31 Stuttgart 21 und Neubaustrecke

„Stuttgart 21 ist noch zu kippen“

Vorsitzender des Verkehrsausschusses Winfried Hermann kritisiert in Mühlhausen Bahnprojekt

Autor: JOCHEN HORNDASCH | NWZ 31.01.2011

Vor 80 Gästen hat gestern der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, Winfried Hermann (Grüne/Bündnis 90), in Mühlhausen Stellung zu S 21 und der geplanten ICE-Trasse bezogen.

Mühlhausen. Der Zug von Tübingen nach Geislingen hatte Verspätung. Deshalb musste Winfried Hermann, Bundestagsabgeordneter der Grünen/Bündnis 90 und Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, seine Gäste warten lassen. Anstatt wie geplant um 10.30 Uhr traf er abgehetzt zehn Minuten später im Vortragsraum des Hotels Höhenblick in Mühlhausen ein.

Dafür war er gleich mitten im Thema – der Bahn, Stuttgart 21 und der geplanten Schnellbahntrasse, die im Bereich von Mühlhausen noch gar nicht „planfestgestellt“ ist, also noch keine Baugenehmigung hat. Hermann widmete sich indessen zunächst den grundlegenden Problemen: „Wenn man wie ich viel mit der Bahn unterwegs ist, ist man überrascht, wenn mal ein Zug pünktlich kommt.“ Diese Misere der Deutschen Bahn sei hausgemacht und die Rache für einen restriktiven Sparkurs, den das Unternehmen wegen des angepeilten Börsengangs eingeschlagen hatte. Viele Jahre sei die Bahn auf Verschleiß gefahren, habe an Material, Wartung und Personal gespart und die Reservekapazitäten aufgebraucht. An den Börsengang glaube mittlerweile so gut wie niemand mehr, sogar Bahnchef Grube habe ihn auf die lange Bank geschoben.

Es sei ohnehin unmöglich, die Bahn renditeorientiert zu betreiben. Jahr für Jahr kassiere sie vom Bund 15 Milliarden Euro für den Erhalt des Schienennetzes, für den Ausbau neuer Strecken, für den Betrieb von Nebenstrecken und für Altlasten. Andererseits investiere sie ihre Gewinne in die globale Erweiterung wie beispielsweise in amerikanische Transportunternehmen oder in abartig teure Hochgeschwindigkeitsstrecken im Inland, die niemand brauche. Auf den Fernverkehr entfalle nur ein sehr kleiner Teil der Personenbeförderung. Er liege seit Jahren konstant bei sieben Prozent. 90 Prozent der Fahrgäste würden den Regional- und Nahverkehr nutzen.

Ungeachtet dessen solle mit Stuttgart 21 nun auch die Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm gebaut werden, die erst zwei und dann drei Milliarden Euro kosten sollte. In Wirklichkeit werde sie wohl vier bis fünf Milliarden Euro verschlingen. „Auf der anderen Seite klemmt es im Nah- und Güterverkehr“, erklärte Hermann. Mit dem Geld für Stuttgart 21 könnte man die bestehenden Schienen ertüchtigen, so den Anteil des Güterverkehrs verdoppeln und gleichzeitig den Personennahverkehr ausbauen. „Für einzelne Millionenprojekte fehlt das Geld, für unnötige Milliardenprojekte ist es vorhanden“, klagte er an. Es sei höchste Zeit für einen Strategiewechsel bei der Bahn.

Hermann ist zuversichtlich, dass das Projekt Stuttgart 21 nach wie vor gekippt werden kann. Für viele Bauabschnitte fehle noch ein Planfeststellungsverfahren, das Gesamtprojekt sei deshalb noch nicht genehmigt. Die Grünen plädieren für eine Befragung der Bevölkerung in Sachen Stuttgart 21 und Neubaustrecke, wobei Hermann keinen Hehl daraus macht, dass der Ausstieg unter 500 Millionen Euro nicht zu bekommen sei. Andererseits würde das Land Baden-Württemberg dann zwei Milliarden Euro sparen, die in anderen Projekten deutlich besser angelegt wären. Speziell zur Situation in Mühlhausen äußerte sich Hermann nicht, ebenso wenig Bernhard Lehle, der Kandidat der Grünen im Wahlkreis Geislingen, der ebenfalls zugegen war. Auch in der Diskussion sprach niemand das lokale Thema an.

zurück zur Presseübersicht Januar 2011…