30 Verkehr (Birk)

„Alternativen gibt es nicht“ (Interview)

Für den CDU-Politiker ist Stuttgart 21 eine Riesenchance für den Landkreis

Interviewer: HELGE THIELE | NWZ 30.09.2010.

Der Protest gegen Stuttgart 21 reißt nicht ab, obwohl das Bahnprojekt seit 15 Jahren demokratisch geplant wird. Das stößt beim Göppinger CDU-Landtagsabgeordneten Dr. Dietrich Birk auf großes Unverständnis.



Herr Birk, hält die Landesregierung den Konflikt um Stuttgart 21 durch? Oder gibt es bereits einen Plan B für den Ausstieg aus dem Bahnprojekt?
DIETRICH BIRK: Nein, es gibt keinen Plan B. Über das Projekt wurde 15 Jahre lang beraten und diskutiert. Es gibt zahlreiche demokratisch gefasste Beschlüsse. Und das Projekt ist intensiv geprüft – von, Fachplanern und Ingenieuren, Verwaltung, Politik und Gerichten. Stuttgart 21 ist baureif. Der Bau hat begonnen. Und er wird fortgesetzt.

Das Projekt ist also festgezurrt?
BIRK: Was den Bau betrifft, ja. Aber es gibt noch viele Gestaltungsmöglichkeiten für die frei werdenden Flächen im Gleisvorfeld des neuen Bahnhofs. Auf 100 Hektar entsteht ein neues Stadtviertel. Man sollte sich jetzt darauf konzentrieren, wie diese Fläche genutzt werden kann, auch im Sinne der Verbindung von Ökologie, Wohnen und Arbeiten.

Warum sind die Projekte Stuttgart 21, also die Umwandlung des bestehenden Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof, und der Bau der Schnellbahntrasse zwischen Wendlingen und Ulm Ihrer Ansicht nach so wichtig?
BIRK: Baden-Württemberg und die Region Stuttgart nehmen in Europa wirtschaftlich eine Spitzenposition ein. Das heißt, unsere Wirtschaft, die Arbeitswelt, die Bürger sind in hohem Maße abhängig von sehr guten Verkehrsverbindungen. Der Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz ist wichtig. Wir können uns nicht das Risiko leisten, dass diese Verbindungen an Baden-Württemberg vorbei laufen. Wir reden nicht nur von der Verbindung Paris-Stuttgart-Budapest, sondern auch von der Nord-Süd-Verbindung. Für den Kreis Göppingen ist das Projekt von ebenso überragender Bedeutung: Erst durch Stuttgart 21 und die Neubaustrecke werden Gleiskapazitäten frei für eine Stärkung des Regional- und Nahverkehrs sowie eine S-Bahn ins Filstal.

Bei den Gegnern der Projekte ziehen diese Argumente nicht. Im Gegenteil, der Protest wird schärfer. Die Kritiker verweisen auf die ihrer Meinung nach viel zu hohen Kosten, sie bestreiten den Nutzen und bringen Alternativen ins Spiel. Für wie realistisch halten sie diese?
BIRK: Für Alternativen gibt es bislang überhaupt keine baureifen Planungen. Ein Stopp für Stuttgart 21 und den Bau der Neubaustrecke würde für das Filstal immense Nachteile mit sich bringen. Was wäre die Alternative? Ein Ausbau der Filstaltrasse, der schon in den 80er Jahren diskutiert und dann zurecht verworfen wurde. Auf die Städte und Gemeinden im Filstal käme eine erhebliche Mehrbelastung, etwa durch den notwendigen Bau eines dritten oder sogar vierten Gleises, um den Fern- Regional- und Nahverkehr abwickeln zu können. Kurven müssten begradigt, Sicherheitsabstände geschaffen, Schallschutzwände errichtet werden. Solche Planspiele sind den Menschen im Filstal unter keinen Umständen zuzumuten. Es würde aufgrund der weiteren Zerschneidung der Kommunen einen Aufstand der Bürgerschaft geben. Auch der immer wieder erwähnte Einsatz von Neigetechnikzügen wäre kein Ersatz für eine moderne Hochgeschwindigkeitsstrecke.

Die Gegner argumentieren, die Neubaustrecke würde sich wegen ihrer Steigung für den Güterverkehr gar nicht eignen. Richtig oder falsch?
BIRK: Die Experten der Bahn gehen in ihrer Prognose davon aus, dass bis zur Inbetriebnahme der Schnellbahntrasse ein erheblicher Anteil moderner Güterzüge auf der Neubaustrecke fahren können.

