18 Wahlkampf: Memet Kilic in Geislingen

„Die Vielfalt ist keine Bedrohung“

Der Bundestagsabgeordnete der Grünen Memet Kilic in der Rätsche

Autorin: JOANNA STOLAREK | GZ 18.02.2011

Das Thema „Integration“ sorgt für viele Diskussionen. So auch bei der Wahlkampfveranstaltung der Grünen am Mittwochabend in der Geislinger Rätsche. Zu Gast war der Bundestagsabgeordnete Memet Kilic.

Geislingen. „Jetzt“ prangt als Wahlslogan in großen Lettern auf den Plakaten in der Geislinger Rätsche. Das Konterfei von Bernhard Lehle, dem Kandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl im Wahlkreis Geislingen ist zu sehen. Der Geislinger Stadt- und Kreisrat sitzt an einem Tisch vor der Plakatwand und lächelt das Publikum an. Es ist Wahlkampfzeit.

25 Personen sind in die Rätsche gekommen. Die Stimmung ist leicht angespannt, erwartungsvoll. Es geht um ein Thema, das für viel Diskussionsstoff sorgt. „Integration – Wer verweigert was?“ ist die Veranstaltung überschrieben. Zu Gast ist Memet Kilic, Bundestagsabgeordneter, integrationspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Mitglied im Innenausschuss des Bundestages.

Der Jurist hat ein straffes Programm. Vor der Veranstaltung in der Rätsche besichtigte er zusammen mit Lehle die Gussputzerei seines Namensvetters Kilic in den Neuwiesen, sprach mit Studenten der Geislinger Hochschule über ihre Nöte und Sorgen.

Memet Kilic spricht mit einer angenehm leisen Stimme. Seine Sprache ist gewählt, ein leichter Akzent schwingt mit. Er erzählt zunächst seine Migrationsgeschichte. Mit 23 kam er als junger Anwalt nach Deutschland, lernte in einem Intensivdeutschkurs die Sprache, studierte dann an der Universität Heidelberg, schloss mit Magister legum ab. Und engagierte sich in der Kommunal- und Bundespolitik, war im Rundfunkrat des SWR und bei weiteren Organisationen aktiv. Seit 2009 gehört Kilic dem Bundestag an. Ein Beispiel für perfekte Integration.

„Sarrazin verbreitet Mythen“, sagt der 44-Jährige und ein Raunen geht durch den Raum. Der Name polarisiert nach wie vor. Der grüne Politiker spricht über die Geschichte der Migration in Deutschland, versucht das schiefe Bild über die sogenannten Integrationsverweigerer mit Argumenten gerade zu rücken, plädiert fürs Agieren, nicht Diskutieren. Das Grundgesetz sei auf Multikulti ausgelegt, jeder fünfte Mensch in Deutschland habe einen Migrationshintergrund: „Die Vielfalt ist keine Bedrohung. Wenn es so wäre, hätte sich Deutschland schon längst abschaffen müssen.“

Der Politiker spricht dem Publikum aus der Seele. Die Diskussion im Plenum nimmt Fahrt auf. Persönliche Schicksale stehen plötzlich im Vordergrund: Beispiele für ungerechte Behandlung auf Ämtern, an Schulen, bei der Wohnungssuche, bei der Arbeit, wenn der Migrationshintergrund, der ausländische Name ein Hindernis ist, um weiter zu kommen. Memet Kilic hört zu, macht sich Notizen. Lehle versucht immer wieder, die Debatte zu lenken. Man merkt, das Thema „Integration“ ist mit viel Emotionen verbunden.

„Politik kann Strukturen für den Wandel schaffen“, betont der 44-Jährige. Man solle Integration nicht nur auf Sprache reduzieren, sondern auch Bereiche wie den öffentlichen Dienst und die Medienbranche für Migranten durchlässiger machen. „Das System verschließt sich für gebildete Migranten mit Sprachkenntnissen und das kann nicht sein“. Kilic denkt laut über anonymisierte Bewerbungen nach, über eine Migrantenquote, möchte das Einbürgerungsrecht erleichtern, die Anerkennung der ausländischen Berufsabschlüsse vorantreiben, das Schulsystem reformieren. Es sind viele Pläne: „Wenn eine Kleinigkeit geändert wird, ist es schon viel“. Er spricht zu den jungen Migranten: „Gebt nicht auf! Seid selbstbewusst! Ihr seid nicht schlechter oder weniger wert!“

Eine junge Frau aus dem Publikum bedauert, dass die Medien selten Positives über Menschen mit Migrationshintergrund berichten. Memet Kilic nickt. Der Abend geht zu Ende. Die Besucher diskutieren weiter. Memet Kilic muss zum Zug.

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