14.10.10 Rede Fritz an KMV

Rede von Jörg-Matthias Fritz an der Kreismitgliederversammlung vom 14. Oktober 2010

zum Kurzbericht für die Presse…

Grüner Weg durch schwarzes Land

Vor nunmehr über dreißig Jahren gründeten wir im September 1979 in Sindelfingen eine neue politische Kraft in Baden-Württemberg – Die Grünen.

Im ersten Landesprogramm heißt es: „Die Leitidee der grünen Bewegung ist der ökologische Humanismus. Sie muss die im Westen und Osten herrschende Ideologie ablösen, wenn die Menschheit noch eine lebenswerte Zukunft haben soll. Ökologischer Humanismus heißt, dass – aus dem Wissen um die Endlichkeit unseres Planeten und aus dem Bewusstsein der konkreten Zusammenhänge seiner Lebensgesetze – die verantwortliche Erhaltung und Pflege der Natur an die Stelle ihrer gewissenlosen Ausplünderung zu treten hat.“ (Landesprogramm die Grünen 1980)

Wie steht es um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen gut dreißig Jahre später?
Die Eisberge in Grönland schmelzen schneller als Wissenschaftler dies noch vor drei oder vier Jahren vorhersagten. Die Nord-Ost-Passage durch das arktisches Eis, nach der Franklin solange suchte, ist mittlerweile befahrbar. Zur Erinnerung: Ein Schmelzen der gesamten inländischen Gletscher hätte einen Anstieg des Meeresspiegels um rund 30 Zentimeter zur Folge; ein vollständiges Abschmelzen des arktisches Eises zöge einen Anstieg um fünf bis sechs Meter nach sich; schmelzen gar die antarktischen Gletscher, so haben wir einen Meeresspiegel zu erwarten, der 30 bis 50 Meter über dem heutigen liegt. Was dies bedeutet, mag ich mir nicht ausmalen.

Wir haben in diesem Sommer wieder einen Vorgeschmack von dem bekommen, was Klimawandel bedeutet. Vom Menschen verursachte Naturkatastrophen finden nicht nur in Pakistan oder in Nigeria statt. Die Fluten in Sachsen und an der Weichsel – manche Dörfer und Städte in Polen wurden gleich dreimal von den Wassermassen heimgesucht – sollten uns alarmieren: Klimawandel ist nicht morgen oder übermorgen, Klimawandel hat bereits begonnen. Ob an der Rhone, an der Elbe oder der Oder, an der Moldau oder am Rhein, fast jedes Jahr erleben verheerende Überschwemmungen, die schönfärberisch als Jahrhunderthochwasser eingestuft werden.

Die Gegenwart bietet genügend Beispiele für das, was uns die Zukunft noch zu bieten hat: Der Aralsee und der Tschadsee sind im Laufe der letzten Jahrzehnte so gut wie verschwunden, der größte Binnensee der Welt, das Kaspische Meer, hat nur noch einen Bruchteil seiner alten Ausdehnung und zieht sich Jahr um Jahr weiter zurück. Im Sudan ist die Wüste in den vergangen vierzig Jahren hundert Kilometer gewandert.

Gerade auch weil wir dieses Jahr das Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung feiern, müssen wir auch über neue Mauern und die neuen Stacheldrahtzäune sprechen. Jährlich sterben Tausende bei dem Versuch, die Küsten Europas zu erreichen. Man braucht keine Phantasie bemühen, um in ihnen Vorboten zu erkennen. Die Flüchtlinge riskieren ihr Leben auf klapprigen Kuttern und anderen Seelenverkäufern, weil ihre Existenz und die ihrer Familien bedroht ist.

Heute veröffentlichten die Wirtschaftsweisen ihr Herbstgutachten. 3,5 Prozent Wachstum sagen die Wirtschaftsforscher für dieses Jahr voraus und alle Welt jubelt, wie gut wir die Wirtschaftskrise überstanden hätten. Bundeswirtschaftsminister Brüderle bemüht sich aus Japan sein Gefasel vom „XL-Aufschwung“ gebetsmühlenhaft zu wiederzukauen.

