27.01.11 Antwort Kretschmann

Winfried Kretschmanns Antwortbrief vom 27. Januar 2011

Neubaustrecke Stuttgart – Ulm / Filstalstrecke, Schreiben vom 18.01.2011

das Schreiben Kretschmanns als pdf…

Lieber Jörg, lieber Bernhard,
 
die von Euch genannten Befürchtungen, dass die Grünen im Falle einer Regierungsübernahme nach der Landtagswahl einen drei- bis viergleisigen Ausbau der bestehenden Filstalstrecke betreiben, wurden mir gegenüber bereits von den Bürgermeistern Buß und Richter geäußert. Ich habe beiden Bürgermeistern mitgeteilt, dass wir einen solchen Ausbau nicht anstreben und außerdem in den nächsten 25 Jahren auch keinerlei Notwendigkeit für einen massiven Kapazitätsausbau besteht, weil die Zugzahlen im Filstal in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind.
 
Die im Gutachten der Vieregg-Rößler GmbH beschriebenen Einzelmaßnahmen zur Beschleunigung der Fernzüge sind Vorschläge der Gutachter, die aufzeigen sollen, dass es auch Alternativen zur Neubaustrecke gibt. Diese Vorschläge hat sich unsere Fraktion weder zu eigen gemacht, noch lehnen wir diese pauschal ohne nähere Untersuchungen ab. Ihre Umsetzung steht aber auch gar nicht zur Debatte.
 
Wir streben zunächst einmal an, den Bau der von der DB geplanten Neubaustrecke in Frage gestellt, da diese in der geplanten Form unsinnig teuer und für den Güterverkehr ungeeignet ist. Eine 60 km lange Schnellstrecke die mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr als 5 Mrd. € kosten wird und dann lediglich von 2-4 Zügen je Stunde und Richtung befahren werden wird ist volkswirtschaftlich zu hinterfragen. Da ist der Ausbau der Rheintalbahn dringlicher, ökonomischer und ökologischer.
 
Zudem ist die Finanzierungsvereinbarung zur Neubaustrecke von uns nie mitgetragen worden, da der Landeszuschuss in Höhe von 950 Mio. € verfassungswidrig ist. Dies hat uns das von uns in Auftrag gegebene Gutachten von Prof. Meyer bestätigt. Eine Kündigung hätte zur Folge, dass die Finanzierungsgrundlage für die Neubaustrecke zusammenbricht. Der Bund allein wollte diese Strecke ja erst in weiterer Zukunft bauen, weil sie im deutschen Gesamtnetz von geringer Bedeutung im Vergleich zu anderen wichtigen Strecken wie z. B. der Rheintalbahn oder der Strecke Frankfurt – Mannheim ist. Diese Bewertung dürfte auch auf den Umstand zurückzuführen sein, dass es im Filstal innerhalb der nächsten 25 Jahre wohl keinen Kapazitätsengpass geben wird.
 
Somit würde sich an der bisherigen Situation in den nächsten 10 Jahren wenig ändern. Aktuell ist auch nicht erkennbar, dass die geplante S-Bahn-Linie nach Göppingen an mangelnder Streckenkapazität scheitert. Solange die Geislinger Steige in der jetzigen Form besteht, wird der Güterverkehr auf dieser Achse weiter abnehmen. Eine trotzdem notwendige Kapazitätserhöhung zwischen Plochingen und Göppingen könnte auch dadurch erreicht werden, dass von der DB abgerissene Überholungsgleise wieder aufgebaut werden. Da es sich in diesem Fall um Neubaumaßnahmen handeln würde, hätte dies für die betroffenen Anwohner der Bahnhöfe den Vorteil, dass die DB AG dort in Lärmschutz investieren müsste.
 
Wenn die Planungen für die Neubaustrecke gestoppt wird, müsste noch einmal von vorne in die Planung eingestiegen werden. Dazu gehört dann auch ein wirklich ergebnisoffener Vergleich zwischen verschiedenen Alternativen mit einer Bürgerbeteiligung die ihren Namen auch verdient. In diesem Rahmen müsste dann ggf. untersucht werden, ob und wenn ja wo und wie Korrekturen an der Strecke durch das Filstal sinnvoll und umsetzbar sind. Eines kann aber nach den Erfahrungen am Oberrhein schon heute gesagt werden: Planungen die mit der Abrissbirne durch die Orte fegen und die Lärmbelastung der betroffenen Bürger noch steigern sind weder durchsetzbar noch verhandelbar.
 
Das in Eurem Brief erwähnte Schreiben des Umwelt und Verkehrsministeriums vom 21. Oktober kenne ich nicht. Klar ist aber, dass das von der Landesregierung in der Öffentlichkeit mit dem Projekt Stuttgart 21 verknüpfte verbesserte Zugangebot rund um Stuttgart eine völlig unverbindliche Planung ist. Auch ist überhaupt nicht klar, wie die damit verbundenen zusätzlichen Zug-Bestellungen in beträchtlicher Höhe finanziert werden sollen. Die Logik der jetzigen Landesregierung nach dem Motto „Nur wenn wir jetzt viel Geld für S 21 ausgeben können wir später viel Geld für mehr Züge ausgeben“ ist im Zeitalter der verbindlichen Schuldenbremse für jeden klar denkenden Menschen als haltlose Versprechung erkennbar.
 
