20 Schnellbahnstrecke Ulm-Wendlingen (Kopie 1)

„Fast alle Einwände wurden verworfen“

Interview

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 20.09.2010

Mühlhausens Bürgermeister Bernd Schaefer will notfalls juristisch gegen die Planfeststellung zur Neubautrasse vorgehen.

In Stuttgart wird um den Hauptbahnhof gekämpft, doch auch die Neubaustrecke nach Ulm ist umstritten. Ein Gutachten im Auftrag der Grünen hat massive Zweifel an der Finanzierbarkeit genährt. In Mühlhausen, das im Schatten der geplanten Filsbrücke liegt, war man noch nie begeistert von dem Vorhaben. Auch der neue parteilose Bürgermeister Bernd Schaefer sieht die Trasse kritisch.

Herr Schaefer, nun ist auch die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm wieder in die Diskussion geraten. Freut Sie das?
Ich bin da zweigeteilter Meinung. Einerseits sehe ich als fortschrittlicher Mensch die Notwendigkeit, in moderne Infrastruktur zu investieren. Aber ich habe da auch einen kritischen Ansatz.

Nämlich?
Mich stören drei Dinge. In einer Zeit, in der etwa zwei Drittel aller Kommunen keinen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen können und das Land Baden-Württemberg und der Bund nicht wissen, wie sie sich finanzieren sollen, wird hier an einem Projekt mit einer Sturheit festgehalten, bei dem regelmäßig höhere Kosten vermeldet werden. Es scheint den Eindruck zu erwecken, dass dieses Projekt durchgezogen wird, unabhängig der tatsächlich entstehenden Kosten. Das ist für mich nicht mehr nachvollziehbar. Durch diese „Blankogenehmigung" fehlt auf anderen Gebieten das Geld. Wir in Mühlhausen im Täle könnten zum Beispiel vom geplanten neuen Albaufstieg der Autobahn A 8 profitieren. Aber das kann nicht gebaut werden, weil anscheinend kein Geld da ist. Die Kosten hierfür würden nur einen Bruchteil der neu berechneten Kostenerhöhung betragen.

Und der zweite Grund?
Auf meiner Gemarkung ist die große Filstalbrücke über das Hasental geplant. Das bringt nicht nur während der Bauzeit erhebliche Belastungen mit sich, sondern auch während des künftigen Betriebs. Der Lärm ist nicht zu vernachlässigen. Zulässige berechnete Mittelwerte und Mindeststandards beim Lärmschutz reichen nicht aus. Hier muss noch deutlich nachgebessert werden. Das Argument, dass auch dem Bahnreisenden ein Blick auf das schöne Obere Filstal ermöglicht werden soll, ist schon fast lächerlich. Bis der Reisende aus dem Fenster schaut, ist er schon wieder im nächsten Tunnel.

Was wäre Ihr Vorschlag?
Jetzt noch über Alternativen zu reden ist fast schon sinnlos, aber auf fast der gesamten Strecke zwischen Stuttgart und Ulm wird die Neubautrasse entlang der Autobahn geführt, nur hier am Albaufstieg nicht. Das ist mein dritter Kritikpunkt. Hier muss ich nochmals die Frage aufwerfen, warum nicht beide Projekte miteinander verknüpft werden könnten, von der Planung her und von der Durchführung. Ein gemeinsamer Aufstieg für Autobahn und Bahn hätte aus meiner Sicht deutliche Vorteile bei der Finanzierung, der Bauabwicklung und natürlich auch hinsichtlich der Umweltaspekte.

Welche Bedenken haben Sie?
Wenn Waldrodungen begründet werden mit naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen, kann ich das nicht mehr verstehen. Auch sind sich die Experten anscheinend sicher, dass sie ohne weitere Probleme durch unsere Gesteinsschichten Tunnel bohren können. Ich bezweifle dies. Die hydrogeologischen Zusammenhänge hier auf der Alb konnte noch kein Mensch wissenschaftlich darlegen. Probebohrungen stehen meiner persönlichen Ansicht zwar entgegen, aber punktuellen Proben vertraue ich nicht mit Sicherheit.

Jetzt hat sich auch im Kreis Göppingen eine Aktionsgemeinschaft gegen Stuttgart 21 gegründet. Wäre das auch etwas für Sie?
Das kommt darauf an, wie eine solche Aktionsgemeinschaft agiert. An konstruktiven Gesprächen würde ich teilnehmen, aber in der Funktion als Bürgermeister beteilige ich mich nicht an einer Demonstration. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: ich halte es für gut, wenn die Bürger auf die Straße gehen. Aber als Körperschaft hat man einfach andere Mittel.

Sind Sie denn bisher ausreichend gehört worden?
Natürlich konnten wir uns im Anhörungsverfahren äußern. Einige Einwendungen wurden berücksichtigt, die meisten jedoch verworfen. Meist wurde dabei darauf hingewiesen, dass man den gesetzlichen Mindestanforderungen ja genüge.

Und nun?
Die Planfeststellung befindet sich offensichtlich in der Endphase. Es ist natürlich zu überlegen, ob dann nicht auch juristisch gegen die Feststellung vorgegangen werden soll. Aktuell denke ich, es ist Zeit, bei den zuständigen Behörden und Stellen nochmals schriftlich auf unsere Anliegen und Bedenken aufmerksam zu machen. Zusätzlich werde ich an Gesprächen mit Verantwortlichen teilnehmen, um uns dort Gehör zu verschaffen.