Ja, ist denn Wachstum per se ein Heilsversprechen?
„Wachstum, Wachstum um jeden Preis“, sagt Meinhard Miegel, Vorstand des konservativen „Denkwerk Zukunft", und fügt hinzu: „Wir verhalten uns wie Drogensüchtige. Und“, ich zitiere weiter, „da echtes, solides Wachstum vielen nicht reichte, wurden riesige Schaumberge geschlagen. Jetzt wird mit enormen Steuermitteln der nächste Schaumberg geschlagen. Was da getrieben wird, ist doch nicht normal. Wir sollten uns als Gesellschaft … eingestehen: Wir haben uns übernommen. … Wir sind Opfer einer Ideologie immerwährender wirtschaftlicher Wachstumsmöglichkeiten.“ (Ende des Zitats)

Einen weiteren ausgewiesenen Konservativen will ich zu Wort kommen lassen: „Wir spannen für die einen, die sich im Wirtschaftswettbewerb nicht bewährt haben, einen Rettungsschirm, lassen aber die anderen, die an dieser Fehlentwicklung nicht beteiligt sind, im Regen stehen“, schreibt Paul Kirchhof, ehemaliger Bundesverfassungsrichter. „Wir lagern“, so Kirchhof, „gifthaltige, toxische Papiere in einer ‚Bad-Bank’ aus, erhöhen damit das Vermögen der Bank und vermindern das der Steuerzahler.“ Und weiter: „Diese Aktionen sollen bald wieder ein Wirtschaftswachstum um jeden Preis erreichen. … (Wir) suchen künstlich und auf Kredit das Wachstum in Schwung zu bringen. Diese Scheinprosperität durch Verschuldung lässt sich nur organisieren, solange deren Lasten anonym bleiben und noch nicht spürbar sind.“ (Ende des Zitats)

Wohlgemerkt: Zwei konservative Stimmen, ehemalige Berater der derzeitigen Bundeskanzlerin, nicht irgendwelche grünen Spinner warnen hier: Wachstum per se wird uns weder Wohlstand sichern, noch unsere Lebensgrundlagen erhalten.

Wachstum ist auch, wenn ich mein Auto an einen Baum fahre – die Reparaturkosten steigern das BIP; verletzte ich mich dabei noch und muss ambulant oder stationär behandelt werden, steigt das BIP; überfluten unsere Flüsse Städte und Dörfer, werden Werte vernichtet und müssen wieder aufgebaut werden – wächst das BIP; muss das Atomlager Asse ausgeräumt werden, weil der Salzstock droht zusammenzubrechen – alles gut für das BIP.

Konservativ ist, was sich seit Menschengedenken bewährt hat. Eine konservative Weisheit hat sich bewährt: „Wer mehr Müll schafft, als er beseitigen kann, erstickt über kurz im Müll“.

Seit über 50 Jahren produzieren wir in Atomkraftwerken Atommüll, die giftigsten Stoffe, die die Menschheit kennt, mit Haltbarkeiten die unsere menschliche Vorstellungskraft übersteigen – ohne zu wissen, wohin mit diesem Giften, ohne zu wissen, was wir damit machen sollen. Und der CDU-Ministerpräsident strebt fleißig nach Wachstum durch Atomenergie. Und Mappus schimpft sich einen Konservativen? Da hat der Mann wohl nicht richtig verstanden, was konservativ meint.

Die CDU-geführte Bundes- und Landesregierung streben nach Wirtschaftswachstum um jeden Preis. „Selbst wenn Produktivität und Nachfrage nachlassen, weil wir weniger Kinder, damit weniger Nachfrager, weniger Unternehmer, weniger Erfinder und weniger Firmengründer haben werden, wenn der Finanzmarkt deutlich mehr Werte handelt, als tatsächlich vorhanden sind, wenn der Automobilmarkt mehr Autos produziert als benötigt werden – selbst dann gestatten wir uns keine Phase der Beruhigung, der Neuorientierung in Bescheidenheit, sondern suchen künstlich und auf Kredit, das Wachstum in Schwung zu bringen,“ so Paul Kirchhof in seinem Artikel in der FAZ

Dies kann keine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik sein. Dies ist eher der Versuch, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben. Wohin dies führt, hat Goethe in seinem Zauberlehrling eindruckvoll geschildert.

Wir haben als Grüne dieser hemmungslosen Gier den Begriff der „Nachhaltigkeit“ entgegengesetzt. Ein sperriger Begriff – zugegeben. Was verstehen wir unter nachhaltigem Wachstum? Wir dürfen nur soviel verbrauchen, wie wir wieder herstellen können oder wie wieder nachwächst. Wer diesen Grundsatz missachtet, wird auf Dauer Schiffbruch erleiden. Die Abholzungen der Wikinger in Island, der Bewohner der Osterinseln mögen uns ein Fanal dessen sein, was uns blüht – kahle Landschaften, Ödnis.

Zukunftsfähig, nachhaltig Wirtschaften bedeutet daher: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt“ – mit diesem Motto traten wir Grüne vor dreißig Jahren zum ersten Mal zur Landtagswahl in Baden-Württemberg an. Und heute stellt sich die Frage eindringlicher denn je: Was für eine Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen?

Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist unser zentrales Anliegen. Produktion und Konsumtion, Herstellung und Verbrauch an Gütern müssen so gestaltet werden, dass wir nicht heute die Lebenschancen von morgen zerstören. Ökologie verlangt nachhaltige Wirtschafts- und Technikpolitik.

Nur wenn die Wende zur Nachhaltigkeit gelingt, wird unsere Lebensweise zukunftsfähig. Nachhaltigkeit meint auch die Entwicklung von Lebensstilen, die Behutsamkeit und Achtung vor dem Leben zur Grundlage haben. Technologische Entwicklung ist notwendig, sie hilft uns, die anstehende Probleme zu lösen, ist aber nicht hinreichend.

Grün bedeutet nicht einfach eine neue Art der Erzeugung elektrischen Stroms, sondern eine neue Art der Erzeugung gesellschaftlicher Kraft. Es geht nicht um die Lampen in den Wohnungen, sondern um die Erleuchtung unserer Zukunft.

Welche Gesellschaft ist uns lieber? Eine Gesellschaft, die vom Erdöl abhängig ist und deshalb die schlimmsten Autokraten der Welt fördert? Oder eine Gesellschaft die brauchbare Alternativen zum Erdöl entwickelt und sich dadurch aus dem Griff von Ländern befreit, die uns eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt haben und deren Werte wir ablehnen?

Welche Gesellschaft wollen wir? Eine Gesellschaft, die immer mehr einfache und arbeitsintensive Arbeitsplätze nach China und andere sogenannte „Billiglohnländer“ auslagert? Oder eine grüne Gesellschaft, die immer mehr hochqualifizierte Arbeitsplätze im Bereich grüner Technologien schafft? Eine Gesellschaft, die grüne Gebäude, Kraftfahrzeuge und Energiegewinnungsanlagen baut, Technologien, die sich nicht so leicht auslagern lassen und Zukunftsbranchen darstellen für eine Zeit, in der die Vorräte an fossilen Brennstoffen immer weiter schrumpfen, während die Weltbevölkerung wächst?

Welche Gesellschaft ist uns lieber? Eine Gesellschaft, in der die Städte immer mehr Landschaft verbrauchen oder eine Gesellschaft, die ihre Natur hütet und schützt, in der öffentliche Verkehrsmittel statt Massenstaus die Regel sind?

Welche Gesellschaft ist uns lieber? Eine Gesellschaft, in der der Staat die gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffizienz von Autos, Gebäuden, Geräten und Anlagen auf lächerlich niedrigem Niveau belässt, mit der Folge, dass unsere Industrie innovationsfaul wird? Oder eine grüne Gesellschaft, deren Regierung immer höhere Anforderungen an die Energieeffizienz stellt und dadurch ständig dazu anregt, sich neue Gedanken um Materialien, Energieerzeugungssysteme und Energiesoftware zu machen, so dass wir uns die technologische Vorreiter in der Welt erhalten oder wieder erarbeiten?

Welche Gesellschaft wünschen wir uns? Eine Gesellschaft ohne Ziel als dem des Konsums oder eine grüne Gesellschaft, die sich zum Ziel setzt, saubere, zuverlässige, billige Elektrizität herzustellen? Eine Gesellschaft, die Wohlstand ermöglicht, ohne die verbliebenen natürlichen Lebensräume zu zerstören – ein Ziel, das junge Menschen dazu anregt, Mathematik, Naturwissenschaften, Biologie, Physik und Nanotechnologie zu studieren?

Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind sich dreht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ Ja, der Wind hat sich gedreht. Wir treten ein in das Zeitalter der Energie und des Klimas. Ein Umbruch , der nur vergleichbar ist mit dem Umbruch zu Beginn der Industrialisierung.

Die Zeit, die vor uns liegt, ist eine Zeit, in der unser Leben, unsere Ökosysteme, unsere Volkswirtschaften und unsere politischen Entscheidungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt sein werden, wenn wir keinen Weg finden, Energie auf saubere Weise zu erzeugen und unsere natürliche Umwelt zu schützen. Deshalb sage ich: Lasst uns Windmühen bauen.

Wir leben schon zu lange von geborgter Zeit und geborgtem Geld. Es ist schon spät, sehr viel steht auf dem Spiel, und das Projekt ist äußert schwierig – aber der Lohn könnte nicht größer sein. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen im kommenden Wahlkampf. Lasst uns für eine neue grüne Gesellschaft kämpfen.

zum Bericht in der NWZ…

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