26 Grüner Kreisverband

Die Grünen drängen aus dem Hinterzimmer

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 26.04.2011

Wahlnachlese Der künftigen Regierungspartei fehlt es im Kreis immer noch an Mitgliedern – selbst in Bad Boll.

Göppingen ist nicht Kreuzberg und auch nicht Tübingen. Aber vielleicht hat die Stadt von beiden ein klein wenig. Und deshalb steht am Ostermontag am Göppinger Busbahnhof auch ein Reisebus bereit. Ein buntes Völkchen drängt sich mit Plakaten durch die Bustür, bezahlt den Sozialpreis (acht Euro), den Normalpreis (zehn Euro) oder den freiwilligen Solipreis (15 Euro) und flätzt sich in die Sitze: Schüler, Studenten, Grauhaarige. Es geht nach Günzburg – nicht ins Legoland, sondern zur Demonstration am Atomkraftwerk Gundremmingen.

Heike Eigenbrodt hat ihre Mädels dabei – oder umgekehrt. „Gegen Atomkraft bin ich schon lange. Aber in den letzten Jahren bin ich ein bisschen eingeschlafen”, gibt die 44-Jährige zu. Erst Fukushima und das Engagement ihrer Töchter haben sie wieder wachgerüttelt. „Wir waren schon bei der Menschenkette in Neckarwestheim dabei”, sagt die 16-jährige Leonie und zeigt auf ihre 18-jährige Schwester Melissa.

Ein grünes Milieu gibt es im Landkreis Göppingen schon, eine Basis gibt es nicht. „Wir haben weniger Mitglieder als die Junge Union”, sagt der grüne Stadtverbandsvorsitzende, Jörg Matthias Fritz. Immer noch sind die Grünen mehr Splittergruppe als Volkspartei. Und das ist etwas, was Fritz unbedingt ändern möchte. Denn künftig wird nicht mehr der CDU-Abgeordnete Dietrich Birk, sondern er der Vertreter der Regierungspartei am Ort sein. Mit 22,0 Prozent schaffte Fritz im Wahlkreis Göppingen den Einzug in den Landtag. Das bedeutet eine neue Verantwortung.

Das weiß auch der Kreisvorsitzende Walter Kißling. Wenn der 63-jährige Religionslehrer bisher zur Kreismitgliederversammlung einlud, genügte dafür das Hinterzimmer einer Gastwirtschaft. Für den jüngsten Kreisparteitag mietete Kißling zum ersten Mal einen kleinen Saal, das Schulerzimmer in der Göppinger Stadthalle. In neue Dimensionen ist seine Mitgliederkartei aber noch nicht vorgedrungen. Natürlich gab es in den letzten Monaten etliche Eintritte. Aber mehr als ein Tröpfeln sei das nicht gewesen. Dabei sei es jetzt doch wichtig, Kontakte zu pflegen. „Bei der CDU soll der Abgeordnete die Politik vor Ort absichern. Wir wollen aber unser Ohr bei den Menschen haben”, sagt Kißling. Das könne Fritz nicht alleine leisten. „Wir müssen uns zeigen.” Überall, wo sich Menschen treffen, müssten auch Grüne sein: bei Ausstellungseröffnungen, beim Sportverein, beim Neujahrsempfang, beim Seniorennachmittag. Doch dafür fehlt den Grünen eine Legion. „Wir sind Ministerpräsident, aber nur ganz wenig Leute”, sagt Kißling.

Da hilft es auch nicht, wenn Fritz feststellt, dass die Grünen „in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind”. Tatsächlich schafften sie im Kreis bei der Landtagswahl fast flächendeckend die 15-Prozent-Hürde. Nur das kleine Bergdorf Drackenstein blieb mit 11,4 Prozent etwas hintendran. Dafür schnellte in Mühlhausen der Stimmenanteil auf 28,6 Prozent hoch. Dort gibt es eine Bürgerinitiative gegen die Schnellbahntrasse, aber noch keine Grünen. Kißling weiß, wie wichtig eine Ausdehnung ins Voralbgebiet wäre. „Wir müssen dort unbedingt einen Ortsverein gründen.”

Bisher ist das nur in Bad Boll gelungen. Der 5300-Einwohner-Ort mit evangelischer Akademie, antroposophischer Wala-Fabrikation und mineralischem Heilbad ist guter Humus für die Ökopartei. Bei der Landtagswahl landeten die Grünen hier wieder einmal auf Platz eins. Das gab es in der gesamten Region sonst nur noch in der Landeshauptstadt. Seit Jahren stellen die Grünen die stärkste Fraktion im Gemeinderat und die stellvertretende Bürgermeisterin. Vor kurzem wurde mit der Gründung eines eigenen Stadtwerks der Atomstromkonzern EnBW ausgebootet. Auch bei den bürgerlichen Fraktionen von CDU bis zur Wählervereinigung war dieser Beschluss am Ende völlig unstrittig.

Es sei in Wahrheit umgekehrt: die Mitte der Gesellschaft sei bei den Grünen angekommen, schließt aus solchen Entwicklungen der junge Kreisrat Tim Bollinger. „Wir haben uns doch gar nicht so sehr verändert.” Zur großen Mitgliederpartei haben es die Grünen aber selbst in Bad Boll nicht gebracht. „Die Leute wollen sich bewusst nicht einer Partei anschließen”, sagt Kißling. Selbst die Gemeinde- und Kreisrätin Petra Csiky übernahm bei der vergangenen Landtagswahl zwar die Zweitkandidatur im Wahlkreis Geislingen, besitzt aber bis heute kein Parteibuch. „Ich habe ein grundsätzliches Problem mit einem Parteieintritt”, sagt Csiky. Doch sie hat mit sich gerungen. „Ich werde das jetzt machen. Man muss ja seinen Verstand nicht abgeben.”

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