23 Stuttgart 21

Bahn-Projekt spaltet Kreis

Stuttgart 21: Mancher Rathauschef hat Verständnis für scharfe Proteste

Autoren: ARND WOLETZ, JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 23.08.2010




An Stuttgart 21 scheiden sich die Geister – auch bei den Rathauschefs im Kreis, die direkt oder indirekt von der Neubautrasse des ICE betroffen sind. Eine Umfrage zeigt: Die kritische Meinungen überwiegen.


Kreis Göppingen. Der Gruibinger Bürgermeister Roland Schweikert, der einer langwierigen Tunnelbaustelle durch die Gruibinger Alb entgegenblickt, kann die Proteste gegen Stuttgart 21 „sehr gut verstehen“. Er findet es fragwürdig, welche Summen da investiert werden sollen, wo doch der Nutzen vielleicht nicht so groß sei. „Ich habe mich immens geärgert, als Ministerpräsident Mappus sagte, eine Baukostenüberschreitung von 865 Millionen Euro sei überschaubar und finanzierbar.“ Da geht dem Gruibinger Schultes der Hut hoch. Für den Albaufstieg der Autobahn, der mittlerweile auf 600 Millionen veranschlagt wird, sei nicht im entferntesten Geld da, aber für Stuttgart 21 und die neue Trasse offenbar unbegrenzt. Schweikert prophezeit, dass das Projekt „weit jenseits der zehn Milliarden“ landen werde, und das Geld woanders fehle.

Sein Mühlhausener Amtskollege Bernd Schaefer, der sich von der ICE-Neubaustrecke noch ganz anders belastet sieht – eine Brücke über das Filstal werde die Landschaft zerschneiden – sieht Stuttgart 21 mit zwiespältigen Gefühlen. Es sei es schon richtig, so eine Infrastruktur für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Aber nicht in diesen Zeiten und mit diesem Umfang. Den Bürgerprotest solle man ernst nehmen „Das ist doch schon eine Härte, mit der man da vorgeht.“

Herbert Fitterling, Erster Beigeordneter in Eislingen und Vertreter des Bürgermeisters, ist persönlich ebenfalls skeptisch, ob Stuttgart 21 die versprochenen Vorteile bringt. „Meine Befürchtung ist, dass das Projekt so viel Kapital bindet, dass es an anderer Stelle fehlen wird“. Die mit der Schnellbahntrasse geschaffenen Kapazitäten für den Nahverkehr auf der Filstalachse könnten durch fehlendes Geld zunichte gemacht werden, meint Fitterling, denn die Region als einer der Träger der S-Bahn muss Stuttgart 21 mitbezahlen. Außerdem müsse man wohl den zunehmenden Güterverkehr im Filstal neu bewerten. Aufhalten lasse sich der Bau aber auch durch die immer heftiger werdenen Widerstand nicht mehr, glaubt Fitterling. „Man will es politisch unbedingt haben und es wird auch kommen“.

Keinerlei Verständnis für die immer heftiger werdenden Proteste hat Göppingens Oberbürgermeister Guido Till. Er erinnert an die europäische Dimension des Projektes. Ohne die Schnellbahntrasse werde die Region abgehängt, sagt Till. Er führt außerdem die Chancen des unterirdischen Bahnhofs in Stuttgart für den Grundstücksmarkt an. Seine zentrale Hoffnung ist aber, dass im Kreis Göppingen Gleiskapazitäten frei werden, die für die S-Bahn dringend gebraucht werden. Der Güterverkehr auf der Filstalachse werde zwar zunehmen, man müsse aber darauf drängen, dass dieser mit Schallschutzwänden und neuen Waggons „für die Menschen ertragbar“ ausfalle. Insgesamt sieht der Göppinger OB „keine Alternative zu Stuttgart 21“.

Ebersbachs Bürgermeister Sepp Vogler hatte ebenfalls vor kurzem die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass sich mit dem Milliardenprojekt die Chancen für eine S-Bahn ins Filstal verbessern werden, nannte aber die die ökologischen Auswirkungen „schwierig“.

Claus Herzog, Rechtsdezernent beim Göppinger Landratsamt, glaubt trotz der schwer einzuschätzenden Proteste nicht, dass es noch eine Rückzieher geben wird. Es bleibe jedenfalls das Ziel des Landkreises Göppingen, mit der Schnellbahntrasse auf den Fildern einen verbesserten Nahverkehr im Filstal hinzubekommen. Allerdings könne noch niemand sagen, wie das endgültige Programm aussieht, räumt Herzog ein. Die Bahn habe jedoch auch zugesagt, eine Fernverkehrslinie im Filstal zu belassen, die auch in Göppingen und Geislingen hält. „Dieses Potenzial kann die Bahn nicht links liegen lassen“, hofft Herzog. Investitionskosten für den Neubau und Betriebskosten für den Nahverkehr könne man auch nicht in einen Topf werfen, meint der Landratsamtvertreter, auch wenn ein Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen sei.

Später Widerstand der Bürger

Der Bau hat bereits begonnen, doch die Gegner geben nicht auf: Vor allem in der Landeshauptstadt Stuttgart mobilisert der Protest gegen Stuttgart 21 und die Schnellbahntrasse inzwischen die Massen – angeheizt von mehreren kritischen Gutachten zu dem Projekt.
Am Freitag haben sich über 20 000 Menschen – auch aus der Region – versammelt, um den Bau des unterirdischen Bahnhofs doch noch zu verhindern.
Am heutigen Montag steht schon die nächste Demonstration auf dem Plan.
Die Kritiker befürchten, dass das Gesamtvorhaben am Ende eine zweistellige Milliardensumme verschlingen könnte.

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