04 Bad Boll u.a.: Stromnetzkauf

Bad Boll steht unter Wechsel-Strom

Voralbgemeinde prüft Chancen für Netzübernahme – Gespräche mit Geislinger Albwerk

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 04.08.2010



Bad Boll lotet die Chancen aus, das Stromnetz zu übernehmen und mit einem Partner zu betreiben. Auch für andere Voralbgemeinden ist das ein Thema.

Bad Boll. In Göppingen wird schon eine ganze Weile darüber diskutiert, ob die Stadt das Stromnetz zurückkauft und selber betreibt. In der 5200-Einwohner großen Gemeinde Bad Boll wird darüber nachgedacht, das Netz von der ENBW zurückzukaufen und einen Partner zu suchen. Über die Möglichkeiten ließ sich der Gemeinderat vom Geislinger Albwerk informieren, das selbst als Partner infrage käme. Dessen Netz grenzt bereits an Bad Boll, weil es Gruibingen versorgt. Das Albwerk tritt selbstbewusst auf: als erfolgreiche Energienossenschaft und Produzent erneuerbarer Energie, als Starthelfer und Partner von selbstständigen Stadt- und Regionalwerken. Das Albwerk habe in Waldkirch (21 000 Einwohner) und im Raum Tettnang (62 000 Einwohner) maßgeblich am Aufbau kommunaler Energiebetriebe mitgewirkt, berichtete Geschäftsführer Hubert Rinklin. Diese Stadt- und Regionalwerke seien profitabel, das Geld bleibe am Ort, die Kommunen könnten über den Umfang regenerativer Energie bestimmen.

Bad Boll wäre zu klein für ein autonomes „Gemeindewerk“. Dazu brauche sie Betreuung von einem Partner, sei es vom Albwerk, dem Neckar-Elektrizitätsverband (NEV), der ENBW oder dritter Seite, so Rinklin. Beim Strombetrieb müsse es indes nicht bleiben, Boll könne auch die Gas- und Wasserversorgung in ein Gemeindewerk einbeziehen. Wobei man sich klar sein müsse, dass der Gasverbrauch sinke.

Worauf es ankomme: Die Chancen bei der Übernahme eines Stromnetzes lägen in einer relativ sicheren Rendite, wenn man das Netz effizient betreibe, so Rinklin. Das Risiko stecke im Preis für das Netz. Der Netzeigentümer wolle es möglichst teuer verkaufen, es gebe Beispiele, „wo sich Kommunen vergaloppiert haben“. Zudem wechselten die Kundennicht automatisch zum neuen Stromanbieter, man brauche Vertrieb und Werbung.

Gemeinderat Jürgen Seitz hatte noch eine andere Sorge: Kann das Stromnetz an Wert verlieren, wenn möglicherweise immer mehr Haushalte selbst Strom produzieren? Das hält Rinklin für unwahrscheinlich. „Es gibt kein Szenario, bei dem man ohne Netz auskommt, mindestens nicht für die nächsten 20 Jahre.“

Die Alternativen zur Partnerschaft mit dem Albwerk: Im NEV denkt man über die Gründung einer Netzgesellschaft nach. Dies könnte für Boll interessant sein, ebenso für die anderen Voralbgemeinden. Im Verband Raum Bad Boll schaut man aber auch nach Göppingen: Was macht die Kreisstadt, übernimmt sie ihr Stromnetz, kann man sich da anhängen? Noch ist Zeit, das Thema zu ergründen: Die Stromkonzession läuft erst Ende 2012 aus, in diesem Jahr müssen die Weichen nicht mehr gestellt werden. 2011 allerdings schon. Auch die Stadt Uhingen spielt verschiedene Varianten durch: Neuer Vertrag mit der ENBW? Eine Netzgesellschaft? Oder eigene Stadtwerke? Der Gemeinderat hat Ende Juni die Verwaltung beauftragt, das Auslaufen des Vertrags bekannt zu machen und interessierte Unternehmen zu bitten, sich zu melden. Die Stadt Göppingen will im Herbst die Diskussion über die Zukunft des Stromnetzes fortsetzen. Bis dahin sollen auch die zwei Gutachten vorliegen, die der Gemeinderat in Auftrag gegeben hat. Für die Kommunen Eislingen, Donzdorf, Süßen, Salach und Ottenbach liegt schon ein gemeinsames Gutachten vor. Die Experten kommen zu dem Ergebnis, dass sich der Kauf lohnen würde.

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Signal für den Aufbruch gesetzt

Kommentar

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 04.08.2010




Erfreuliches tut sich in den Voralbgemeinden: Sie denken darüber nach, die Stromnetze zurückzukaufen und mitzubestimmen, welcher Strom bei ihnen auf den Markt kommt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Gewinn bleibt am Ort oder in der Region, die Gemeinden können der regenerativen Energie Vorfahrt geben. Das macht ökonomisch wie ökologisch Sinn.

Freilich: Risiken gibt es auch. Sie stecken im Netzkauf und in der Vermarktung des Stroms, den der neue Partner und die Gemeinde anbieten. Aber es sollte gelingen, diese Risiken beherrschbar zu halten. Nicht nur das Albwerk Geislingen kann erfolgreiche Beispiele vorweisen, auch die Stadt Fellbach zählt sich dazu. Sie hat schon vor zwölf Jahren ihr Netz zurückgekauft, damals unter Sperrfeuer vom Neckar-Elektrizitätsverband.

Noch ist offen, wohin die Reise für die Voralbgemeinden geht. Aber jetzt hat Bad Boll ein Signal gesetzt, das auch Sogwirkung entfalten kann. Die Gemeinde ist bereit für den Wechsel, jetzt kommt es auf die Optionen an. Da mag eine Partnerschaft mit dem Albwerk als Liebesheirat erscheinen, mit Teilen des Neckarwerke-Elektrizitätsverbands mehr als Vernunftehe. Auch Göppingen wäre ein attraktiver Partner. Und Charme hätte ein Zusammenschluss der zehn Voralbgemeinden von Schlat bis Schlierbach, die schon vielfach zusammenarbeiten. Aber danach sehe es nicht aus, sagt der Bad Boller Bürgermeister Bührle.

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