17 Geislingen: Geburtshilfe

„Mieser Stil“ und „gewollter Affront“

Fraktionssprecher sparten bei ihren Etatreden im Gemeinderat nicht mit Kritik am Landkreis

Autor: MANFRED BOMM | GZ 17.12.2010

In den Geislinger Etatreden hat die Schließung der Klinik-Geburtshilfe teilweise breiten Raum eingenommen. Deutliche Worte wurden gesprochen.

Geislingen. Bei den Etatreden ging’s im Geislinger Gemeinderat nicht nur ums Geld, sondern auch um die Schließung der Geburtshilfe und das Verhältnis zum Landkreis. Diesem warf CDU-Fraktionsvorsitzender Holger Scheible „eine katastrophale Informations- und Kommunikationspolitik vor“. Noch „weniger verzeihlich“ sei das weitere Vorgehen. Denn ohne einen anberaumten Gesprächstermin zwischen Landrat und OB abzuwarten, habe der Klinik-Aufsichtsrat den Beschluss sogar noch zementiert: „Dies offensichtlich in der Absicht, die überwältigende Unterstützung der Bevölkerung und die Spendenbereitschaft im Keim zu ersticken.“ Scheible empfindet dies „nicht nur als schlechten Stil“, sondern als gewollten Affront. Er distanziere sich aber von der Wortwahl einzelner Demonstranten. Allerdings seien die Äußerungen „sogenannter gestandener Kommunalpolitiker im Kreistag“ nicht minder schlimm.

Trotz der Sparzwänge des Landkreises gelte es zu bedenken, dass es Bereiche gebe, für die die fehlende Kostendeckung „aus guten Gründen gewollt“ sei – wie etwa bei städtischen Kindergärten. Scheible forderte den Landkreis auf, die Entscheidung zur Schließung der Geburtshilfe zu revidieren.

Für FW-Fraktionschef Roland Funk sitzen „die wahren Verantwortlichen“ für die Finanzprobleme des Landkreises in Berlin und Stuttgart – aufgrund der „eigentlich skandalösen Vorgänge bei der Mittelzuweisung an die Kommunen“. Im Rahmen seiner Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung hob Funk die Vorgehensweise bei der geplanten Schließung der Geburtshilfe als Negativbeispiel hervor: „Wie bürgerferne und daher schlechte Politik produziert wird, zeigt uns derzeit der Landkreis“, dessen gemeinnützige GmbH „über die Köpfe der betroffenen Bürger hinweg“ entscheide. Er regte ein Mediationsverfahren an, während dem die Schließung unterbleibe.

Von einem „miesen Stil“ sprach SPD-Fraktionschef Dr. Hansjürgen Gölz. Er kritisierte, dass „ein so emotional besetztes Thema“ nichtöffentlich beschlossen und dies dann drei Wochen vor Weihnachten bekannt gegeben werde – in der Hoffnung, dies werde widerspruchslos akzeptiert. Gölz hätte sich eine frühzeitige Information gewünscht: „Der gesamte Vorgang ist ja in seinem Ablauf rechtlich einwandfrei, aber er ist tief undemokratisch.“ Nun hofft er auf eine Einigung: „Vielleicht liegt sie in der Neugründung des Geburtshauses.“

GAL-Sprecher Bernhard Lehle zog Parallelen zum umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Auch die Schließung der Geburtshilfe mache deutlich, dass die Bürger „mitreden, mitentscheiden und ihren Teil für ein besseres Zusammenleben leisten“ wollten. Es stelle sich die Frage, ob auch bei Großprojekten die bisherigen Formen der Bürgerbeteiligung noch zeitgemäß seien. Nach Meinung Lehles wäre es nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21 „klug und weitblickend gewesen“, die Bürger mit einzubeziehen.

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Ein dicker Scheck soll die Geburtshilfe retten

Autor: CORINNA MEINKE | StZ 17.12.2010

Geislingen. Die Menschen im oberen Filstal sammeln 250 000 Euro, aber die Schließung der Klinikabteilung steht fest. 

Einen noch nicht ganz gedeckten Scheck hat der Geislinger Oberbürgermeister dem Landrat Edgar Wolff überreicht. 250 000 Euro prangten groß und deutlich auf dem Pappschild, das Wolfgang Amann und seine Mitstreiter im Gemeinderat präsentierten. Rund 150 000 Euro sind inzwischen auf dem eigens eingerichteten Spendenkonto eingegangen, 80 000 Euro hat die Stadt Geislingen in Aussicht gestellt, und Amann rechnet auch mit Überweisungen aus Bad Überkingen und Amstetten. „Wir könnten noch viel mehr Geld zusammentragen", ist sich der Verwaltungschef sicher, „aber selbst, wenn es fünf Millionen wären, ließe sich damit nichts bewirken, weil der politische Wille fehlt."

