21 Schnellbahnstrecke Ulm-Wendlingen

Sorge um das Boßlerhaus

Vortrag zur Bauweise des ICE-Tunnels – „Hohes Maß an Sicherheit“

Autorin: SABINE ACKERMANN | NWZ 21.09.2010

Mit Sorgen sehen die Naturfreunde die Schnellbahntrasse Stuttgart-Ulm auf sich zukommen: Ihr Boßlerhaus liegt unter dem geplanten Tunnel. Zur Bauweise stand Ex-Planer Manfred Poethke Rede und Antwort.

Gruibingen. 50 überwiegend ältere Naturfreunde und Einheimische kamen zu einem Vortrag auf das Boßlerhaus, den die Organisatoren Thilo und Manfred Keierleber schon vor einem Jahr geplant hatten. Ihre Sorge: Steht das Boßlerhaus auf wackligem Boden, wenn der Tunnel gegraben beziehungsweise durch Sprengungen entsteht? „Wir haben fünf Erkundungsprogramme fürs Gesamtprojekt laufen lassen, um die geologischen Verhältnisse zu prüfen, um daraus Schlüsse für das Bauverfahren zu ziehen. Das sei ja wichtig für die Veranschlagung“, betont Referent Manfred Poethke, Diplom-Ingenieur und frühere Planer am Großprojekt. Im Fildertunnel ist das Problem Anhydrit, ein Gestein, das sich bei Berührung mit Wasser und Luft in Gips umwandelt und sich dabei bis zu 60 Prozent vergrößert und somit enorme Kräfte auf den Tunnel wirken können.

„Gegner haben hierzu Gutachter bestellt und meinten, diese Planschlamper würden durch das ganze Anhydrit fahren. Doch wir sagen, infolge der eingleisigen Tunnels drückt es von allen Seiten gleichmäßig, und dank des idealen Lastzustands kann man mit entsprechend größeren Bemessungen aus dem Gipskeuper herausgehen“, erklärt der Experte. Außerdem laufe in Stuttgart seit 25 Jahren die halbe Strecke der S-Bahn problemfrei in dem Anhydrit. Ferner sei der Anstieg nicht so steil wie es die Opponenten behaupteten. Ein Vergleich mit der Kapruner Gletscherbahn wies er zurück: Dort habe man Steigungen bis zu 42 Prozent, im Boßlertunnel nur 2,5 Prozent. Laut Abschlussbericht des Regierungspräsidiums soll per schnell belastbarer Spritzbetonweise gebaut werden, die zwar langsamer vorangeht, dafür aber kostengünstiger ist. Hierzu muss noch der Beschluss rechtskräftig werden.

„Problem Verkarstungen. Wird also erst während der Bauphase entschieden, wie man die nächsten 50 Meter weiter fortfährt?“ eröffnete ein Zuschauer die Diskussionsrunde. Grundsätzlich erfordere ein Tunnelbau von dem Zeitpunktan, an dem der Meißel reingeht, erhöhte Aufmerksamkeit des unbekannten Terrains. Um aber eine gewisse Sicherheit zu bekommen, seien ja die Erkundungsprogramme gemacht worden, erwiderte Poethke. Er sehe keinen Nachteil für das Boßlerhaus. Wie weit die Schutzmaßnahmen den Erhalt der kleinen Quellen nebst den einmaligen Naturschutzgebieten sichern, konnte der Fachmann nicht sagen.

Warum werden Deponien eingerichtet und der Aushub nicht gleich auf dem Gleis abtransportiert, wollte ein Zuhörer wissen? Zwischen Kirchheim und Holzmaden wird eine Beförderungsstelle eingerichtet, gleichwohl braucht es Abraumhalden, ohne die es logistisch sehr schwer werden würde. „Glaubt eigentlich die Bahn im Ernst, dass ein Mensch von Paris nach Bratislava fährt“, kam es nicht ganz ernst gemeint aus einer Ecke? „Nein. Doch auf den Teilstrecken gibt es dagegen jede Menge Durchgangsverkehr. Wer von Ludwigsburg nach Plochingen fahren will, muss noch umsteigen, später nicht mehr“, konterte der Referent. Des Weiteren würden Güterzüge bis 1000 Tonnen Gewicht eingesetzt, wobei Poethke bedauerte, dass die Cargo-Sprinter seinerzeit abgeschafft wurden. Ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisteten die zwei gut vier Meter voneinander entfernten und neun Meter hohen eingleisigen Tunnelröhren, die auf einer Strecke von 8,7 Kilometern mit 213 Metern Höhenunterschied pro Stunde rund 60 Züge in beiden Richtungen durch den Boßler schleusten. Letztendlich konnte der Ingenieur nicht alle Fragen zur Zufriedenheit beantworten und manchen nicht die Sorge über die Tunnelbauten nehmen.

zum Leserbrief von Walter Bader hierzu…

zurück zur Presseübersicht September 2010…

Vor dem Meißel ist unbekanntes Land

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 20.09.2010

Gruibingen. Nach fünf Probebohrungen wirbt der Bahningenieur Poethke um Vertrauen in die Tunnelbauer.