Für uns ist deshalb das Gegenteil klar. Wird Stuttgart 21 nicht verhindert, werden die mit Sicherheit eintretenden erheblichen Kostensteigerungen tiefe Löcher in den Landeshaushalt für Verkehr reißen, welche dann von einer CDU/FDP-Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Reduzierung des Zugangebotes ausgeglichen würden. Besonders unwahrscheinlich ist, dass die Landesregierung die angekündigten stündlichen IRE-Züge auf der Neubaustrecke zusätzlich zu den stündlichen IRE-Zügen im Filstal finanzieren kann. Das würde gegenüber heute eine Vervierfachung des IRE-Angebotes zwischen Stuttgart und Ulm bedeuten. Das Beispiel Bayern zeigt, dass sich auch ein wohlhabendes Land die extrem hohen Mehraufwendungen für Nahverkehr auf einer Schnellfahrstrecke im Stundentakt nicht leisten kann.
 
Zu den negativen Auswirkungen von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke gehören auch die seit der Schlichtung ganz offiziell bekannten Planungen der DB für den Fernverkehr. Danach sollen sowohl Pforzheim und Mühlacker als auch Plochingen und Göppingen völlig vom Fernverkehr abgehängt werden. Die Landesregierung hat dagegen ganz offensichtlich keine Einwände, denn sie plant ja mit an diesem Fahrplankonzept. Hier kann man gut sehen, wie wenig die jetzige Landesregierung die Interessen der Bahnfahrgäste verfolgt. Um die DB bei Stuttgart 21 bei der Stange zu halten, toleriert sie bei der DB leider nahezu alles – angefangen von ständigen Verspätungen und viel zu häufigen Zugausfällen bis hin zur Abschaffung ganzer Fernverkehrslinien. Diese Zustände wollen wir stoppen und dafür werden wir in den nächsten Wochen kämpfen.
 
Freundliche Grüße aus Stuttgart
 
Euer
 
Winfried Kretschmann

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Im Wortlaut:


Der Brief von Jörg-Matthias Fritz und Bernhard Lehle an Winfried Kretschmann vom 25. Januar 2011

Lieber Winfried,

aufgrund der Ablehnung der geplanten Neubaustrecke Stuttgart-Ulm der Deutschen Bundesbahn durch Die Grünen, Baden-Württemberg sorgen sich einige Bürger im Landkreis Göppingen, Die Grünen würden im Falle einer Regierungsübernahme nach der Landtagswahl am 27.März d.J. einen drei- bis viergleisigen Ausbau der bestehenden Filstalstrecke (Krittian-Trasse) bzw. den im Gutachten Vieregg-Rößler vom September 2010 angesprochenen Ausbau der Strecke mit Tunnelbauten sowie Brückenbauwerken im Bereich von Göppingen und Geislingen – wie in Kapitel 2.2.2. Abschnitt 2 bis 3 beschrieben – betreiben.

Wir fragen Dich daher als Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag und als Spitzenkandidat zu Landtagswahl 2011:

  1. Planen Die Grünen im Landtag im Falle eines Verzichts auf die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm einen drei- bzw. viergleisigen Ausbau der bestehenden Filstalsstrecke (Krittian-Trasse)?
  2. Beabsichtigen Die Grünen im Landtag die im Gutachten Vieregg-Rößler vom September 2010 angesprochenen Ausbau der Filstalstrecke mit diversen Tunnel- und Brückenbauten wie im Kapitel 5.2.2 Abschnitt 2 bis 3 beschrieben?
  3. Teilen Die Grünen im Landtag unsere Auffassung, dass ein Ausbau der Filstalstrecke einen erheblichen Eingriff sowohl in die Bausubstanz der anliegenden Städte und Gemeinden sowie auch in den Landschafts- und Naturschutz darstellt, der durch die theoretisch erreichbare Fahrzeitverkürzung von rund 15 Minuten nicht zu rechtfertigen ist? (siehe Vieregg-Rößler Kapitel 5.2.3)
  4. Teilen Die Grünen im Landtag unsere Einschätzung, dass ein Ausbau der S-Bahn vom Plochingen bis Göppingen bzw. bis Geislingen nicht an der Kapazität der bestehenden Filstalstrecke scheitert, wenn auf den Bau der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm verzichtet wird?
  5. Teilen Die Grünen Landtag unsere Einschätzung, dass das Schreiben des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr vom 21.10.2010 an Herrn Landrat Wolff lediglich Absichtserklärungen über den Ausbau der IRE-, RE- und Rb-Verbindungen zwischen Stuttgart über Göppingen nach Ulm enthält, die in keiner Weise verbindlichen Charakter haben?
  6. Teilen Die Grünen im Landtag unsere Einschätzung, dass die Aussagen des Ministeriums zudem im Widerspruch zu den Äußerungen des Technikvorstands der Deutschen Bahn, Herrn Kefer, in den Schlichtungsverhandlungen zu Stuttgart 21 stehen, auch IRE-Verbindungen zwischen Stuttgart und Ulm über die geplante Neubaustrecke zu führen?
  7. Teilen Die Grünen im Landtag unsere Befürchtung, dass durch die Planungen der Bahn auch IC-Verbindungen zwischen Stuttgart und Ulm zukünftig über die geplante Neubaustrecke zu führen, dass der bisherige IC-Anschluss Göppingen ausgedünnt bzw. wegfallen könnte und das Filstal somit von Fernverbindungen abgekoppelt würde?

 
Für eine baldige Antwort wären wir Dir dankbar.
Vielen Dank im Voraus.

Viele Grüße

Jörg Matthias Fritz

(Landtagskandidat Wahlreis Göppingen)   

Bernhard Lehle
(Landtagskandidat Wahlkreis Geislingen)

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