Alle Fragen wieder offen
Gemeinderat will erst im Frühjahr über ein Einkaufszentrum entscheiden
Autor: HELGE THIELE | NWZ 23.10.2010
Die Frage, ob und wo in der Göppinger Innenstadt ein Einkaufszentrum gebaut wird, bleibt weiter unbeantwortet. Der Gemeinderat will nun erst im März entscheiden, welcher Investor wo zum Zuge kommt.
Göppingen. Es war spät geworden am Donnerstagabend. Viele Stunden hatten die Göppinger Stadträte an diesem Tag im Rathaus verbracht, um über die geplante Ansiedlung eines Einkaufszentrums in der Innenstadt zu beraten. Es sollte der Tag der Entscheidung sein. Doch am Ende hinterließ die öffentliche Sitzung, die von vielen Zuhörern verfolgt wurde, vor allem eins: Ratlosigkeit. Denn nach wie vor bleibt offen, ob überhaupt und wenn ja, wo – am Bahnhof oder in der Bleichstraße? – eine größere oder kleinere Shopping-Mall von welchem Investor gebaut wird.
Dass die meisten Stadträte das Rathaus nach der zum Teil kontroversen, aber weitgehend sachlichen Diskussion erleichtert verlassen haben, hatte offenbar viel damit zu tun, dass eben gerade keine Entscheidung gefallen war. Alle fühlten sich irgendwie als Sieger. Die Christdemokraten sowie Teile der SPD waren zufrieden, dass es ihnen dank des strategischen Geschicks der Fraktionsvorsitzenden Felix Gerber (CDU) und Dr. Emil Frick (SPD) gelungen war, den von Oberbürgermeister Guido Till geplanten Durchmarsch pro Bleichstraße zu verhindern. OB Till wiederum, dessen zum Teil arg veraltete Vorlage von einigen Stadträten harsch kritisiert wurde, war plötzlich angetan von der Idee, dass es nun zwei miteinander konkurrierende Standorte gibt, über die im Frühjahr entschieden werden könne. Und die Befürworter einer Mall in der Bleichstraße – sie sitzen vor allem in den Reihen von FDP/FW und VUB – verließen das Rathaus mit einem Lächeln, weil der im April unterlegene Standort in der Göppinger Oststadt nun doch eine Chance bekommt. „Wir sind wieder im Rennen“, meinte denn auch Simon Schenavsky, dessen Familie das Frey-Center gehört.
Wie war das möglich? Ganz einfach: Anders als im April dieses Jahres, als eine Mehrheit sich für den Standort Bahnhof ausgesprochen hatte, verzichteten die Bürgervertreter diesmal darauf, sich auf einen Standort festzulegen. Und damit möglichst viele Stadträte dem in einer Sitzungspause mehr oder weniger öffentlich im Foyer des Rathauses gemeinsam formulierten Antrag zustimmen konnten, wurden auch die Namen der bisher aktiven Investoren weggelassen. Vermieden wurden zudem Angaben zur Größe der beabsichtigten Shopping-Mall – obwohl über Verkaufsfläche und Gestaltung der geplanten Mall zuvor in den Vorträgen des GMA-Gutachters Gerhard Beck und des Stadtplaners Professor Franz Pesch viel zu hören war.
Mit dem Antrag, der von CDU, SPD, FDP/FW, der VUB, der Linken, dem parteilosen Stadtrat Stefan Horn und OB Till unterstützt und von drei Grünen-Vertretern zumindest toleriert wurde, wird die Stadtverwaltung beauftragt, dem Gemeinderat bis spätestens 1. März „auf der Grundlage der derzeitigen Konzeptionen und den vorliegenden Gutachten für den Bereich Bahnhofstraße/ZOB und den Bereich Bleichstraße umsetzbare Planungen vorzulegen“. Endgültig entscheiden wollen die Stadträte nunmehr am 17. März – das ist ein Donnerstag. Eva Epple (Grüne) stimmte als einziges Mitglied des Gemeinderats gegen den Antrag, weil sie mit den „derzeitigen Konzeptionen“ nicht einverstanden ist. Die Grünen verspüren ohnehin das Bedürfnis, das Projekt Einkaufszentrum auszuschreiben – in der Hoffnung, dass sich dann neue Investoren melden, die eine kleinere Mall planen, als das bisher MFI, ECE und die Acrest Property Group getan haben.
Im Februar, das sieht der Antrag außerdem vor, soll ein öffentliches Hearing im Gemeinderat „mit allen vorhandenen Interessengruppen“ stattfinden. Noch vor Jahresende soll die Verwaltung mit dem Gemeinderat einen „verbindlichen Kriterienkatalog“ erstellen. Am späten Donnerstagabend nach der Sitzung gingen allerdings schon die Meinungen darüber auseinander, ob damit gemeint ist, dass der Gemeinderat festzurrt, wie groß das Einkaufszentrum werden und wie es sich gestalterisch ins Stadtbild einfügen soll. Oder ob es „nur“ darum geht, nach welchem System die Pläne der Investoren beurteilt werden sollen. Nach den Herbstferien könnte die Harmonie verflogen sein.