Welche Tücken im karstigen Gestein der Schwäbischen Alb ruhen, ist den Mitgliedern der Göppinger Naturfreunde kürzlich vor Augen geführt worden. Im Sommer 2009 hatte eine Baufirma nur 20 Meter von ihrem Vereinshaus auf dem Boßler bei Gruibingen entfernt einen Mast für den Behördenfunk aufstellen wollen. „Überall ist felsiger Untergrund", sagt Thilo Keierleber von den Naturfreunden. Nur dort, wo der Mast gegründet werden sollte, war nichts als Lehm. So mussten zur Verankerung schließlich fünf Bohrpfähle zwölf Meter tief in den Boden gerammt werden.

Solche Überraschungen sind es, die auch die geplante Neubaustrecke der Bahn zwischen Wendlingen und Ulm zu einem Vorhaben mit unbekannten Risiken machen. Die Hälfte der 60 Kilometer langen Strecke soll durch Tunnel führen. Der längste wird 8,8 Kilometer messen und nur 50 Meter südlich, aber in 150 Meter Tiefe am Boßlerhaus vorbeiführen. Fünf Erkundungsprogramme hat die Deutsche Bahn veranlasst, um die geologischen Verhältnisse zu ergründen. Seither sind die Experten zuversichtlich. „Wir haben ein Bild davon, was da auf uns zukommt", sagt Manfred Poethke.

Der 68-jährige Ingenieur hat das Projekt Stuttgart 21 vom Beginn in den achtziger Jahren bis zu seinem Übertritt in den Ruhestand im Jahr 2008 als leitender Planer bei der Bahn betreut. Jetzt tingelt er im Auftrag des Turmforums Stuttgart 21 durch die Lande, um für das Projekt die Werbetrommel zu rühren. „Keiner kennt sich so gut aus wie er", sagt der Naturfreund Keierleber, der Poethke in der Reihe „Geschichten rund um den Boßler" ins Naturfreundehaus eingeladen hat. Allerdings gibt es wohl kaum jemand anderen, der mit dem Thema vertraut ist. „Ich habe lange vergeblich nach einem Referenten gesucht", sagt Keierleber.

Poethke nimmt nicht einmal ein Honorar. Das zahlt die Bahn. Ganz kostenlos ist sein Auftritt für die 50 Besucher aber nicht, die eigens bei Dunkelheit zwei Kilometer durch den Wald marschiert sind, um zu dem auf 777 Meter Höhe gelegenen Boßlerhaus zu gelangen. Eine Stunde lang müssen sie sich die bekannten Argumente für den Bau des Tiefbahnhofs in Stuttgart anhören. „Ich bin naturgemäß für Stuttgart 21 , ich habe ja dafür gearbeitet", sagt Poethke. Im Publikum erntet dieses Bekenntnis wenig Begeisterung.

Erst dann kommt er zum eigentlichen Thema. Tief unter dem Boßler habe man es vor allem mit Braunjura zu tun. Dieses Gebirge habe die Angewohnheit, dass es sich bei Hohlräumen entspannt und leicht verformt. Dies könne aber mit Betonstahlmatten vermieden werden. Problematischer sei der Steinbühltunnel, der sich hinter der Filstalbrücke anschließe. Hier gerate man ins oberflächennähere Karstgestein. Welche Tiefenhöhlen den Tunnelbauern dort in die Quere kämen, könne niemand wissen. „Dort wo der Meißel reingeht, ist unbekanntes Land." Die Höhlen könnten aber mit Beton verschlossen werden. Das Kostenrisiko sei gering. „Seit dem Bau der Neubaustrecke Nürnberg-Ingoldstadt wissen wir, was für Risikozuschläge im Karstgestein nötig sind", sagt Poethke. „Wir müssen den Tunnelbauern auch etwas zutrauen."

Großes Vertrauen hat Poethke auch in die Genehmigungsbehörden. Fragen nach dem Lärm an der Filstalbrücke, dem Abtransport des Bauschutts, der Sicherheit der Röhren und der Unverletzlichkeit der ausgewiesenen Natur- und Vogelschutzgebiete beantwortet er unisono: All dies sei bekannt und werde „sicher im Planfeststellungsverfahren erfasst".

zurück zur Presseübersicht September 2010…