14 Bad Boll: Stromnetzwechsel

Bad Boll verweigert die Gefolgschaft

Kritik am Neckar-Elektrizitätsverband

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 14.10.2010

Bad Boll zeigt dem Neckar-Elektrizitätsverband die kalte Schulter: Die Gemeinde votiert für ein Austrittsrecht mit Auszahlung.

Bad Boll. Überraschung in Bad Boll: Die Gemeinde verweigert sich dem Ziel des Neckar-Elektrizitätsverbands, mit einer neuen Satzung wieder Schlagkraft zu gewinnen. Der Verband von 167 Kommunen in der Region, einst das kommunale Rückgrat der Neckarwerke, ist seit deren Auflösung in einen Dornröschenschlaf verfallen und sucht jetzt eine neue Rolle.

Die sieht die Verbandsführung darin, eine neue Netzgesellschaft zu gründen, die als neuer Stromlieferant für Gemeinden auftreten kann und den regenerative Energien gebührenden Stellenwert einräumen will. Sie will aber nur Mehrheitsgesellschafter sein, mit 51 Prozent, und die ENBW als Partner mit ins Boot holen. Mit dem Energieriesen ist sie ohnehin verbandelt. Der NEV hält noch einige Prozent der ENBW-Anteile.

Diesen Weg will der Bad Boller Gemeinderat dem NEV nicht verbauen. Mit acht gegen fünf Stimmen billigte er diese Perspektive. Gleichzeitig votierte aber eine Mehrheit von sieben gegen sechs Stimmen dafür, dass der NEV den Mitgliedskommunen den Ausstieg mit Auszahlung von Vermögensanteilen ermöglichen soll. Sprich: Bad Boll soll austreten dürfen und erklecklich Geld mitnehmen.

Das genau will der NEV nicht. Er will das Vermögen, das er über die Auflösung der Neckarwerke hinweg gerettet hat und das immerhin noch 100 Millionen betragen soll, nicht noch weiter schmälern, sondern daraus neue Stärke gewinnen. Mit Händen und Füßen hat sich der Verband schon 1997 gegen den Austritt der Stadt Fellbach gewehrt.

Bürgermeister Hans-Rudi Bührle sträubte sich gegen eine Auszahlungspflicht des Verbands. Eine Grundlage dafür gebe es nicht, „Bad Boll hat nie etwas eingezahlt, es gab nie eine Umlage.“ Außerdem sei eine Auszahlungspflicht eine Einladung an alle Mitglieder, den NEV zu verlassen. Der Schultes warnte vor der Auflösung des Verbands.

Die Grüne Liste sah den NEV hingegen „eher kritisch“. Was sei der bisherige Nutzen des Verbands gewesen? fragte Dorothee Kraus-Prause. Hannes Baab sah einen Widerspruch darin, dass der NEV mit einer Gesellschaft regenerative Energie bieten wolle und dazu die ENBW als Partner nehme, die auch Atomstrom produziere. „Ich frage mich, was das soll.“ Und wem gehören die 100 Millionen, wenn nicht den Verbandsgemeinden? fragte Dorothee Kraus-Prause. Dem Verband als solchem, lautete Bührles Antwort. So sah es auch Rainer Staib (CDU). Man könne auch bei einer Genossenschaftsbank nur einfordern, was man einbezahlt habe.

Der Schultes nahm den NEV noch einmal in Schutz. Er traue der Absicht, dass der Verband mit seiner künftigen Netzgesellschaft regenerative Energie bieten wolle, und die ENBW mache in dieser Hinsicht ja auch einiges. Und was den Nutzen des NEV betreffe: Er habe seit Jahren immerhin die Bündelausschreibungen für Strom organisiert, wovon auch Bad Boll profitiert habe.

Die Bad Boller Beschlüsse werden in die anstehende Sitzung des Neckarelektrizitätsverbands einfließen. Da hat die Gemeinde aber nur einen winzigen Stimmenanteil. Viele andere Kreisgemeinden werden dort auch mitstimmen.

zurück zur Presseübersicht Oktober 2010…

Schuss vor den Bug gesetzt

KOMMENTAR

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 14.10.2010

Vielleicht ist es nur ein Sturm im Wasserglas, auf jeden Fall aber ein Signal: Der Bad Boller Gemeinderat hat dem Neckar-Elektrizitätsverband einen Schuss vor den Bug gesetzt, indem er eine Ausstiegsklausel mit Ausschüttung anVermögensanteilen des Verbands fordert. Genau das will der Verband verhindern, weil er sonst geschwächt werden und ausbluten könnte.

Der Verband muss sich über die Haltung in Bad Boll nicht sorgen, weil die Kurgemeinde nur ein Mitglied von 167 ist, und eine Mehrheit für diese Forderung zeichnet sich nicht ab. Bedeutung hat der Vorgang aber vor dem Hintergrund, dass die Stromkonzessionsverträge auslaufen und sich viele Gemeinden im Kreis fragen, ob sie sich neu orientieren sollen. Bisher war das westliche Kreisgebiet in ENBW-Hand. Aber Göppingen könnte sich selbstständig machen, und Bad Boll hat schon mal das Albwerk Geislingen zum Vortrag gebeten. In der Badgemeinde, das hat die Abstimmung gezeigt, gibt es eine starke Strömung, dass der künftige Stromkonzessionär ökologischen Strom bieten soll. Das ergibt sich aus ihrem ökologischen Anspruch. Der NEV und der ENBW trauen das die Grünen im Gemeinderat nicht zu. Sie werfen der ENBW vor, dass sie auch Atomstrom produziert. Vielleicht bekommen sie eine Mehrheit, wenn es um die große Weichenstellung geht. Und die Nachbargemeinden im Voralbgebiet schauen schon auch darauf, was Bad Boll macht.

zurück zur Presseübersicht Oktober 2010…