24 Eislinger Erklärung

Ex-CDU-Chef widerspricht Razavi

Rücknahme der „Eislinger Erklärung“: Musste die CDU-Kreisvorsitzende Mappus schützen?

Autor: HELGE THIELE | NWZ 24.07.2010

Hatte Ministerpräsident Stefan Mappus bei der Rücknahme der „Eislinger Erklärung“ doch seine Finger im Spiel? Brisante Hinweise deuten darauf hin.

Kreis Göppingen. Die überstürzte Rücknahme der rechtslastigen „Eislinger Erklärung“ der Jungen Union (JU) hatte offenbar doch landespolitische Gründe. Die CDU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Nicole Razavi hat dies stets bestritten und entsprechende Behauptungen als „unwahr“ zurückgewiesen – zuletzt am Mittwoch beim Kreisparteitag in Heiningen. Jetzt verdichten sich allerdings Hinweise, wonach die Landespolitik – und hier insbesondere Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) – sehr wohl Einfluss genommen hat, damit das Papier zurückgezogen wird. Der wegen der Rücknahme als Uhinger CDU-Vorsitzender zurückgetretene Jan Viohl hat Razavis Darstellung energisch widersprochen. Der 22-Jährige, der auch sein Parteibuch enttäuscht zurückgegeben hat, erklärte gestern: „Es wird stets behauptet, die Landespolitik hätte keinen Einfluss auf die Entscheidung in Göppingen genommen. Dies möchte ich durch eine Aussage von Nicole Razavi vom 19. Juni widerlegen, nach welcher der übereilte Rückzug der ,Eislinger Erklärung’ aus der Notwendigkeit resultierte, dass verhindert hätte werden müssen, dass Ministerpräsident Stefan Mappus in der Landespressekonferenz am 22. Juni mit dem Papier konfrontiert wird.“ Musste Nicole Razavi, einst Büroleiterin des damaligen Verkehrsministers Stefan Mappus und eine enge Vertraute des heutigen Ministerpräsidenten, den Regierungschef schützen, weil die Kritik an der „Eislinger Erklärung“ für Mappus zum Klotz am Bein zu werden drohte? Die Opposition hatte den Druck von Woche zu Woche erhöht und Mappus aufgefordert, sich von den „ausländerfeindlichen, homophoben, nationalistischen, frauenfeindlichen und reaktionären“ Parolen der Jungen Union im Kreis Göppingen zu distanzieren. Auch in den eigenen Reihen wuchs die Unruhe.

Der Uhinger Ex-Christdemokrat Viohl widerspricht auch den Einlassungen von JU-Kreischef Kai Steffen Meier, der auf Nachfrage unserer Zeitung erst nach Zögern erklärt hatte, er habe telefonisch eine Fünf-zu-Drei-Mehrheit im geschäftsführenden Kreisvorstand für einen Rückzug der „Eislinger Erklärung“ organisiert. Viohl: „Dazu muss man sagen, dass Meier dies erst nach der Versendung der Pressemitteilung zur nachträglichen Legitimation seines Vorgehens getan hat.“ Viohl stellt zudem die Berechtigung des Kreisvorstands „zum Übergehen eines einstimmigen Kreisausschuss-Beschlusses“ in Frage und ist überzeugt, mit der Satzung der Jungen Union (§ 35 und 37) die Argumente auf seiner Seite zu haben.

zurück zur Presseübersicht Juli 2010…

Ein Scherbenhaufen

Leitartikel CDU

Autor: HELGE THIELE | NWZ 24.07.2010


Es hätte eine schöne Woche für die CDU werden sollen. Die örtlichen Strategen, allen voran die Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Nicole Razavi, hatten auf dem Kreisparteitag am Mittwochabend in Heiningen für die entsprechende Inszenierung gesorgt: Attacken auf den politischen Gegner, Rückendeckung für die Junge Union und deren rechtslastige „Eislinger Erklärung“ und ein Vortrag über den Sinn und die soziale Ausgewogenheit der Sparbeschlüsse der Berliner Koalition. Als die gemeinsam angestimmte Nationalhymne verklungen war, machten sich die meisten der knapp 180 Christdemokraten mit dem guten Gefühl auf den Heimweg, dass es mit der Union jetzt wieder aufwärts geht.

Doch nur zwei Tage nach der Zusammenkunft in der Heininger TSV-Halle schwillt der Sturm in der Kreis-CDU wieder an. Der von seinem Amt als Uhinger CDU-Vorsitzende zurück- und aus der Partei ausgetretene Jan Viohl findet es unerträglich, dass die Kreisvorsitzende Nicole Razavi nach wie vor betont, die „Eislinger Erklärung“ sei ohne jeden Einfluss der Landes-CDU zurückgezogen worden. Also hat sich Viohl zu Wort gemeldet und Razavi deutlich widersprochen. Nun steht Aussage gegen Aussage, und allen Beteiligten in und außerhalb der CDU dämmert: Einer oder gar mehrere nehmen es hier mit der Wahrheit nicht so genau.

Mal abgesehen davon, dass die „Eislinger Erklärung“ der Jungen Union mit ihren teilweise unappetitlichen und ziemlich verquasten gesellschaftspolitischen Forderungen kein Betriebsunfall gewesen sein kann, hat Nicole Razavi mit ihrem Schutzschirm für den Parteinachwuchs der Landes-CDU einen Bärendienst erwiesen. Die Opposition wird einen Teufel tun und den Umgang der Landesregierung und dessen Chef Stefan Mappus mit der „Eislinger Erklärung“ im Wahlkampf ausklammern. Warum auch, schließlich haben es die Verantwortlichen der Union im Land bis heute nicht geschafft, einzuräumen, was viele Aussagen des Papiers sind: peinlich.

Interessant ist das öffentliche Schweigen von jenen in der Kreis-CDU, die selbst bestürzt sind über den Scherbenhaufen, den Razavi und der JU-Kreischef Kai Steffen Meier mit ihrem „Krisenmanagement“ angerichtet haben: Der Bundestagsabgeordnete Klaus Riegert zum Beispiel hat die „Eislinger Erklärung“ auf dem Kreisparteitag mit keiner Silbe erwähnt. Das kann als Höchststrafe für Razavi und Meier gedeutet werden, doch Schweigen ist letztlich kein Ersatz für das, was die Christdemokraten jetzt brauchen: eine lückenlose Aufklärung und Generalaussprache.

zurück zur Presseübersicht Juli 2010…