26 Kreistag: Geislinger Geburtshilfe

Geburtshilfe vor dem Aus

Kreistag befürwortet weiterhin fast einhellig die Schließung der Abteilung in Geislingen

Autor: RODERICH SCHMAUZ | NWZ 26.03.2011

Nichts Neues aus dem Kreistag: Dass die Geburtshilfeabteilung an der Helfenstein Klinik Geislingen geschlossen wird, befürwortet das Gremium weiterhin, so der Tenor der gestrigen Sondersitzung zu dem Streitthema.

Kreis Göppingen. Über drei Stunden dauerte die „aktuelle Stunde“ des Kreistags im Göppinger Landratsamt, bei der es um das Für und Wider zur Geburtshilfeabteilung an der Helfenstein Klinik in Geislingen ging. Gut 60 Schließungsgegner verfolgten die Sitzung. „Geburtshilferetter“ und Schließungsbefürworter kamen zu Wort. Der Kreistag scheint nahezu einstimmig hinter dem Aus für die Entbindungsstation zu stehen. Am kommenden Mittwoch wird der 13-köpfige Klinikaufsichtsrat, dem zehn Kreisräte angehören, das Ende der Abteilung wohl unwiderruflich beschließen.

Geislingens OB Wolfgang Amann, Sprecher der Schließungsgegner, gab sich versöhnlich: Er entschuldigte sich für den Ausdruck „Monstrum“ für die Klinik am Eichert – wobei er damit nur das Gebäude gemeint habe, nicht die darin tätigen Menschen. Er warb bei den Kreisräten darum, die Geislinger Geburtshilfe als beste „Werbeabteilung der Klinik“ zu erhalten. Der häufigste Anlass, das Geislinger Haus aufzusuchen, seien Geburten. Ein Drittel aller Geburtshilfeabteilungen in Deutschland wiesen weniger Entbindungen auf als die Helfenstein Klinik, die meisten hätten keine Kinderabteilung im Hintergrund. Der OB erinnerte an das Klinik-Leitbild, das eine wohnortnahe Versorgung verspricht. Amann bat die Kreisräte um eine politische Neubewertung. 300 000 Euro Spenden zeigten, wie wichtig die Geburtshilfe der Bevölkerung sei.

Klar wurde, wie es zu den unterschiedlichen Bilanzzahlen und deren Bewertung kommt: Wird die defizitäre Geislinger Geburtshilfeabteilung geschlossen, verschlechtert das die Bilanz der Geislinger Klinik um 56 000 Euro pro Jahr, weil ein Großteil der Gemeinkosten weiterhin entstehen. „Wir müssen das Ganze sehen“, forderte hingegen der kaufmännische Direktor Wolfgang Schmid ein: Davon ausgehend, dass nur 30 Prozent der Schwangeren aus dem Raum Geislingen künftig nach Göppingen zur Entbindung gehen, verbessere sich die Auslastung der Geburtshilfe an der Klinik am Eichert und die Bilanz um 280 000 Euro. Schmid verwahrte sich gegen den „Affront“, er jongliere in der Bilanz mit Zahlen.

Klinikgeschäftsführer Professor Dr. Jörg Martin erneuerte sein vernichtendes Urteil zu Ausarbeitungen der Schließungsgegner: „80 Prozent alte Argumente, 20 Prozent Ansätze für Alternativen“. Landrat Edgar Wolff gab zu bedenken, dass es nicht nur um die Geburtshilfe gehe, sondern um die Sicherung beider Klinikstandorte – und um den sozialen Frieden. Doppelstrukturen müssten abgebaut werden, um als eine Klinik mit zwei Standorten anerkannt zu werden, was Budgetverrechnungen ermögliche, gab Martin zu bedenken. Man dürfe deswegen aber nicht in vorauseilendem Gehorsam für das ferne Ziel die Geburtshilfeabteilung opfern, mahnte Amann. Vorher müsse man die exakten Bedingungen mit dem Sozialministerium aushandeln, zumal es gegenwärtig noch etliche weitere Doppelvorhaltungen an beiden Kliniken gibt.

