24 Kreistag/Geislingen: Geburtshilfe

Wolff: Eigentlich sind wir die Klinikretter

Autorin: CORINNA MEINKE | StZ 24.12.2010

Göppingen Die Schließung der Geburtshilfe an der Geislinger Helfensteinklinik ist um drei Monate vertagt. Fraglich ist, ob die Bürger, die um die Abteilung kämpfen, schon bis Mitte Februar ein alternatives tragfähiges Konzept vorlegen können.

Während sich draußen vor der Tür aufgebrachte Menschen gedrängt haben, wurde im Großen Sitzungssaal des Landratsamts ein weiterer Beschluss über die Zukunft der Geburtshilfe an der Geislinger Helfensteinklinik gefasst. Der Landrat Edgar Wolff hatte eigens eine außerordentliche Sitzung des Kreistags anberaumt, um auf die Proteste in Geislingen und deren Forderungen zu reagieren. Herausgekommen ist ein Kompromiss: Die Geburtshilfe wird nicht am 6. Januar, sondern drei Monate später, zum 1. April geschlossen. In der Zwischenzeit haben die Gegner der Schließung Gelegenheit, alternative Modelle vorzuschlagen. Wolff war diese Aussetzung wichtig, um den sozialen Frieden wiederherzustellen. Ansonsten zeigte sich der Chef der Kreisverwaltung weiterhin völlig von den Schließungsplänen überzeugt .

„Eigentlich sind wir ja die wahren Klinikretter", sagte Edgar Wolff und spielte damit auf das Etikett Klinikretter an, das sich die Geislinger Bürgerinitiative gegeben hatte. Er und alle Redner der Fraktionen stärkten der Klinikleitung nochmals den Rücken und verteidigten die Schließungspläne als richtigen Schritt angesichts der sinkenden Geburtenzahlen in der Helfensteinklinik und eines Defizits des Geislinger Krankenhauses von 2,9 Millionen Euro.

Der Landrat machte kein Hehl aus seiner Enttäuschung und seinem Unverständnis gegenüber „anhaltenden Unterstellungen", wie er es nannte. Auch bei der letzten Montagsdemonstration vor der Geislinger Klinik seien wieder Stimmen laut geworden, die behauptet hätten, die Schließung der Geburtshilfe sei der Anfang vom Ende des Klinikstandortes.

Bereits seit Wochen demonstrieren in Geislingen jeden Montag Hunderte von Menschen vor der Klinik, um ihren Unmut über den Schließungsbeschluss zu unterstreichen. Am vergangenen Montag war auch wieder Jörg Martin anwesend. Der Geschäftsführer der Kliniken im Kreis sah sich dort persönlichen Anwürfen ausgesetzt, die weit unter die Gürtellinie reichten und die er deshalb für „nicht in Ordnung" hielt.

Gleichzeitig hat die drohende Schließung der Geburtshilfe auch viel positive Kräfte freigesetzt. So wurden in einer kreisweit beispiellosen Aktion innerhalb von nur zwei Wochen insgesamt 250 000 Euro an Spenden gesammelt. Mit dem Geld sollte der Betrieb der Abteilung für ein ganzes Jahr gesichert werden, denn der Betrag entspricht genau dem Defizit, das die Geburtshilfe Geislingen nach Angaben der Klinikleitung pro Jahr verursacht. In ihrem Beschluss schlägt die Gesellschafterversammlung jedoch die Annahme dieser Summe ohne Begründung rundweg aus.

Wolfgang Amann, der Oberbürgermeister von Geislingen, der sich ebenfalls für die Geburtshilfe starkmacht, kann in der Aussetzung nur eine bescheidene Kompromissbereitschaft des Kreises erkennen. Außerdem böten die angekündigten Spielregeln der Klinikleitung alle Freiheiten, die Sachlage nach eigenem Gutdünken darzustellen. Falls eine ärztliche Mindestbesetzung nämlich nicht gewährleistet ist, könne sofort geschlossen werden.

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Mogelpackung

KOMMENTAR

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 24.12.2010

Geburtshilfe Drei Monate sind zu kurz, um der Schließung etwas entgegensetzen zu können. Von Eberhard Wein

Placeboeffekt nennt sich ein interessantes psychologisches Phänomen, bei dem der Erkrankte auch ohne wirksame Pillen genesen kann. Ob der Beschluss der Göppinger Kreisräte, die Schließung des Geislinger Kreißsaals um maximal drei Monate zu verschieben, eine ähnliche Wirkung entfalten wird, darf bezweifelt werden. Die Therapie, die da verschrieben wurde, dürfte kaum das Überleben der Geislinger Geburtshilfe sichern, sondern allenfalls ihr Sterben verlängern.

Eigentlich widerspricht das dem ärztlichen Berufsethos. Und so ist es auch nicht die Klinikleitung, die auf diese Idee gekommen ist, sondern die Kreispolitik, die händeringend einen Kompromiss sucht zwischen den kühlen Rechnern in der Klinikverwaltung und den aufgebrachten Bürgern, die an der Pforte der Helfensteinklinik demonstrieren und 250 000 Euro gesammelt haben, damit weiterhin Babys in Geislingen zur Welt kommen.

Es liegt auf der Hand, dass die Schließung einer urologischen Abteilung nicht halb so viel Aufsehen erregt hätte. Doch die Kinder sind nunmal die Zukunft. Diesen Satz hat auch der Landrat schon in manche Sonntagsrede eingestreut, und er erklärt das dumpfe Gefühl, dass trotz gegenteiliger Beteuerungen die Schließung der Geburtshilfe vielleicht doch das Ende der Helfensteinklinik einläuten könnte.

Zur Vertrauensbildung möchte der Landrat nun einen Runden Tisch einberufen. Seit Stuttgart 21 gilt dies als Rezept der Wahl, zumal auch in Geislingen nicht alles optimal gelaufen ist. Zwar wurde die Schließung intern bestens vorbereitet und auch gut begründet. Die Bürger und damit die Patienten wurden aber vergessen.

Gesucht wird nun ein Heiner Geißler des Filstals, der den Parteien zuhört und am Ende die Schließung als unausweichlich absegnet. Dass dies das Kalkül des Landrats ist, zeigt sich daran, dass er den Gesprächen nur wenige Wochen gibt und den 250 000-Euro-Topf der Schließungsgegner nicht anrühren möchte. Denn dies würde eine Verpflichtung bedeuten, es doch noch einmal ernsthaft zu versuchen.

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