Von wegen nur dagegen
Wahlkämpfe werden selten intelligent und ideenreich geführt. Geeignet scheint für die mediale Schlacht um die Macht, was plakativ ist. In Erinnerung bleiben die simpelsten Sprüche und absurdesten Kampagnen: Freiheit statt Sozialismus, die Rote-Socken-Propaganda, der Feldzug gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Auch das Superwahljahr 2011 mit sieben Landtagswahlen hält eine bemerkenswerte Plattitüde bereit: Die Grünen sind von der Kanzlerin zur ,,Dagegen-Partei“ ausgerufen worden. Erhoben wird der Vorwurf der Fortschrittsfeindlichkeit. Geht das so weiter, hieß Angela Merkels Botschaft im Dezember, werden die Grünen ,,für Weihnachten sein, aber gegen die davor geschaltete Adventszeit“. Na ja.
Inzwischen ist der Januar vergangen und der halbe Februar. Jetzt findet man unter www.Die-Dagegen-Partei.de eine Deutschlandkarte, gespickt mit Verbotsschildern, die suggeriert, dass die Grünen landauf, landab bremsen und blockieren. In einem CSU-Internet-Video wird gesungen: „Ein Männlein steht im Walde ganz grün und dumm, es hat vor lauter Protest eine Steinschleuder um.“ Das Filmchen gehört zu den Youtube-Rennern, auch unter Grünen. In der CSU ist das Ganze vielen längst peinlich.
Warum erhebt die Union den Vorwurf, die Grünen seien nicht mehr als eine fortschrittsfeindliche Protestpartei? Und wie berechtigt ist dieser Vorwurf? Die Kanzlerin befand sich schon in Bedrängnis, als Stuttgart 21 noch nicht bundesweit Schlagzeilen machte. Das Problem der schwarz-gelben Bundesregierung war und ist, dass sich kaum erkennen lässt, wofür sie steht.
Manches gar nehmen viele Wähler richtig übel: die AKW-Laufzeitverlängerung, die Gesundheitsreform mit stabilen Beiträgen nur für Arbeitgeber, das Mehr-netto-vom-brutto-Versprechen, das sich ins Gegenteil verkehrt hat. Zugleich ließ die Koalition in ihrer Außendarstellung lange bürgerliche Tugenden vermissen und beschimpfte sich als „Gurkentruppe“.
Unter diesem Eindruck legten die Grünen in den Umfragen mächtig zu, Politikwissenschaftler sehen in ihnen bereits die Erben der FDP. Die Dagegen-Partei-Kampagne, die auch den Wahlkampf im Südwesten prägt, soll vor allem eines: Union und FDP über das Wahljahr retten.
Richtig ist: Die Grünen sind gegen S 21, gegen Atomkraft, gegen neue, die Landschaft verschandelnde Stromleitungen, gegen Gentechnik und gegen die Olympischen Spiele 2018 in Bayern. Zukunftsverweigerer sind sie deshalb nicht. Anders als Angela Merkel wissen sie, dass nichts alternativlos ist: Sie sind für K 21, die Modernisierung des Stuttgarter Kopfbahnhofs, für den Ausbau erneuerbarer Energien (wofür sie vor 20 Jahren belächelt wurden), für die unterirdische Verlegung der Stromleitungen, für eine dem Menschen gemäße Nahrungserzeugung, für den Schutz der Alpen. Das grüne Dagegen ist in der Regel mit einem Dafür verknüpft.
Unbestreitbar ist, dass sich unter den Gegnern von Infrastukturprojekten auch reaktionäre Modernisierungsverweigerer finden. Die Mehrheit der Grünen aber definiert Fortschritt schlichtweg anders als die Merkel-Mappus-CDU. Nicht alles, was technisch möglich ist, bringt eine Gesellschaft voran.
Auch die Union ließe sich problemlos zur „Dagegen-Partei“ stilisieren: Ist sie nicht gegen einen Umbau des Bildungssystems? Gegen den flächendeckenden Mindestlohn? Gegen Schuldenabbau durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes? Und die FDP? Auch sie – immer nur gegen zu viel Staat und gegen Regulierung.
Es reicht? In der Tat: Alles spricht dagegen, die Wähler ein ganzes Jahr auf diesem Niveau zu traktieren. Wie das Ja gehört das Nein zur Demokratie. Hätten die Bürger sonst die Wahl?