Und die Milliarden, die Stuttgart 21 und die Neubaustrecke kosten?
BIRK: Es gibt kein Verkehrsprojekt, das so genau und intensiv durchgerechnet wurde wie Stuttgart 21 und die Neubaustrecke. Was viele bisher nicht zur Kenntnis genommen haben: 80 Prozent der Baukosten tragen die Bahn und der Bund. Bislang beklagten wir, dass Baden-Württemberg zu wenig Investitionsmittel vom Bund bekommt. Jetzt erhalten wir zum ersten Mal in nennenswertem Umfang Mittel der EU, des Bundes und der Bahn, um zukunftsgerichtet zu investieren. Im Hinblick auf eventuelle Mehrkosten wurde Risikovorsorge getroffen, die Mittel dafür sind in den Haushalten und den Finanzplanungen eingestellt. Es ist richtig, das Projekt jetzt zu realisieren, denn jeder spätere Einstieg würde das Projekt verteuern.

Und was bedeutete ein Ausstieg?
BIRK: Das Land würde in ganz erheblichem Maße schadenersatzpflichtig, die Rede ist von 1,4 Mrd. Euro, die zweckgebundenen Investitionsmittel würden in Bahnprojekte anderer Bundesländer gehen und wir stünden mit leeren Händen da.

Wie erklären Sie sich, dass der Widerstand gegen Stuttgart 21 dermaßen hochkocht und zu eskalieren droht?
BIRK: Bauherr des Projekts ist die Deutsche Bahn AG. Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit dem Projekt. Was bisher sicher gefehlt hat, ist die überzeugende Kommunikation und Visualisierung des künftigen Bahnhofsbereichs und der neuen Streckenführung. Wir werden jetzt eine intensive Informationskampagne starten, um die Vorteile durch die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene aufzuzeigen. Ziel ist es auch, die ökologischen Vorteile des Projekts aufzuzeigen. Durch das Bahnprojekt und die damit verbundene Verlagerung von Verkehr auf die Schiene lassen sich 175 000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen. Wir werden noch einmal erklären, dass in Stuttgart 30 Hektar neue Parkfläche und damit eine neue ,grüne Lunge’ im Talkessel entsteht. Wir informieren darüber, dass 5000 neue Bäume gepflanzt werden. Ich spüre aber jetzt schon: Die Zahl der Befürworter von Stuttgart 21 nimmt täglich zu, wie uns die Unterstützerforen mit über 45 000 Sympathisanten im Internet belegen. Auch im Landkreis Göppingen sind wir dabei, eine Aufklärungs- und Unterstützerkampagne zu starten, um den Menschen aufzuzeigen, wie sehr sie zum Beispiel durch Fahrtzeitverkürzungen, umsteigefreie Verbindungen in Richtung Karlsruhe und die Anbindung des Flughafens und der neuen Messe profitieren. So verkürzt sich die Fahrzeit zum Flughafen von 68 auf 43 Minuten. Der Landkreis Göppingen rückt durch Stuttgart 21 noch näher an die gesamte Region Stuttgart heran. Das bedeutet eine große Chance für Arbeitsplätze und Wohnqualität im Stauferkreis.

Die SPD ist, was Stuttgart 21 betrifft, gespalten. Die Sozialdemokraten im Kreis stehen aber weiterhin hinter dem Projekt. Macht Ihnen das Mut?
BIRK: Ich begrüße es natürlich, dass die SPD auf kommunaler und regionaler Ebene inhaltlich weiter voll hinter Stuttgart 21 steht. Auf Landesebene ist die SPD tief gespalten.

SPD-Landeschef Nils Schmid sagt, er sei auch für Stuttgart 21, er will jedoch eine Volksbefragung durchsetzen. Was halten Sie davon?
BIRK: Meiner Meinung nach ist ein Volksbegehren schon aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich. Die Deutsche Bahn ist übrigens im Besitz einer rechtlich einwandfreien Baugenehmigung.

Die Gegner von Stuttgart 21 haben den Dialog jetzt platzen lassen. Was halten Sie von diesem Signal?
BIRK: Ich bin darüber sehr enttäuscht, denn Politik muss immer dialogfähig sein. Man merkt jedoch auch, dass der Protest von langer Hand und professionell vorbereitet wurde. Nicht jedem Demonstranten geht es um Stuttgart 21 und den Park. Es ist heutzutage offenbar leichter, gegen etwas zu sein, als für etwas und das auch zu zeigen. Man fragt sich: Wo verläuft die Grenze zwischen wirklichem Interesse an Sachfragen und der aggressiven Absicht, nur Unruhe zu stiften? Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein hohes Verfassungsgut. Aber bei Gewalt und Nötigung, da hört’s auf. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit unserer Polizei, die besonnen aber auch konsequent reagiert.

Zur Person

Dietrich Birk ist 43 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne. Seit 1996 gehört der Christdemokrat, der mit seiner Familie in Jebenhausen lebt, als Abgeordneter des Wahlkreises Göppingen dem Landtag an. Seit 2006 ist Birk Staatssekretär im
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Birk ist stellvertretender Landesvorsitzender der CDU.

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