Till lässt Lobbyisten als Experten auftreten
Göppingen Die Anhörung zur Ansiedlung eines Einkaufzentrums erntet ein unterschiedliches Echo.
Ein Bürger muss ja nicht alles verstehen. „Wenn es so eindeutig ist", fragte der Mann am Saalmikrofon, „warum schafft es unser Gemeinderat dann nicht, das zu beschließen?" Zuvor hatte er mit 180 weiteren Bürgern den Vorträgen von vier Experten gelauscht und eigentlich nur Argumente dafür gehört, dass der Ausbau des heruntergekommenen Bleichstraßenviertels zu einem großen Einkaufszentrum einem Neubau am Busbahnhof unbedingt vorzuziehen wäre. Doch genau das machte ihn misstrauisch: „Wir sollen hier in eine bestimmte Richtung gebracht werden", vermutete er.
Tatsächlich hatte der Oberbürgermeister Guido Till die beiden konkurrierenden Projektentwickler in den Zuschauerraum verbannt und das Podium zielsicher mit Bleichstraßen-Befürwortern bestückt. So waren der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Peter Saile, Thomas Gehrke vom Stadtmarketingverein Göppinger City und der inzwischen pensionierte Sparkassenchef Jürgen Hilse um eine Stellungnahme gebeten worden, die wohl eher als Lobbyisten, denn als Experten bezeichnet werden müssen. Lediglich bei dem Geislinger Professor für Immobilienwirtschaft, Hansjörg Bach, soll der OB nicht gewusst haben, wie er zur Standortfrage steht.
Bach, der bekannte, selbst nahe der Göppinger Bleichstraße in der Poststraße aufgewachsen zu sein, warnte davor, dass eine falsche Entscheidung verheerende Folgen haben könne. Ein Einkaufszentrum am Bahnhof werde sicherlich gut funktionieren, allerdings auch die Innenstadt gefährden. „Man sollte dem Projekt nicht allzu viele Gedanken zuwenden", sagte Bach. Allerdings berge auch die Bleichstraße Gefahren. „Es ist bedenklich, wenn ein Projekt so lange Leerstände hat."
Göppingen solle sein Zentrum im Zentrum behalten, forderte Gehrke von der Göppinger City. Am Busbahnhof sei der Flächenzuwachs mit 18 000 Quadratmetern dafür zu groß. Der IHK-Mann Saile sagte, Göppingen brauche statt neuer Flächen eine stärkere Konzentrierung der Geschäfte. Hilse erklärte, das Projekt am Omnibusbahnhof sei wegen seiner Größe nicht nachhaltig für die Stadt. Dass sich der Exbanker auch eine schönere und kleinteiligere Architektur wünschte, löste im Publikum in Anbetracht des großen Sparkassenneubaus allerdings Heiterkeit aus.
Zuvor hatte die Stadtplanerin Eva Noller die beiden Konzepte vorgestellt und dabei am Busbahnhofsprojekt kein gutes Haar gelassen. Selbst der Verkehrsanbindung erteilte sie trotz der Nähe zum Bahnhof eine schlechtere Note. Auch deshalb urteilte der CDU-Fraktionschef Felix Gerber am Ende, die Veranstaltung sei einseitig zugunsten der Bleichstraße ausgelegt gewesen. Dennoch habe er im Publikum eine positive Stimmung gegenüber einem Einkaufszentrum am Busbahnhof herausgehört. Einen „absoluten Absturz" nannte sein SPD-Kollege Emil Frick den Abend.
OB Till zeigte sich hingegen zufrieden. Dass sich jetzt ein Projektentwickler aus Wiesensteig im Auftrag eines bisher unbekannten Investors gemeldet hat, der sich am Busbahnhof angeblich auch mit 12 000 Quadratmetern zufriedengeben würde, gab der OB nur auf Nachfrage zu.
Ob der Gemeinderat die Standortentscheidung nun, wie erhofft, am 17. März trifft, ist offen. „Wir müssen das jetzt" tun, sagte der FDP-Chef Rolf Daferner. Die Zeit sei reif, meinte Wolfram Feifel von der Vereinigung Unabhängiger Bürger. Der Grüne Christoph Weber votierte hingegen dafür, sich nicht unter Druck setzen zu lassen.
OB Tills Mehrheit wackelt
Widerstand gegen Pläne für Einkaufszentrum in der Bleichstraße wächst
Autor: HELGE THIELE | NWZ 16.02.2011
Oberbürgermeister Guido Till nutzte das „Experten-Hearing“ in der Stadthalle erneut zu einem klaren Plädoyer für ein Einkaufszentrum in der Bleichstraße. Doch unter den Stadträten wächst der Widerstand.
Göppingen. SPD-Stadtrat Armin Roos spricht von einer „Katastrophenveranstaltung mit vielen Ungereimhteiten“, der Fraktionschef der Genossen im Gemeinderat, Emil Frick, von einem „Absturz“. Auch Felix Gerber, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, und sein Stellvertreter Jan Tielesch schüttelten am Montagabend immer wieder den Kopf. Für heute haben die Christdemokraten eine öffentliche Erklärung zu der Veranstaltung angekündigt.
