholt, versichert JU-Kreischef Meier. Mit „fünf zu drei Stimmen“ wurde die „Eislinger Erklärung“ schließlich wegen „missverständlicher Formulierungen“ zurückgenommen.
 
Die CDU-Kreisvorsitzende Nicole Razavi, die sich bis heute nicht deutlich von den rechtslastigen Inhalten in der ihrer Ansicht nach „ganzheitlichen Betrachtung unserer Heimat“ distanziert hat, saß am 12. Juni mit am Tisch. Razavi verteidigte die Rücknahme des Papiers gestern erneut als „demokratische Entscheidung“. Es müsse auch möglich sein, sich per Telefon zu verständigen, wenn Eile geboten sei, sagte Razavi, die den Rücktritt von Rapp, Viohl und dem Dritten im Bunde, JU-Finanzreferent Marc Speidel aus Reichenbach /Fils, nicht nachvollziehen kann – und bedauert. Doch die drei sind nach Informationen unserer Zeitung bei weitem nicht die einzigen in der Partei, die den überstürzten Alleingang der JU-Spitze kritisieren. Viele sind erst gar nicht informiert worden. Selbst Fabian Waldhans, Pressesprecher der Kreis-JU, erfuhr nichts von der Rücknahme der „Eislinger Erklärung“. Ein Journalist brachte das verdutzte Vorstandsmitglied auf den neuesten Stand.
 
Auch dass das Positionspapier nun nicht, wie von JU-Chef Kai Steffen Meier zunächst gegenüber mehreren Ortsverbänden angekündigt, überarbeitet wird, vergrätzt manche in der Jungen Union – und in der Mutterpartei. Marc Speidel spricht von einem „fehlenden Vertrauensverhältnis“, Viohl von einem „Mangel an Glaubwürdigkeit“.
 
Aufkommende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Rücknahme-Beschlusses wegen mangelnder Beschlussfähigkeit versuchte Meier gestern zu zerstreuen: „Das war keine reguläre Sitzung“, meinte er. Nicole Razavi stärkt dem JU-Chef, der im übrigen auch stellvertretender CDU-Kreisvorsitzender ist, demonstrativ den Rücken: „ Der Meier hat das richtig gemacht.“

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Heute Abend Parteitag
Die CDU hält heute Abend in Heiningen einen Kreisparteitag ab. Das Motto der Versammlung lautet „Konsolidierung in schwierigen Zeiten“, bezieht sich aber nicht auf den Zustand der Partei, in der es momentan kräftig rumort. Es geht vielmehr um die Finanzkrise. Hauptredner ist Norbert Barthle, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Der Parteitag in der TSV-Halle soll auch dazu dienen, die Unzufriedenheit in der Partei „aufzufangen“ und der Basis vor Beginn der Sommerferien ein Signal des Aufbruchs zu vermitteln. Die Kreisvorsitzende Nicole Razavi will dabei auch auf die jüngsten Parteiaustritte und den Streit um die Rücknahme der „Eislinger Erklärung“ eingehen. Beginn ist um 20 Uhr.

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Razavis Ballast

Kommentar von HELGE THIELE

Vorwürfe, Wut und jetzt sogar Parteiaustritte: Der Ärger an der Basis über die fragwürdigen Vorgänge um die Rücknahme der „Eislinger Erklärung“ der Jungen Union (JU) sitzt tief. Die CDU-Kreisvorsitzende Nicole Razavi und ihr Stellvertreter, JU-Kreischef Kai Steffen Meier, können noch so oft betonen, die Rücknahme sei demokratisch entschieden worden: Für viele junge Parteimitglieder bleibt mehr als nur ein Geschmäckle zurück.

In allerkleinster Runde zog die JU-Spitze ein Papier zurück, das vom Kreisausschuss der JU einstimmig beschlossen worden war. Viele Ausschussmitglieder wurden erst gar nicht über den Rückzug informiert, der offenbar notwendig wurde, da der Druck vom politischen Gegner – und aus den eigenen Reihen – von Tag zu Tag stärker wurde. Die Eile, die plötzlich geboten war, um Schaden von der Partei abzuwenden, haben Razavi und Meier allerdings selbst zu verantworten. Schlimm genug, dass die JU in der „Eislinger Erklärung“ überhaupt an vielen Stellen inhaltlich so entgleist ist. Noch unverständlicher ist jedoch, dass Razavi und Meier dies wochenlang nicht erkennen wollten und das Papier wie trotzige Kinder verteidigten.

Jetzt müssen sie versuchen, die ohnehin verunsicherte Basis wieder zu beruhigen und zeigen, dass sie eine Diskussion über das Profil der CDU auch führen können, ohne dass dabei Minderheiten verunglimpft werden. Ballast für den Wahlkampf ist die „Eislinger Erklärung“ allemal. 

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