Amann erneuerte das Angebot, ein Förderverein könne fünf Jahre lang mit jeweils 70 000 Euro das Jahresdefizit der Geburtshilfe minimieren. Und was ist danach, wenn das Geld vervespert ist, lauteten dazu kritische Fragen. Zudem bleibe so der Status quo der Geislinger Abteilung zementiert. Insgesamt vermisste Landrat Wolff das angekündigte tragfähige Alternativkonzept, das eine Lösung ohne Defizit aufzeigt. Professor Dr. Markus Mändle erläuterte die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein genossenschaftliches Modell funktionieren kann. Dem käme innovativer Pilotcharakter zu, betonte er. Es funktioniere aber nur, wenn es beide Seiten wollten. Man dürfe hier kein „Experimentierfeld“ eröffnen, wandte dagegen Martin ein.

Und wie hält es Amann mit seinem vagen Vorschlag, dass die Stadt das ganze Krankenhaus übernimmt? Süffisant fragte hierzu SPD-Fraktionschef Peter Feige nach, um hinzuzufügen: „Ich glaube, der Kreistag wäre darüber recht froh.“

Den Abbau von Doppelstrukturen zur Zukunftssicherung beider Klinikstandorte griff SPD-Kreisrat Sascha Binder aus Geislingen auf. Kreisrat Bernhard Lehle aus Geislingen befand den Abmangel der Geburtshilfe als nicht dramatisch: „Uns Kommunalpolitikern sind auch in anderen Fällen soziale Einrichtungen solche Summen wert.“ Postwendend fuhr ihm seine Fraktionskollegin Dorothee Kraus-Prause über den Mund: „So haben wir das noch nie diskutiert.“ Peter Maichle (CDU) machte kein Hehl daraus, wie schwer sich die Kreisräte aus dem Raum Geislingen mit dem Thema tun. Schuld für den Geburtenrückgang am Geislinger Haus seien Ärzte, die Schwangere immer in auswärtige Kliniken geschickt hätten. Der Fortbestand der ganzen Klinik sei überaus wichtig, was Maichle zu der ironischen, kernigen Warnung veranlasste: „Wenn da was passiert, reiß’ ich Ihnen die Rübe runter, Herr Martin“.

zurück zur Presseübersicht März 2011…

Amann fordert politische Neubewertung

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 26.03.2011

Kreistag Das letzte Mal haben die Befürworter und Gegner einer Schließung des Geislinger Kreißsaals ihre Argumente ausgetauscht. Am kommenden Mittwoch soll nun der Aufsichtsrat endgültig entscheiden.

Die einzige Betroffene hat sich wacker zurückgehalten. Drei Stunden lang hat der Kreistag gestern über die Zukunft der Geburtshilfe an der Geislinger Helfensteinklinik diskutiert. Meist sprachen alte Männer. Die hochschwangere Grünen-Kreisrätin Katrin Ilg aus Uhingen begnügte sich hingegen damit zuzuhören. Dabei ist ihre Position klar. „Eine Geburtshilfestation ist kein Standortfaktor”, sagte sie hinterher und hatte für den Geislinger Oberbürgermeister Wolfgang Amann sogar einen Rat parat. Wenn er wirklich eine familienfreundliche Politik betreiben wolle, solle er doch die Kleinkindbetreuung ausbauen.

Amann hingegen gab sich nach der Sitzung zufrieden. „Ich denke, wir haben zum Nachdenken angeregt.” Seit die Klinikenleitung im November bekannt gegeben hatte, dass die Geburtshilfe in Geislingen geschlossen werden solle, war der OB nicht müde geworden, für ihre Erhaltung zu werben. Am kommenden Mittwoch soll der mit zehn Kreisräten und zwei Arbeitnehmervertretern besetzte Aufsichtsrat der kreiseigenen Gesellschaft endgültig entscheiden. Setzen sich die Geschäftsführung und der Landrat Edgar Wolff durch, wird im Geislinger Kreißsaal bereits im Laufe des April zum letzten Mal der Schrei eines Neugeborenen zu vernehmen sein.

