02 Bad Boll: Stromnetz

Ein Kurort will die Energiewende einleiten

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 02.04.2011

Bad Boll Der Gemeinderat beschließt einstimmig, mit dem Albwerk ein Versorgungsunternehmen zu gründen.

Der Gemeinderat von Bad Boll hat den ersten Schritt zur Kommunalisierung seines Stromnetzes getan. Einstimmig beschloss das Gremium die Gründung eines eigenen Energieversorgungsunternehmens namens Energie Bad Boll. Daran hält die Gemeinde einen Anteil von 25,1 Prozent. Partner und Mehrheitsgesellschafter ist das Albwerk. Das vor 101 Jahren gegründete Unternehmen mit Sitz in Geislingen ist genossenschaftlich organisiert. Sein Netzgebiet erstreckt sich über weite Teile der Schwäbischen Alb mit knapp 100 000 Einwohnern.

Bad Boll grenzt unmittelbar daran an, liegt bis jetzt aber im Einzugsbereich des Energieriesen EnBW. Ziel sei es, dessen Konzession zum Jahresende zu übernehmen, sagte der Bürgermeister Hans-Rudi Bührle (Freie Wähler). „Ob das gelingt, ist eine andere Frage.” Allerdings stehen die Chancen gut. Denn über die Vergabe entscheidet der Gemeinderat selbst und zwar anhand eines Kriterienkatalogs, den er selbst bestimmen kann. Dabei spielt Geld keine Rolle. Die Höhe der Konzessionsabgabe ist gesetzlich festgelegt. Für Bad Boll beträgt sie 143 000 Euro pro Jahr.

Mehr Sprengstoff könnten die anschließenden Verhandlungen über den Kauf des Leitungsnetzes bergen. Bei einem Verlust der Konzession steht der EnBW als bisherigem Eigentümer eine Entschädigung zu. „Das wird kein Spaziergang”, sagte der Leiter der Abteilung Unternehmensentwicklung beim Albwerk, Christian Gropp. Man rechne mit einem Betrag im unteren siebenstelligen Bereich. Kommt es zu keiner Einigung, ist auch die juristische Festsetzung des Preises nicht ausgeschlossen.

Fest steht, dass Bad Boll rund zehn Prozent des Kaufpreises aufbringen müsste. 30 Prozent bezahlt das Albwerk, der Rest wird über Kredite finanziert. In Anbetracht des schuldenfreien Kernhaushalts sei dies problemlos zu schultern, sagte Bührle. Auch sonst sei das Risiko überschaubar. Das Albwerk räumt der Gemeinde die Möglichkeit ein, in den kommenden Jahren die Anteile an dem gemeinsamen Unternehmen auf bis zu 49,9 Prozent aufzustocken oder wieder auszusteigen. Das gleiche Modell hat das Albwerk bereits mit der Gemeinde Lenningen im Kreis Esslingen vereinbart. Viele andere Orte vergleichbarer Größe scheuen einen solchen Schritt allerdings.

Das Albwerk bezieht seinen Strom zu 30 Prozent aus eigenen Wind-, Solar-, Wasserkraft- und Biomasseanlagen. Der Rest wird bei norwegischen Großwasserkraftwerken eingekauft. Auch die neue Energie Bad Boll solle ihren Schwerpunkt bei den erneuerbaren Energien haben. Wie das Angebot genau aussehen werde, sei Sache des künftigen Aufsichtsrats, in dem der Gemeinde ein Viertel der Sitze zustehen. Mit dem Netz im Rücken sollen die Einwohner und Betriebe am Ort als Kunden gewonnen werden.

Der Einstieg in die Energieversorgung passe gut zur bisherigen Entwicklung von Bad Boll, sagte Dorothee Kraus-Prause von der Grünen Liste. In der Solarbundesliga ist der Kurort kreisweit auf Platz zwei. Bei der Landtagswahl vor einer Woche holten die Grünen wieder einmal die meisten Stimmen. Das ökologische Bewusstsein beschränke sich aber nicht nur auf diese Klientel und sei seit 20 Jahren gewachsen, betonte Henning Schindewolf von der Freien-Wähler-Vereinigung. „Mit Fukushima hat das nichts zu tun”, sagt Rainer Staib (CDU). Die EnBW sei ein guter Partner. Das neue Modell eröffne aber echte Mitsprachemöglichkeiten. Daher sei es auch der von der EnBW über den Neckarelektritzitätsverband vorgeschlagenen Kooperation überlegen. „Da geht es ja nur um eine stille Geldanlage.”

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Kurs auf Ökostrom aus der Region

Bad Boll will Netzübernahme mit dem Albwerk – Absage an Atomstrom – „Passt zur Gemeinde“

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 02.04.2011

Bad Boll will den Kurswechsel zum regionalen und grünen Strom: Die Gemeinde gründet mit dem Geislinger Albwerk eine Gesellschaft, um ihr Stromnetz von der ENBW zurückzukaufen.

Bad Boll. Angedeutet hat sich diese Perspektive schon im letzten Jahr, als Albwerk-Geschäftsführer Hubert Rinklin sein Unternehmen im Bad Boller Gemeinderat vorstellte. Jetzt stellt der Gemeinderat die Weichen für eine Partnerschaft: Einstimmig beschloss er eine Kooperations-Gesellschaft mit dem Ziel, die Stromkonzession für Bad Boll zu erwerben. Abgehängt würde damit die ENBW, deren Vertrag Ende 2012 ausläuft. Die neue Gesellschaft, an der Bad Boll mit 25,1 Prozent beteiligt ist, müsste ihr das Stromnetz abkaufen. Dazu bedarf es eines Verfahrens, in dem noch Unwägbarkeiten lauern können.

