„Vom modernen Bahnnetz haben alle was“
INTERVIEW MIT STUTTGART 21-BEFÜRWORTER PETER HOFELICH
Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Salach sieht durch das Bahnprojekt viel mehr Vorteile
Autor: RODERICH SCHMAUZ | GZ 11.09.2010 (NWZ 17.09.2010)
Die Debatten um Stuttgart 21 und Schnellbahntrasse kochen hoch. Peter Hofelich aus Salach befürwortet von Anfang an die Projekte. GZ-Redakteur Roderich Schmauz befragte den SPD-Landtagsabgeordneten.
Sind Sie weiterhin ein Befürworter von Stuttgart 21? Kommen Ihnen angesichts der Proteste keine Zweifel?
PETER HOFELICH: Stuttgart 21 integriert unser Land in das europäische Schnellbahnnetz und bringt im „Huckepack“ für unsere Region mehr Optionen für besseren Nahverkehr. Ich unterstütze das Projekt seit Langem und habe das auch bei drei Regionalwahlen und einer Landtagswahl den Bürgern gesagt. Meinem „Ja“ ging eine Abwägung von Vor- und Nachteilen voraus. Deshalb habe ich selbstverständlich weiterhin auch Zweifel. Die Nachteile verschwinden ja nicht. Ich hoffe übrigens sehr, dass auch die Stuttgart 21-Gegner Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ablehnung haben. Einfach dagegen sein, reicht nicht. Der Ausbau der Schiene ist die Zukunft für umweltschonende Mobilität.
Was ist schief gelaufen? Da wird ein Projekt jahrelang diskutiert, von demokratisch gewählten Gremien beschlossen, von Gerichten bestätigt – und bei Baubeginn laufen die Bürger dagegen Sturm und fühlen sich übergangen.
HOFELICH: Es wurde viel informiert, aber wenig kommuniziert. Nun hat sich diese schlechte Vermittlung in die sachliche Begründung von S21 hineingefressen. Die größten Vorbehalte entstehen beim mangelnden Zutrauen zum jetzigen Kostenrahmen, nachdem die bisherigen Steigerungen – hervorgerufen unter anderem durch die zehnjährige Baustartverzögerung wegen Einsprüchen und die verschärften gesetzlichen Sicherheitsbestimmungen – den Bürgern nicht rechtzeitig erklärt wurden. Es hat sich aber auch was im Verhältnis von parlamentarischer zu direkter Demokratie geändert. Man will „hier und heute“ seine Meinung berücksichtigt sehen. Ob aber „Politik auf Knopfdruck“ die Zukunft unserer Demokratie ist, da sollten wir mal gemeinsam drüber nachdenken.
Welches sind aus Ihrer Sicht die großen Vorteile von Stuttgart 21?
HOFELICH: Die Einbindung der Hauptbahnhöfe Stuttgart und Ulm und ihrer Zubringerstrecken in das europäische Schnellbahnnetz; mehr, besserer und zügigerer Schienennahverkehr; eine fast einzigartige Anbindung von Flughafen und Messe an die Schiene; in Stuttgart ein Plus an Parkflächen und ein neues Stadtquartier; für ganz Württemberg über viele Jahre zu uns fließende Investitionsmittel des Bundes und der Bahn.
Welches sind die Auswirkungen auf den Nahverkehr im Filstal?
HOFELICH: Die Neubaustrecke nimmt vor allem ICE und künftig auch leichte Güterzüge auf. Damit wird Kapazität auf der Filstal-Stammstrecke frei. Diese kann für einen S-Bahntakt genutzt werden. Das Ganze im Verkehrsverbund Region Stuttgart VVS mit Anschluss an den Ulmer Verkehrsverbund „Ding“. RE und IRE sollen weiter auf der Filstalstrecke fahren und die mittleren Reichweiten, zum Beispiel von Geislingen nach Stuttgart, abdecken. Güterverkehr wird es bei uns weiter geben. In welchem Ausmaß, entscheidet auch unser Bestellvolumen für den Personennahverkehr. Interessant ist, was passiert, wenn nichts passiert: Alle Verkehre bleiben dann im Neckar- und Filstal.
Der alte Krittian-Plan mit drittem und viertem Gleis, Kurvenbegradigungen sowie Tunnel aus dem Filstal auf die Alb feiert Wiederauferstehung. Was wird das für die Filstalgemeinden, ihre Häuserzeilen an den Gleisen und ihre Lebensqualität bedeuten? Was für den Bahnhof Geislingen? Nachdem die Grünen und die „Linke“ nun nicht nur gegen den Durchfahrbahnhof, sondern offensichtlich auch gegen die Neubaustrecke sind, müssen sie der Bürgerschaft zwischen Plochingen und Geislingen gegenüber dann die Konsequenzen verantworten.
Die Kosten sind extrem hoch – und steigen und steigen. Stimmt noch das Kosten-Nutzen-Verhältnis? Blockiert Stuttgart 21 nicht andere Projekte, für die dann kein Geld da ist?
HOFELICH: 4,1 Milliarden Euro für den Umbau des Hauptbahnhofs und der Gleise bis Wendlingen, 2,9 Milliarden Euro für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sind jetzt nach aktualisierter Berechnung festgestellt. Also sieben Milliarden Euro über rund zehn Jahre Bauzeit für ein Vorhaben, mit dem wir gegenüber Bayern und den Nord- und Ostländern wieder aufholen und das uns sicher rund 50 Jahre tragen wird. Zur Wahrheit und Klarheit gehört, dass diese Zahlen nochmal kritisch geprüft werden.