Die Sondersitzung hatte Wolff einberufen, weil ein moderierter Diskussionsprozess zwischen Klinikleitung und Schließungsgegnern vor zwei Wochen gescheitert war. Neue Argumente gab es nicht zu hören. Der Geschäfsführer Professor Jörg Martin wies darauf hin, dass die Zahl der Geburten in der Helfensteinklinik ständig sinke und in diesem Jahr voraussichtlich nur die Hälfte des von der Fachgesellschaft vorgegebenen Mindestwerts von 700 Geburten erreichen würde. Eine Schließung spare der Klinikengesellschaft 250 000 Euro. Hinzu komme der Ärztemangel, unter dem auch die Geburtshilfe leide. Zudem müssten Doppelstrukturen abgebaut werden, wenn man die Göppinger Klinik am Eichert und die Geislinger Helfensteinklinik zu einer Klinik mit zwei Standorten umbauen wolle. Dies brächte große finanzielle Vorteile. „Aber mit zwei Geburtshilfen brauche ich mit dem Sozialministerium gar nicht erst Verhandlungen aufzunehmen”, sagte Martin.

Amann wies darauf hin, dass eine Schließung der Geburtshilfe zwar die Gesamtbilanz der Kliniken verbessern könne, sofern in Göppingen mehr Entbindungen stattfänden. Das wirtschaftliche Ergebnis der Helfensteinklinik werde sich jedoch um 55 000 Euro verschlechtern. Den Ärztemangel relativierte er mit dem Hinweis, in Geislingen seien alle Stellen besetzt. Darüber hinaus sei völlig offen, ob und wann die Kreiskliniken als einheitliches Krankenhaus anerkannt würden. Deshalb sei „eine politische Neubewertung unumgänglich”.

Dass es dazu bei der Aufsichtsratssitzung kommt, ist unwahrscheinlich. Das Kreistagsplenum, das als Gesellschafterversammlung der Kreiskliniken fungiert, verzichtete auf eine Empfehlung. Die Vertreter des Kreistags im Aufsichtsrat meldeten sich weitgehend nicht zu Wort. Katrin Ilg will ihr Kind übrigens weder in Göppingen noch in Geislingen, sondern „hoffentlich zu Hause” zur Welt bringen.

Kommentar Ein Dominoeffekt droht

Geburtshilfe Die Klinikleitung hält ihr Zukunftskonzept weiterhin unter Verschluss. Doch offenbar spielt die Grundversorgung darin keine Rolle. Von Eberhard Wein

Die Nachfrage des SPD-Fraktionschefs Peter Feige war verräterisch: Wie ernst das Angebot gemeint sei, die Stadt Geislingen und ihre Umlandgemeinden könnten sich auch eine Übernahme der Helfensteinklinik vorstellen, wollte er vom Geislinger Oberbürgermeister Wolfgang Amann wissen. „Ich denke, Sie täten dem Kreistag damit einen großen Gefallen”, bekannte Feige.

Ist die Behauptung, beide Kliniken, also auch diejenige in Geislingen, lägen dem Kreis am Herzen, also doch nur ein Lippenbekenntnis? Nachdenklich macht zumindest, dass von der Schließung der Geislinger Geburtshilfe nur die Göppinger Klinik am Eichert profitiert. Dort sollen zusätzliche Entbindungen 300 000 Euro in die Kasse bringen. Die Geislinger Bilanz wird sich hingegen um 55 000 Euro verschlechtern. Es droht ein Dominoeffekt, bei dem in der Helfensteinklinik bald weitere Abteilungen zur Disposition stehen.

Zur kompletten Schließung wird das nicht führen. Dagegen sprechen die gegenwärtigen Millioneninvestitionen in Geislingen. Denkbar ist aber, dass die Helfensteinklinik zu einer Außenstelle mit Spezialabteilungen degeneriert, die zwar ihre Patienten hat, aber für die Grundversorgung der örtlichen Bevölkerung keine Rolle spielt. Würde die Klinikleitung ihr unter Verschluss gehaltenes Zukunftskonzept offenlegen, wüsste man mehr.

zurück zur Presseübersicht März 2011…