Einkaufszentrum: Der beschlossene Antrag im Wortlaut
Der erfolgreiche gemeinsame Antrag der Gemeinderatsfraktionen von CDU, SPD, FDP/FW, VUB, Linke und Stadtrat Stefan Horn:
„Die Verwaltung der Stadt Göppingen wird beauftragt, auf der Grundlage der derzeitigen Konzeptionen und den vorliegenden Gutachten für den Bereich Bahnhofstraße/ZOB und den Bereich Bleichstraße bis spätestens 1.März 2011 umsetzbare Planungen dem Gemeinderat der Stadt Göppingen zur endgültigen
Beschlussfassung am 17. März 2011 (Entwürfe als Grundlage für Aufstellungsbeschlüsse, Kostenaufstellungen bezüglich der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen und einen Stadtentwicklungsplan für die jeweiligen Bereiche) vorzulegen.
Weiterhin beantragen wir ein öffentliches Hearing im Gemeinderat mit allen vorhandenen Interessengruppen im Februar. Einen verbindlichen Kriterienkatalog erstellt die Verwaltung mit dem Gemeinderat im November/Dezember 2010.“
Die Bleichstraße ist zurück im Spiel
Göppingen. Die Frage, an welcher Stelle der Stadt ein Einkaufszentrum angesiedelt werden soll, ist wieder offen. Von Eberhard Wein
Freude bei den Investoren in der Bleichstraße, Enttäuschung bei den Machern der Management für Immobilien Gesellschaft (MFI), die sich mit ihren Planungen am Göppinger Busbahnhof schon fast am Ziel wähnten: der Wettstreit der Investoren, die in der Göppinger Innenstadt ein Einkaufszentrum bauen wollen, beginnt von vorne. Nach einer intensiven Debatte hat sich der Gemeinderat am Donnerstagabend mit breiter Mehrheit auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach sollen in den kommenden Monaten beide Projekte vorangetrieben werden. Seine endgültige Entscheidung vertagte der Gemeinderat auf den 17. März. Vor einem halben Jahr hatte sich noch eine breite Mehrheit des Gemeinderats für den Standort am Busbahnhof ausgesprochen.
Ursprünglich hatten CDU und SPD jetzt eine endgültige Festlegung auf das MFI-Konzept beschließen wollen. Doch nach dem Vortrag zweier städtischer Gutachter waren die Reihen bei den Sozialdemokraten offenbar nicht mehr geschlossen. So wurde auf die Kompromisslinie eingeschwenkt. „Die Zielrichtung der CDU war es sicherzustellen, dass es keine Sieger und Besiegten gibt", sagte der CDU-Fraktionschef Felix Gerber, der den interfraktionellen Antrag vortrug. Dies wäre bei einem so wichtigen Thema kontraproduktiv gewesen. Umstritten blieb das Papier nur bei den Grünen. Auch sie befürworteten allerdings das nun geplante Vorgehen, im November im Gemeinderat einen Kriterienkatalog aufzustellen, nach dem ein solches Einkaufszentrum in Göppingen gestaltet werden sollte. Christine Lipp-Wahl verwies allerdings darauf, dass eigentlich schon der im April installierte Arbeitskreis die Interessen der Stadt hätte festlegen sollen. „Jetzt müssen wir schon wieder von vorne anfangen", sagte die Grünen-Rätin.
Insbesondere soll in dem Kriterienkatalog die Größe des Einkaufszentrums festgelegt werden. Der Gutachter Gerhard Beck von der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) hatte erklärt, stadtverträglich wäre allenfalls ein Komplex mit 12 500 Quadratmetern. Er hatte auf positive Beispiele ähnlicher Größenordnung wie die Wilhelmgalerie in Ludwigsburg oder das Postplatzforum in Waiblingen verwiesen, die sich günstig auf das Umfeld ausgewirkt hätten. Demgegenüber hätten überdimensionierte Einkaufszentren in manchen Städten den traditionellen Einzelhandel verdrängt. Hier nannte er Bamberg oder Kempten. Die MFI plant am Busbahnhof einen Komplex mit 18 000 Quadratmetern. Die Familie Schenavsky, der das Frey-Center gehört, möchte das Areal an der Bleichstraße, zu dem auch Kaufhof und C&A zählen, auf 23 600 Quadratmeter erweitern. Hier würde der Zuwachs lediglich 9000 Quadratmeter betragen.
„Wir sind dankbar für den Beschluss", sagte Simon Schenavsky. Er habe genau zugehört, was die Gutachter gesagt hätten, und werde die weiteren Planungen danach ausrichten. „Uns liegt das Gesamtwohl der Stadt Göppingen am Herzen", sagte der Augsburger Unternehmer. Der Projektentwickler der MFI, Stefan Berg, zweifelte hingegen an der Richtigkeit der städtischen Gutachten. „Unsere Gutachter kommen zu ganz anderen Ergebnissen." Zudem seien die jüngsten Umplanungen, mit denen die MFI ihre Flexibilität bewiesen habe, „nicht hinreichend gewürdigt worden".
Mit Erleichterung reagierte die Vorsitzende des Stadtmarketingvereins Göppinger City, Stefanie Sanke. „Wir sind froh, dass der Zeitdruck aus der Sache herausgenommen wurde und die Bleichstraße wieder im Spiel ist." Die Göppinger City hatte eine Liste mit 170 Unterschriften von Einzelhändlern vorgelegt, die sich gegen ein überdimensioniertes Einkaufszentrum und für eine quartierweise Entwicklung der Innenstadt aussprechen.