Die Gemeinderäte wollen das Albwerk als Partner, weil die traditionsreiche Geislinger Energiegenossenschaft regionalen und grünen Strom anbietet. Für die Grünen ist das der richtige Weg, weil das „gut zur Entwicklung von Bad Boll passt“, erläuterte deren Sprecherin Dorothee Kraus-Prause. Schon in den 90er-Jahren habe die Gemeinde mit der Initiative „Klimapfennig“ für grünen Strom bundesweit aufhorchen lassen. Bad Boll sei mit Bürgersolaranlagen stark vertreten und beziehe als Kommune Ökostrom mit Aufschlag für Neuanlagen. Energiesparen, Energieeffizienz und erneuerbare Energie seien seit 20 Jahren Leitziele.

Die CDU habe lange drüber diskutiert, den Stromanbieter zu wechseln, weil die ENBW doch ein guter Partner gewesen sei, erläutert Fraktionssprecher Rainer Staib. Ausschlaggebend sei das „echte Mitspracherecht“ in punkto Stromgewinnung und Stromverteilung, das bei den Albwerken im Unterschied zur ENBW gegeben sei. „Wir bekommen die Möglichkeit, selber Strom einzuspeisen.“ Der regionale wie der ökologische Gesichtspunkt spreche für das Albwerk, und durch die Gründung der Gesellschaft entstünden der Gemeinde „keinerlei Risiken und finanzielle Abhängigkeit.“ Sie könne notfalls wieder aussteigen. Die CDU wolle auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die Einwohnerschaft von Bad Boll mehr auf Ökologie orientiert sei, so Staib.

Dr. Henning Schindewolf konnte das als Sprecher der Boller Mitte bestätigen. In Bad Boll sei die Bürgerschaft Vordenker für Ökologie, es gebe ein Engagement von unten, das zu Veränderungen geführt habe. „Die Bürger geben Denkanstöße, das Denken wird zum Handeln.“

Bürgermeister Hans-Rudi Bührle sieht „kalkulierbare Risiken“ in dem Neuland, das Bad Boll jetzt betrete. Er meint damit den Stromnetz-Kauf, den man wohl ohne Kraftakt schultern könne, und die Vermarktung des Stroms. Ein neuer Stromanbieter, den die Gemeinde und das Albwerk begründen wollen, müsse erst Kunden gewinnen. Aber da ist ihm und den Gemeinderäten nicht bange. Kämmerer Gunzenhauser verweist auf einen Erfahrungswert: „Mittelfristig gelingt das.“

Ökostrom-Anbieter hat Erfahrung mit Partner-Beteiligungen

Das Albwerk in Geislingen produziert etwa 33 Prozent Ökostrom mit Windkraft (55 Megawatt), Sonnenenergie (45 Megawatt), Biomasse-, Biogas- und Wasserkraftanlagen. Die übrigen zwei Drittel sind importierter Ökostrom: Wasserkraft aus Norwegen.

Mit Beteiligungsgesellschaften hat das Albwerk Erfahrung: Seit 1999 kooperiert es mit Waldkirch, seit 2008 auch mit einem Verbund am Bodensee. Lenningen ist erster Partner für ein neues Optionsmodell, das auch in Bad Boll zum Tragen kommen soll. Die Kommune hält 25,01 Prozent und kann bis 2017 auf 49,9 Prozent erhöhen – aber auch aussteigen.

Bad Boll strebt auch an, die Gaskonzession zusammen mit einem Partner zu erwerben. Dazu laufen Gespräche.

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Die Zeit ist reif für den Wechsel

KOMMENTAR STROM

Autor: JÜRGEN SCHÄFER | NWZ 02.04.2011

Wann, wenn nicht jetzt? Die Zeit ist reif für den Kurswechsel, den die Gemeinde Bad Boll einschlägt: weg vom Atomstrom, den ein großer und wenig beweglicher Energieriese ENBW anbietet – hin zum regionalen und grünen Strom, den das bodenständige Albwerk in Geislingen produziert. Und wer, wenn nicht Bad Boll könnte dafür den Anfang machen? Die Bädergemeinde versteht sich als Vorreiter der Ökologie, hier sind die Grünen stärkste Kraft im Gemeinderat. Bei den Landtagswahlen wählten 34 Prozent der Bad Boller Grün – und damit auch gegen Atomstrom.

Überraschend kommt es nicht, dass der Bad Boller Gemeinderat sich von der ENBW abnabeln will und dem Albwerk in Geislingen den Vorzug gibt. Was überrascht, ist die Einmütigkeit, mit der die Räte Neuland beschreiten wollen. Auch die CDU-Fraktion sagt dem Energieriesen adieu, den ihr Ministerpräsident Mappus mit seinem Aktienkauf wieder ganz ins Ländle zurückgeholt hat. Sie zeigt Courage, indem sie die ENBW übergeht und über den Parteihorizont hinaus denkt.

Freilich steht Bad Boll mit dem Kurswechsel erst am Anfang. Es ist noch ein gutes Stück Weges bis zum Rückkauf des Stromnetzes und der Konzessionsvergabe. Und dann liegt es an den Bad Bollern, ob der Wechsel erfolgreich wird: steigen sie um auf regionalen und ökologischen Strom der „Energie Bad Boll?“ Man darf zuversichtlich sein.

Werden Nachbargemeinden nachziehen? Es wäre zu wünschen. Aber kaum eine Voralbgemeinde hat so wirtschaftlich günstige Voraussetzungen wie Bad Boll. 5200 Einwohner plus 140 000 Gäste-Übernachtungen, 2000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und keine Schulden im Kernhaushalt – damit lässt sich eine Netzübernahme schon anders anpacken als in kleinen Kommunen, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen.

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