ZUR PERSON

Bernd Schaefer amtiert im 1000-Einwohner-Ort Mühlhausen im Täle seit Juni 2010. Der 37-Jährige hatte sich zuvor im zweiten Wahlgang mit fast 50 Prozent gegen zwei Mitbewerber druchgesetzt. Der parteilose Schaefer ist verheiratet und hat zwei Söhne. Schon sein Vorgänger Gebhard Tritschler, der jetzt Bürgermeister im Nachbarort Wiesensteig ist, sah die Neubaustrecke kritisch. Denn die Mühlhausener werden mangels Bahnhof den Zug nur durchrasen sehen.

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Vor dem Meißel ist unbekanntes Land

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 20.09.2010

Gruibingen. Nach fünf Probebohrungen wirbt der Bahningenieur Poethke um Vertrauen in die Tunnelbauer.

Welche Tücken im karstigen Gestein der Schwäbischen Alb ruhen, ist den Mitgliedern der Göppinger Naturfreunde kürzlich vor Augen geführt worden. Im Sommer 2009 hatte eine Baufirma nur 20 Meter von ihrem Vereinshaus auf dem Boßler bei Gruibingen entfernt einen Mast für den Behördenfunk aufstellen wollen. „Überall ist felsiger Untergrund", sagt Thilo Keierleber von den Naturfreunden. Nur dort, wo der Mast gegründet werden sollte, war nichts als Lehm. So mussten zur Verankerung schließlich fünf Bohrpfähle zwölf Meter tief in den Boden gerammt werden.

Solche Überraschungen sind es, die auch die geplante Neubaustrecke der Bahn zwischen Wendlingen und Ulm zu einem Vorhaben mit unbekannten Risiken machen. Die Hälfte der 60 Kilometer langen Strecke soll durch Tunnel führen. Der längste wird 8,8 Kilometer messen und nur 50 Meter südlich, aber in 150 Meter Tiefe am Boßlerhaus vorbeiführen. Fünf Erkundungsprogramme hat die Deutsche Bahn veranlasst, um die geologischen Verhältnisse zu ergründen. Seither sind die Experten zuversichtlich. „Wir haben ein Bild davon, was da auf uns zukommt", sagt Manfred Poethke.

Der 68-jährige Ingenieur hat das Projekt Stuttgart 21 vom Beginn in den achtziger Jahren bis zu seinem Übertritt in den Ruhestand im Jahr 2008 als leitender Planer bei der Bahn betreut. Jetzt tingelt er im Auftrag des Turmforums Stuttgart 21 durch die Lande, um für das Projekt die Werbetrommel zu rühren. „Keiner kennt sich so gut aus wie er", sagt der Naturfreund Keierleber, der Poethke in der Reihe „Geschichten rund um den Boßler" ins Naturfreundehaus eingeladen hat. Allerdings gibt es wohl kaum jemand anderen, der mit dem Thema vertraut ist. „Ich habe lange vergeblich nach einem Referenten gesucht", sagt Keierleber.

Poethke nimmt nicht einmal ein Honorar. Das zahlt die Bahn. Ganz kostenlos ist sein Auftritt für die 50 Besucher aber nicht, die eigens bei Dunkelheit zwei Kilometer durch den Wald marschiert sind, um zu dem auf 777 Meter Höhe gelegenen Boßlerhaus zu gelangen. Eine Stunde lang müssen sie sich die bekannten Argumente für den Bau des Tiefbahnhofs in Stuttgart anhören. „Ich bin naturgemäß für Stuttgart 21 , ich habe ja dafür gearbeitet", sagt Poethke. Im Publikum erntet dieses Bekenntnis wenig Begeisterung.

Erst dann kommt er zum eigentlichen Thema. Tief unter dem Boßler habe man es vor allem mit Braunjura zu tun. Dieses Gebirge habe die Angewohnheit, dass es sich bei Hohlräumen entspannt und leicht verformt. Dies könne aber mit Betonstahlmatten vermieden werden. Problematischer sei der Steinbühltunnel, der sich hinter der Filstalbrücke anschließe. Hier gerate man ins oberflächennähere Karstgestein. Welche Tiefenhöhlen den Tunnelbauern dort in die Quere kämen, könne niemand wissen. „Dort wo der Meißel reingeht, ist unbekanntes Land." Die Höhlen könnten aber mit Beton verschlossen werden. Das Kostenrisiko sei gering. „Seit dem Bau der Neubaustrecke Nürnberg-Ingoldstadt wissen wir, was für Risikozuschläge im Karstgestein nötig sind", sagt Poethke. „Wir müssen den Tunnelbauern auch etwas zutrauen."

Großes Vertrauen hat Poethke auch in die Genehmigungsbehörden. Fragen nach dem Lärm an der Filstalbrücke, dem Abtransport des Bauschutts, der Sicherheit der Röhren und der Unverletzlichkeit der ausgewiesenen Natur- und Vogelschutzgebiete beantwortet er unisono: All dies sei bekannt und werde „sicher im Planfeststellungsverfahren erfasst".

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