Wenn Stuttgart 21 nicht kommt, werden auf der Investitionsliste des Bundes für Schnellbahnstrecken die Gelder mutmaßlich zu Schnellbahnprojekten außerhalb unseres Landes fließen. Ich finde, dass wir mal baden-württembergisch denken sollten: Wir wollen in unserem Land zwei Schnellbahnstrecken schaffen, eine Nord-Süd im Rheintal und eine West-Ost zwischen Karlsruhe und Ulm. Diese „Magistralen“ werden Zulaufstrecken haben, zum Beispiel die Südbahn von Lindau bis Ulm oder die Filsbahn. So entsteht ein modernes Netz, von dem alle was haben. Solidarität in unserem Land heißt, dass wir mit der Magistrale Stuttgart – Ulm jetzt mal anfangen. Entsolidarisierung heißt, dass in Berlin „gepetzt“ wird, sowas sei doch gar nicht nötig und viel zu teuer und wir am Ende mit leeren Händen dastehen.
Halten Sie die technischen Herausforderungen der Untertunnelung für beherrschbar?
HOFELICH: Ich bin kein Ingenieur und muss auf die Fachleute vertrauen, sage aber „ja“. Mein Eindruck: Der Stuttgarter Untergrund ist über Jahrzehnte bestens erforscht und wir haben hinreichende Sicherheit, dass die Untertunnelung beherrschbar ist. Bei der Albüberquerung wissen wir am Albtrauf, dass Überraschungen, trotz akkurater Untersuchungen, kommen können. Soll man es deshalb aber abblasen? Was kann dann überhaupt noch gebaut werden?
Gegner sagen, der unterirdische Durchgangsbahnhof werde mit nur acht Gleisen zum Nadelöhr. Und dann noch Bahnsteige mit starkem Gefälle.
HOFELICH: Zunächst: Die Architekten haben die Bahnsteige zwischenzeitlich breiter gemacht und mehr Zugangstreppen zu den Bahnsteigen vorgesehen. Richtig so. Dann: Acht Gleise im Durchgangsbahnhof sind leistungsfähiger als 16 Gleise im Sackbahnhof – siehe Durchfahrbahnhöfe Köln, Hannover, Berlin. Der heutige wahre Engpass in Stuttgart ist, dass es nur fünf Zulaufgleise und sehr alte Gleisbauwerke vor dem Hauptbahnhof gibt. Der Modernisierungsbedarf für den Kopfbahnhof und dessen Gleisvorfeld beträgt auch deshalb geschätzt 3,5 Milliarden Euro. Und damit kaum weniger als für S21. Dennoch: Einer meiner Zweifel ist, ob ein sehr erfolgreicher Bahn-Knoten Stuttgart in ein paar Jahrzehnten mit acht Gleisen auskommt. Die Bahn muss deshalb politisch gezwungen werden, das neunte und zehnte Gleis vorzuhalten.
Auch an der SPD-Basis nimmt der Widerstand zu. Wird Stuttgart 21 zur Zerreißprobe für Ihre Partei? Zudem ist es ja nicht mehr weit bis zur Landtagswahl.
HOFELICH: Eine Bewährungsprobe, aber keine Zerreißprobe für die SPD. Das hätten einige gern. Wir in der SPD sind die einzige Partei, welche die unterschiedlichen Ansichten in der Bevölkerung bei sich auch austrägt. CDU und Grüne verharren in ihren Positionen. Wir haben auf mehreren Parteitagen demokratisch abgestimmt, dass wir für Stuttgart 21 sind.
Zur Landtagswahl: Da geht es um bessere Bildung, mehr erneuerbare Energien, zukunftsfeste Arbeitsplätze, Politik für Familien, Wegfall von Studiengebühren, sichere Innenstädte. Ich glaube nicht, dass die Bürger sich verführen lassen, ihre Wahlentscheidung nur an einem Thema festzumachen und dem grünen Wahlkalkül erliegen. Ich glaube auch nicht, dass die Ablehnung von Stuttgart 21 so bleibt, wenn man mal endlich das Bürgergespräch ernst nimmt.
Was tun? Baustopp, runder Tisch, Moratorium, Bürgerentscheid? Ist das Projekt wirklich unumkehrbar?
HOFELICH: „Unumkehrbar“ und „alternativlos“ gehören nicht zu meinem Vokabular, weil sie gegenüber dem Gesprächspartner etwas Erpresserisches mitschwingen lassen. Damit stirbt der Dialog. Die SPD in Baden-Württemberg hat die Initiative für eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ergriffen. Bei einem so komplexen Thema ist das sicherlich nicht einfach. Jetzt sind aber CDU, FDP und Grüne gefordert, Farbe zu bekennen. Bei einer Volksabstimmung geht es um das „für“ und nicht um das „dagegen“. Das wird unsere Demokratie stärken.
Die GEISLINGER ZEITUNG plant weitere Interviews zu Stuttgart 21 und der Schnellbahntrasse mit maßgeblichen Befürwortern und Gegnern der Projekte aus dem Kreis Göppingen.
zum Gespräch mit Bernhard Lehle im Rahmen dieser Reihe (Langfassung)…
zum Gespräch mit Jörg Matthias Fritz im Rahmen dieser Reihe…
zur Presseerklärung von Jörg-Matthias Fritz zu Stuttgart 21…
zum Gutachten im Auftrag der Grünen in Kurz- und Langfassung…