Auf 250 000 Euro beläuft sich das jährliche Defizit, das die Geislinger Geburtshilfe in der Helfensteinklinik verursacht. 250 000 Euro waren auch das Spendenziel, das sich der Gemeinderat Ulrich Volk und seine Mitstreiter gesetzt hatten. Damit sollte die Abteilung noch ein weiteres Jahr erhalten werden. Doch bei der Scheckübergabe wiederholte der Landrat Edgar Wolff, dass er keine Zukunft für die Geburtshilfe sehe. Schon jetzt fehle in der Abteilung medizinisches Personal.

Das hohe Spendenaufkommen bezeichnete Wolff als ein respektables Ergebnis, das ein gutes Zeichen für die Identifikation der Geislinger mit ihrer Klinik sei. Angesichts des Defizits der beiden Kliniken im Kreis in Höhe von fünf Millionen Euro pro Jahr – zwei Millionen verursacht davon Geislingen – müsse dieser schmerzliche Eingriff jedoch sein, wenn er dem Großen und Ganzen diene und den Standort Geislingen sichern helfe. Die Geburtshilfe dort sei wirtschaftlich nicht mehr darstellbar.

Verbittert kommentierte Amann das bisher vergebliche Aufbegehren seiner Kommune gegen die vom Kreis angekündigte Schließung der Geburtshilfe in der Helfensteinklinik. Und Amann sieht sich nicht allein. Alle Fraktionen im Gemeinderat teilen seine Einschätzung, wonach die Geburtshilfe in Geislingen zur Grund- und Regelversorgung zähle, und jeden Montag demonstrieren bis zu 1000 Menschen für die Erhaltung der Einrichtung.

Amann bezweifelt, dass die betriebswirtschaftliche Betrachtung, die zu den Schließungsplänen geführt hat, sinnvoll ist: „Dann müssten wir als Stadt nicht nur die Volkshochschule, die Stadtbücherei oder die Jahnhalle schließen", meint er lakonisch, denn diese Einrichtungen verursachten jede für sich ein höheres jährliches Defizit als die Geburtshilfe. Auch das Argument, dass der Kreis angesichts einer großen Geburtshilfeabteilung an der Göppinger Klinik am Eichert Doppelstrukturen abbauen müsse, stößt Amann sauer auf: „Wenn wir alle Doppelstrukturen, die der Kreis in Geislingen unterhält, abbauen würden, was wäre dann noch übrig?"

Er und seine Gemeinderatskollegen sehen sich angesichts der kurzfristigen Information sechs Wochen vor der Schließung vor den Kopf gestoßen. Der Beschluss im Aufsichtsrat der Kliniken sei schon am 7. Juli gefallen, da hätte es genügend Zeit gegeben, die Betroffenen zu informieren und Alternativen abzuwägen. Roland Funk von den Freien Wählern kritisierte den Diskussionsstil einiger Kreisräte, die die Bewohner des oberen Filstals als krank und undemokratisch charakterisiert hätten, weil sie sich für ihre Geburtshilfe eingesetzt hätten. Funk sprach von einer drohenden Spaltung des Landkreises und empfahl ein Mediationsverfahren, das sowohl der Betriebswirtschaft wie der Daseinsvorsorge Geltung verschaffen könne.

Nach dem Affront durch den Kreis warben auch die Fraktionen von SPD und Grüner Alternativer Liste für eine Bürgerbeteiligung bei diesem Thema. Der SPD-Sprecher Hansjürgen Gölz nannte dies einen Beitrag zur Akzeptanz und zum sozialen Frieden, und der Gal-Sprecher Bernhard Lehle regte die Gründung eines Arbeitskreises Bürgerbeteiligung Geislingen an.

Eigentor. Kommentar

Geburtshilfe. Der Kreis schickt die Frauen auf die Reise.
Von Corinna Meinke

Mit der Geheimhaltung seiner Schließungspläne für die Geburtshilfe in Geislingen hat sich der Kreis ein Eigentor geleistet. Obwohl der Beschluss schon im Sommer gefallen ist, ist seither nichts passiert, was den Frauen in Geislingen und Umgebung künftig die Lage erleichtern könnte. Es wäre aber die Aufgabe der Klinikleitung gewesen, sich frühzeitig engagiert für eine Alternative, beispielsweise die Einrichtung eines Geburtshauses, starkzumachen.

Es zeugt von mangelndem Realitätssinn und geringer Einsicht in die Nöte von Gebärenden und ihren Familien, dass weder der Landrat noch der Kreistag dazu den Auftrag gegeben haben und die Frauen leichterhand nach Göppingen bitten. Denn der Weg zur Klinik am Eichert kann manchmal zu weit sein. In den zurückliegenden Monaten hätte man mit Ärzten und Hebammen verhandeln müssen. Erst wenige Wochen vor Weihnachten an die Öffentlichkeit zu gehen hat für die Suche nach Alternativen kaum Zeit gelassen. Ein rechtzeitiges und umsichtiges Handeln hätte die Akzeptanz für das neue Modell Geburtshaus erhöht.

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