Das „Experten-Hearing“ in der Göppinger Stadthalle hatte rund 170 Besucher gelockt – und einmal mehr nutzte OB Guido Till die Gelegenheit, um ein klares Plädoyer für ein Einkaufszentrum in der Bleichstraße zu halten, wo das Konsortium Schenavsky/Acrest Property Group/Sonae Sierra für knapp 100 Millionen Euro eine mehrstöckige Shopping-Mall inklusive vier Parkdecks errichten will. „Etwas neu war zumindest ein Plan mit der Frontansicht, der bedauerlicherweise den Eindruck einer Plattenbaufront der 70er Jahre der DDR aufkommen ließ“, heißt es in einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion. Zurückhaltender äußerte sich gestern Christoph Weber, der Fraktionschef der Grünen im Stadtparlament, allerdings machte auch er klar: „Das Konzept in der Bleichstraße ist so nicht abstimmungsreif.“ Nicht nur am Bahnhof, auch in der Bleichstraße sei der Bau einer „geschlossenen Kiste“ unerwünscht. Weber: „Nach den jetzigen Plänen von Sonae Sierra würde das aber ein gigantisch großes Ding. In diesem Fall hätte sich der Gemeinderat den im Dezember beschlossenen Kriterienkatalog ja sparen können.“ Die Grünen vermissen vor allem die Aufgliederung des geplanten Einkaufszentrums in „mehrere freistehende Gebäude“. Für die Grünen, das ist Weber wichtig, „geht es nicht darum, dass man etwas verhindert, sondern darum, dass man Qualität bekommt“. Für den Fraktionschef der Grünen war die Veranstaltung am Montag ohnehin kein „Hearing“, da es keine „Ergebnisoffenheit“ gegeben habe. Zudem seien die Pläne für die Bleichstraße nicht aus städtebaulicher Sicht geprüft worden.
Für die SPD war „die Veranstaltung inhaltlich großteils eine Abwägung der Pläne des Bleichstraßen-Investors sowie der alten Pläne von MFI für den Busbahnhof“. Dieser Vergleich, so SPD-Stadtrat Armin Roos, „zeigte allerdings sehr deutlich die ausgeprägte Subjektivität der Verwaltung auf“. So sei zum Beispiel das Bleichstraßenkonzept für die „gute verkehrliche Anbindung an das übergeordnete Straßennetz“ gelobt worden. „Die verschiedenen Probleme, zum Beispiel des Engpasses Sonnenbrücke, wurden leider nicht erwähnt, Pläne für eine Nahverkehrsanbindung gar nicht vorgestellt“, kritisierte der SPD-Mann. Fraktionschef Frick („Das ist in die Hose gegangen“) hatte schon während der Veranstaltung verärgert von einem „One-Way-Hearing“ gesprochen. Vor allem bei Frick saß die Enttäuschung tief, war es doch die SPD gewesen, die das Experten-Hearing beantragt hatte. Doch auf die frühzeitige Bitte an OB Till, aus Gründen der Fairness zu der Veranstaltung auch je einen Vertreter der verbliebenen potenziellen Investoren, also auch einen Fürsprecher für ein Einkaufszentrum am Bahnhof, einzuladen, habe er nicht mal eine Antwort erhalten, so Frick.
Die CDU ist nahezu geschlossen gegen die Pläne in der Bleichstraße. Und SPD-Stadtrat Armin Roos betonte gestern: „Aus Sicht der Mehrheit unserer Fraktion besteht vor einer Entscheidung nur die Hoffnung, dass noch weitere Investoren mit neuen, interessanten Konzepten ins Rennen einsteigen werden, so dass auch ein wirklicher Wettbewerb entsteht und nicht die einseitige Haltung der Verwaltung einen solchen komplett verhindert.“ Ein weiterer Investor steht bereits auf der Matte (siehe Extra-Kasten).
Die für den 17. März vorgesehene Abstimmung im Gemeinderat über den geplanten Bau eines Einkaufszentrums ist damit stark in Frage gestellt – eine Mehrheit für die Pläne in der Bleichstraße derzeit nicht in Sicht. Denn auch aus der VUB-Fraktion meldet sich mit dem ehemaligen Göppinger Baudezernenten Joachim Hülscher ein prominenter Gegner zu Wort: „Die vorliegende Sonae-Sierra-Planung wird von mir nicht mitgetragen, denn solche Beliebigkeitslösungen brauchen wir nicht in Göppingen, zumal dann noch am absolut falschen Standort.“Hülscher steht nach eigenen Worten „voll hinter dem Standort Busbahnhof“, sei aber nie ein Befürworter der schwachen MFI-Planung gewesen.
Spitzengespräch mit neuem Projektentwickler im Rathaus
Obwohl OB Till am Montag betont hat, die Stadt werde sich nur dann um neue Interessenten „kümmern“, wenn man mit den bisherigen Projektpartnern nicht weiterkomme, ist bereits für kommenden Freitag, 16.30 Uhr, ein Spitzengespräch im Rathaus angesetzt. OB Till und Stadtplanerin Eva Noller empfangen den Projektentwickler Guido Berndt, der im Namen eines bisher nicht genannten Konzerns Interesse am Bau eines Einkaufszentrums am Busbahnhof mit einer maximalen Verkaufsfläche von 12 500 Quadratmetern bekundet hat.
Zu dem nichtöffentlichen Treffen hat OB Till auch die Fraktionsvorsitzenden des Göppinger Gemeinderats eingeladen.