02 Parteien nach der Wahl

Parteien im Kreis sortieren sich

FDP: Distanz zu Westerwelle so groß wie nie – CDU: Birk will auch künftig eine Führungsrolle

Autor: HELGE THIELE | NWZ 02.04.2011

Nach der Wahl kommt Bewegung in die Parteien im Kreis: Bei der FDP steht Werner Simmling als neuer Chef bereit. Die Grünen wollen als Wahlsieger professioneller auftreten.

Kreis Göppingen. Knapp eine Woche nach dem historischen Wahlsieg von Grün-Rot und dem Debakel für Schwarz-gelb ist in den Kreisverbänden der Parteien die Aufarbeitung der Landtagswahl in vollem Gange. Noch haben die Mitglieder nicht getagt, doch so viel steht fest: Es soll und wird Veränderungen geben, bei den Gewinnern wie bei den Verlierern. Die von der Ohrfeige der Wähler tief ins Mark getroffenen Liberalen im Kreis reagierten gestern zum einen mit großer Erleichterung auf den offenbar bevorstehenden Rücktritt von Parteichef Guido Westerwelle. Zum anderen bekräftigte der Göppinger Bundestagsabgeordnete Werner Simmling seine Bereitschaft, Winfried Hüttl an der Spitze des vor sich hin dümpelnden Kreisverbands abzulösen.

Heute treffen sich Simmling und Hüttl zum Männergespräch unter vier Augen. Nach den Scharmützeln der vergangenen Monate wollen die Kontrahenten vor allem eins verhindern: dass der notwendige Neuanfang der Liberalen in Selbstzerfleischung endet. Denn dann, das wissen Simmling (66) und Hüttl (56), wäre die FDP im Kreis erst mal tot.

Beide erwarten jedoch, dass die Dinge jetzt auch auf Bundes- und Landesebene schnellstmöglich ins Rollen geraten. „Wir brauchen das deutliche Signal: Das ist die neue FDP“, sagte Hüttl gestern. Simmling ist überzeugt: „Jetzt ist die Zäsur da.“ Hüttl spricht von einer „personellen wie inhaltlichen Neuausrichtung“ der Partei, zu der für ihn auch die geordnete, aber unumkehrbare Abkehr von der Atomenergie gehört. Und sowohl Hüttl, als auch Simmling rechnen fest damit, dass auch Birgit Homburgers Tage als FDP-Landeschefin gezählt sind.

Unterdessen hat Dietrich Birk, Göppinger CDU-Landtagsabgeordneter und stellvertretender Landesvorsitzender seiner Partei, Agenturmeldungen, wonach er neuer CDU-Landeschef werden wolle, als „reine Spekulation“ bezeichnet. Es sei der falsche Zeitpunkt, um Namen in die Runde zu werfen, sagte der 44-Jährige unserer Zeitung. Es gelte jetzt, die Wahlniederlage aufzuarbeiten und eine „Lösung mit Perspektive“ zu erarbeiten. Noch vor den Osterferien soll es daher eine große „Basiskonferenz“ geben, auf der Kreis- und Ortsvorsitzende, Funktionsträger sowie interessierte Mitglieder die Wahl aufarbeiten und über die künftige Aufstellung diskutieren sollen. Birks Appell an Parteikollegen: „Ich kann nur jedem raten, dort gut zuzuhören.“ Auf einem Landesparteitag am 7. Mai soll dann entschieden werden, wer der CDU vorstehen soll. Birk strebt nach eigenen Worten an, „weiterhin in der Parteiführung dabei zu sein“. Was mögliche weitergehende Ambitionen betrifft, übt sich der scheidende Staatssekretär in „Zurückhaltung und Vorsicht“. Er wolle jetzt nicht „mit wehender Fahne“ vorausgehen. Ein klares Dementi hört sich anders an.

Von derartigen Problemen sind die siegreichen Grünen weit entfernt. Der Kreisvorsitzende Walter Kißling sieht die Partei, die im Wahlkreis Göppingen ein Landtagsmandat erkämpft hat, nun auch innerhalb des Landesverbands „auf Augenhöhe“. Allerdings weiß auch Kißling, dass die Strukturen der Kreis-Grünen nach dem Wahlsieg und dem Einstieg ins Regierungsgeschäft deutlich professioneller werden müssen. Darauf will und wird auch der neue Göppinger Landtagsabgeordnete Jörg Matthias Fritz bei der Mitgliederversammlung am 14. April drängen. Er braucht künftig ein noch stärkeres Team hinter sich.

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Die Zukunft hat begonnen

LEITARTIKEL

Autor: HELGE THIELE | NWZ 02.04.2011

Es war eine bewegte Woche, die auf den spektakulären Wahlsonntag folgte. Und es bleibt spannend – auch im Kreis Göppingen. Im Filstal haben sich wie vielerorts die Gewichte massiv verschoben. Das hat Auswirkungen auf die Politik vor Ort. Die Faustregel lautet: Je größer eine Kommune, desto deutlicher wird die landespolitische Achsverschiebung spürbar werden. Besonders auf Göppingen richten sich dabei die Blicke, denn hier steht im kommenden Jahr ein OB-Wahlkampf an, der auch in Stuttgart längst in den Kalendern vermerkt ist.

Der durch die prekäre Lage in Japan stark begünstigte Triumph der Grünen wird OB Guido Till das Regieren nicht erleichtern. Die Grünen werden jetzt im Rathaus noch selbstbewusster auftreten. Zumindest solange, bis Grün-Rot in Stuttgart erste Kratzer bekommt oder die Grünen erstmals ihre Wähler enttäuschen müssen.

Sicher ist: Alle Parteien im Kreis werden sich auf die neuen Mehrheitsverhältnisse im Land einstellen müssen – auch die Grünen als Gewinner. Vor allem der landesweiten Wahlkampf-Erfahrung des Göppinger Parteichefs Jörg Mattias Fritz war es zu verdanken, dass die Grünen im Kreis den wochenlangen Marathon mit Bravour bestanden haben. Dass Fritz sogar den Sprung ins Parlament geschafft hat, ist eine schöne Belohnung. Jetzt muss jedoch eine Strukturreform her: Die Kreisgrünen müssen schneller, agiler und professioneller werden. Die Wähler erwarten von einer Regierungspartei viel Kompetenz vor Ort – nicht nur vom Abgeordneten.

Der FDP, die im Kreis böse abgestürzt ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich neu aufzustellen. Der Bundestagsabgeordnete Werner Simmling muss zunächst Vertrauen schaffen und Ordnung ins Chaos bringen – entweder mit oder ohne Winfried Hüttl als Kreischef. Simmling kommt in der Notlage sicher eine Schlüsselrolle zu, doch als Aushängeschild brauchen die Liberalen mittelfristig einen „Filstal-Lindner“, um auch junge Menschen wieder für liberale Ideen zu begeistern.

Bei den anderen beiden Wahlverlierern ist die Lage unterschiedlich: Die CDU bleibt im Kreis klar stärkste Kraft, Dietrich Birk behält den Landesvorsitz im Blick. Dennoch wird der Kreisverband eine ganze Weile brauchen, um mit der völlig neuen Rolle als Opposition im Land zurechtzukommen.

Und die SPD? Sie kann sich im Kreis über zwei Abgeordnete und die Regierungsbeteiligung freuen. An der historischen Pleite bei dieser Wahl ändert das jedoch nichts. Deshalb müssen sich auch die Genossen im Kreis dringend Gedanken machen über die Zukunft der einst stolzen SPD.

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