23 Verkehr (Hüttl)

„Ängste geschürt gegen Zukunftsprojekt“ (Interview)

INTERVIEW  PROFESSOR WINFRIED HÜTTL
FDP-Kreisvorsitzender und Landtagskandidat wirft den Grünen Wahltaktik und Heuchelei vor

Interviewer: RODERICH SCHMAUZ | GZ 23.10.2010

Für die Zukunftsfähigkeit des Landes begrüßt FDP-Kreisvorsitzender Winfried Hüttl (56) S 21 entschieden. Das sagte der Geschäftsführer und Hochschullehrer im Interview mit GZ-Redakteur Roderich Schmauz.








150 000 Menschen haben allein an einem Samstag friedlich gegen Stuttgart 21 protestiert. Kommen da nicht jedem Befürworter so langsam Zweifel an der eigenen Meinung?
PROFESSOR WINFRIED HÜTTL: Als Demokrat werde ich sogar nur einen einzelnen Demonstranten ernst nehmen – aber die Quantität allein beeindruckt mich nicht, da ich weiß, dass eine schweigende Mehrheit für die Argumente „Pro S 21“ absolut offen ist und diese definitiv unterstützt. Es zählen sachliche Argumente sowie die demokratische Legitimation durch alle involvierten Parlamente und Gerichte. Alles lag und liegt auf dem Tisch und es gibt auch keine neuen Erkenntnisse, die den geringsten Zweifel schüren könnten.

Was spricht aus Ihrer Sicht für S 21?
HÜTTL: S 21 bringt mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene, bringt Kapazitätsgewinn für den Regionalverkehr im ganzen Land und insbesondere für die S-Bahn nach Göppingen. S 21 fördert die Stadtentwicklung in Stuttgart und hat eine hervorragende Ökobilanz. S 21 bedeutet Fortschritt und Innovation für ganz Baden-Württemberg und einen immensen Schub für die gesamte Infrastruktur. Es gibt keine ernst zunehmenden Alternativen für dieses Jahrhundertprojekt.

Wie beurteilen Sie die drei wesentlichen Argumente der S 21-Gegner: gigantische, immer weiter steigende Kosten; zurückgehaltene Gutachten; ungeklärte geologische Gefahren durch die Untertunnelung.
HÜTTL: Die jährlichen Kostensteigerungen verhalten sich im Vergleich zu ähnlichen Großprojekten völlig im Rahmen. Die Alternative, den Kopfbahnhof zu sanieren, kostet 3,7 Milliarden Euro, also etwa 400 Millionen weniger. Gutachten wurden nicht zurückgehalten und die U- und S-Bahn fährt sogar seit Jahrzehnten ohne Probleme eine Etage tiefer als die Gleise für S 21. Schade, dass es den Gegnern gelungen ist, bei einem Teil der Bevölkerung Ängste zu schüren und dadurch die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu gefährden.

Was versprechen Sie sich von der Schnellbahntrasse Wendlingen-Ulm?
HÜTTL: Ich verspreche mir die gleiche Erfolgsstory wie bei der Schnellbahntrasse Stuttgart-Mannheim. Wir holen wirklich die Reisenden auf die Schiene, übrigens eine der wichtigsten Zielsetzungen der Grünen. Deren Heuchelei ist deshalb leicht zu durchschauen. Sie erhoffen sich im März einen Wahlsieg und würden dann umgehend – mangels Alternative – die Schnellbahntrasse Stuttgart-Wendlingen wie geplant bauen.

Zurück zum machtvollen Dauerprotest gegen S 21: Was ist da so gewaltig schiefgelaufen?
HÜTTL: Die Einbindung der Bürger ist sträflich vernachlässigt worden und entwickelte sich zu einem Super-Kommunikations-GAU. Das wird sich jetzt massiv ändern und ich hoffe, dass ab sofort mehr die Fakten und weniger die Emotionen die Auseinandersetzung bestimmen. Nicht hilfreich waren dann die Wasserwerfer der Polizei und die Eskalation der Gewaltbereitschaft auch bei einigen Demonstranten.

Offenbart der Protest nicht einen eklatanten, gefährlichen Vertrauensverlust der politischen Klasse bei der Bevölkerung?
HÜTTL: Es ist richtig, dass Politikverdrossenheit und ein schwindendes Vertrauen in die Mechanismen der parlamentarischen Demokratie sowie deren Vertreter zunehmen. Dazu kommt die von Linken und Grünen geschürte Zukunftsangst vor Großprojekten und technologischen Innovationen. Ich glaube aber nicht, dass die Baden-Württemberger, die mit ihren Steuergeldern bislang im Länderfinanzausgleich zehnmal mehr an andere Bundesländer abgeführt haben als S 21 kostet, sich auf Dauer dem Diktat der Bedenkenträger beugen. Ich glaube vielmehr an die Vernunft der Menschen, die zum wirtschaftlichen Erfolg Baden-Württembergs als reichste Region Europas tagtäglich beitragen und sich bis zum Wahltag vor Augen führen können, dass nicht Grün-Rot, sondern bürgerliche Parteien und insbesondere die Liberalen weiterhin Garant für diesen Wohlstand sind.

Würden Sie mehr direkte Demokratie innerhalb unserer repräsentativen Demokratie befürworten?
HÜTTL: Uneingeschränkt ja! Aber dies funktioniert nur, wenn die Politik mehr kommuniziert und den Bürger einbindet. Im Jahr 2006 versuchte die FDP auf Landesebene Volksentscheide und Volksbegehren zu erleichtern sowie die Quoren abzusenken. SPD und Grüne haben seinerzeit abgelehnt und die notwendige Zweidrittel-Mehrheit scheitern lassen. Aber das wissen die, die sich heute an Bauzäune ketten, natürlich nicht, und Herr Özdemir wird das in den Talkshows gekonnt verdrängen.

Wie weiter? Ein Volksentscheid? Alles durchziehen? Kann ein Schlichter etwas ausrichten?
HÜTTL: Ich hoffe, dass der Vermittler ein bisschen Luft rauslassen kann. Wir müssen die Ängste der Gegner ernst nehmen und kommunizieren. Wir müssen Pro- und Contra-Fakten abwägen und versuchen, mit Sachargumenten zu überzeugen. Aber am Ende wird S 21 gebaut, genauso wie der Flughafen München und andere Großprojekte. Selbst eine grün-rote Regierung könnte im Frühjahr 2011 das Projekt nicht stoppen, ohne geltendes Recht zu verletzen.

Insofern dient der S 21-Protest in Wirklichkeit der grünen Stimmungsmache für den März 2011. Fassungslos sehen wir in diesen Tagen auf die SPD, die per Gabriel-Dekret ebenfalls einen Baustopp und ein Volksbegehren fordert und dabei die letzte Restmenge an Glaubwürdigkeit verliert.

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