26 GZ-Interview mit Kretschmann

„Wir stellen die Schnellbahnstrecke in Frage“

INTERVIEW WINFRIED KRETSCHMANN
Spitzenkandidat der Grünen zur Landtagswahl: „Unanständige Kampagne der CDU“

Autor: RODERICH SCHMAUZ | GZ 26.02.2011

Natürlich sind die Grünen gegen Stuttgart 21, doch wie halten sie’s nun mit der Schnellbahnstrecke nach Ulm? Mit ihrem Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann sprach GZ-Redakteur Roderich Schmauz.

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Grünen „Stuttgart 21“ ablehnen. Nicht so klar ist ihre Haltung bei der Schnellbahntrasse Wendlingen-Ulm.
WINFRIED KRETSCHMANN: Wir stellen die Schnellbahntrasse in Frage.

Warum?
KRETSCHMANN: Wegen der ausufernden Kosten.

Seit wann?
KRETSCHMANN: Seit dem vergangenen Sommer.

Ein etwas später Schwenk.
KRETSCHMANN: Ja, aber das aus gutem Grund. Wir haben ein Gutachten erstellen lassen und das kommt zum Ergebnis, dass die Schnellbahntrasse nach menschlichem Ermessen unter vier Milliarden nicht zu bauen ist. Zu diesem Zeitpunkt lag der offizielle Preis, den die Bahn angab, noch bei zwei Milliarden. Mit dieser Kostenexplosion stellte sich die Prioritätenfrage dieser Strecke neu. Dazu kommt, dass die Strecke ja nur einen schlechten Wirtschaftlichkeitsfaktor hat und darin sind die sogenannten leichten Güterzüge eingerechnet. Diese gibt es aber faktisch gar nicht. Mittlerweile hat die Bahn selbst die Kosten auf 2,9 Milliarden beziffert, konnte im Grunde unsere Zahlen nie wirklich widerlegen. Deshalb müssen wir die Schnellbahnstrecke in Frage stellen, sie muss noch mal geprüft werden. Vielleicht muss die Trasse optimiert werden, vielleicht muss man sie etwas anders führen, damit kein so enorm hoher Tunnelanteil nötig wird, der die Kosten explodieren lässt. Wir sind keineswegs grundsätzlich gegen die Strecke, aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss stimmen.

Soll auch geprüft werden, ob die Filstalstrecke ausgebaut werden soll?
KRETSCHMANN: Auch das haben die Gutachter als eine mögliche Variante gesehen. Wir haben aber klar gesagt, dass wir auf der Grundlage der jetzigen Faktenlage nicht mit dieser Variante planen. Die Befürworter der Neubaustrecke sagen: Damit werden Kapazitäten auf der alten Strecke frei. Andererseits nimmt ja der Güterverkehr generell ab. Daraus ergeben sich völlig neue Debatten.

Sie schließen also nicht aus, dass statt des Baus der Neubaustrecke die alte Filstalstrecke wie auch immer optimiert wird?
KRETSCHMANN: Nochmal, das kann man so im Moment gar nicht beurteilen. Ich schieße als Politiker nicht aus der Hüfte.

Das Anliegen im Kreis Göppingen ist klar: Der Nahverkehr auf der Schie- ne soll verbessert werden, es gibt Bestrebungen für eine S-Bahn-Anbindung. Da wird argumentiert: Ohne Neubaustrecke keine freie Kapazität für einen besseren Nahverkehr.
KRETSCHMANN: Wir brauchen diese Debatte nicht führen. Jetzt ist die Bahn am Zug, ihre Zahlen zu verifizieren. Jetzt groß rumzuspekulieren, davon halte ich überhaupt nichts. Das Projekt Schnellbahnstrecke hängt ja mit Stuttgart 21 zusammen. Stuttgart 21 macht ohne die Schnellbahnstrecke gar keinen Sinn. Wenn man Stuttgart 21 kippt, muss man völlig neu planen. Das dauert seine Zeit, und alle Beteiligten haben genügend Zeit, um sich fundierte Überlegungen zu machen.

Die Grünen sind in einem Umfragehoch ohnegleichen – dank Stuttgart 21? Glauben Sie, dass dieses Thema auch weiter entfernt von Stuttgart, sagen wir am Bodensee, auch noch wahlentscheidend sein wird?
KRETSCHMANN: Das können natürlich nur die Wähler dort beantworten. Ich kann den Leuten nicht vorschreiben, was für sie wahlentscheidend ist. Stuttgart 21 ist jedenfalls nach wie vor ein wichtiges Thema; es ist vielleicht etwas aus den Medien verschwunden, nicht aber aus dem Bewusstsein der Menschen. Natürlich haben andere Themen wie Wirtschaft- und Umweltpolitik oder Bildung auch eine hohe Priorität.

Als Spitzenkandidat der Grünen können Sie sich Hoffnung machen, der nächste Ministerpräsident zu werden. Der politische Gegner lanciert nun immer wieder das Gerücht, hinter Ihnen würden schon Cem Özdemir oder Boris Palmer warten.
KRETSCHMANN: Das ist einfach eine unanständige Kampagne der CDU mit ihrem Ministerpräsidenten Mappus an der Spitze. Dafür kann er auch keinerlei Anhaltspunkte vorweisen, das ist willkürlich in die Welt gesetzt. Dass so etwas ein Ministerpräsident macht, ist einmalig. Ein Ministerpräsident verbreitet keine unwahren Gerüchte. Das ist unanständig.

Sie haben gerade in Geislingen eine Stippvisite gemacht. Was nehmen Sie von hier mit, welche Perspektiven eröffnen Sie diesem Raum mit seinen Wirtschafts- und Verkehrsproblemen?
KRETSCHMANN: Wir haben gerade das Albwerk besucht. Man sieht, wie zum Beispiel durch regenerative Energien in dieser Region eine Wertschöpfung in Gang kommt. Die Region hat ja auch einen starken Anteil an unserer Kernbranche Maschinen- und Anlagenbau. Das sind Bereiche die grün werden, mit Energie und Ressourcen sparenden Produktlinien, die sich ein Stück weit weg vom Auto entwickeln in Umwelttechnologien hinein. Wir tun da schon etwas, damit das Rückgrat der Wirtschaft in diesem Gebiet auch in Zukunft gute Exportchancen hat. Denn nur grüne Produktlinien sind auf den Weltmärkten konkurrenz- und wettbewerbsfähig.

 

zum Schreiben Kretschmanns zur Filstalstrecke vom 27. Januar 2011…

 

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