10 Kretschmann in Stötten

Auf Knopfdruck drehen sich fortan die Rotoren der ersten, rein schwäbischen Windkraftanlage. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (rechts) und wpd-Vorstand Dr. Hartmut Brösamle setzen sie in Gang.

Aufwind für die Windkraft

Ministerpräsident weiht leistungsstarken Prototyp bei Stötten ein

Autor: RODERICH SCHMAUZ | GZ 10.09.2011 

 

In mehrfacher Hinsicht ist die Windkraftanlage einzigartig, die Ministerpräsident Kretschmann gestern bei Stötten eingeweiht hat: Sie ist die leistungsstärkste Anlage und die erste echt schwäbische Konstruktion.

Stötten. Trotz regnerischen Wetters und matschigen Bodens feierte die Bevölkerung gestern Abend im Zelt am Stöttener Berg bei Freibier, Vesper und Musik ein richtiges Fest. Anlass war die Einweihung einer neuen Windkraftanlage, die einige Besonderheiten aufweist. Angefangen damit, dass der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann persönlich zur Einweihung kam.

Mit 2,7 Megawatt handelt es sich um die leistungsstärkste Anlage im Land. Entwickelt und erbaut wurde der Prototyp in der Rekordzeit von nur zwei Jahren von der Göppinger Firma Schuler. Der Rotor ist damit die bisher einzige rein schwäbische Windkraft-Entwicklung. Die Anlage – Nabenhöhe 100 Meter, Rotordurchmesser ebenfalls 100 Meter – ist innovativ, weil sie ohne Verschleiß-intensives Getriebe auskommt; ihr Direktantrieb ist effizienter. Die Windkraftanlage deckt den Strombedarf von über 1200 Haushalten. Eingespeist wird der Strom ins Netz des Albwerks – wie das bereits acht andere Anlagen in nächster Umgebung tun.

Er werde mit vielen „schwierigen Baustellen“ konfrontiert, sagte Kretschmann, da gebe es keinen besseren und schöneren Termin für ihn, als nun die erste Windkraftanlage einzuweihen. Er findet es beschämend, dass sich im Land erst 400 Windräder drehen: „Wir sind hintendran, das ist unwürdig für ein Technologieland wie Baden-Württemberg. Nun beginnt die Aufholjagd.“ Als Ziel proklamiert er, in den kommenden zehn Jahren die Zahl der Windkraftanlagen zu verzehnfachen und den von ihnen produzierten Stromanteil von 0,9 auf zehn Prozent zu steigern. Das bedeute, dass pro Jahr 100 neue Anlagen gebaut werden müssen. Zusätzliche Vorranggebiete sollen ausgewiesen werden, Ausschlussgebiete soll es bald nicht mehr geben.

Die Bürger müsse man in diese Energiewende einbeziehen, forderte Kretschmann. Seine Vision ist, in der praktischen Umsetzung zu beweisen, dass ökologische Nachhaltigkeit ein tragender Wirtschaftsfaktor sein kann. Ohne Atomkraftwerke und fossile Stoffe ein wirtschaftlich erfolgreiches Energiekonzept zu realisieren, damit könne das starke Industrieland Baden-Württemberg ein Modell entwickeln, das beispielhaft würde „für die Welt“, sagte Kretschmann in seiner mit viel Beifall bedachten Ansprache.

Zwischenapplaus erntete er mit dieser Bemerkung: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn das Portfolio von Schuler auch künftig Windkraftanlagen umfassen würde“. Denn die Firma hat offenbar ihre Windkraft-Entwicklungsabteilung schon wieder aufgelöst und will ihre Innovation verkaufen.

Für den Prototyp in Stötten fand Schuler die wpd AG als Partner. Diese Gesellschaft mit weltweit 600 Beschäftigten betreibt 170 Windparks mit 1400 Anlagen und ist Marktführer in Deutschland. Ihr Vorstandschef Dr. Hartmut Brösamle erinnerte an die schwierigen Anfänge. Für die Windkraft habe man auf der Alb viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Frühere baden-württembergische Ministerpräsidenten hätten zudem vor der Verspargelung der Landschaft gewarnt. Es sei deshalb ein Signal für die ganze Branche, wenn mit Kretschmann ein Ministerpräsident eine Anlage eröffne. „Das zeigt den Wandel.“

Landrat Edgar Wolff sicherte bei Genehmigungsfragen weiterhin „Rückenwind für die Windenergie“ zu. Von 29 Anlagen in der Region Stuttgart befänden sich 26 im Kreis Göppingen. Von der Topografie am Albtrauf sei der Landkreis für diese Spitzenstellung prädestiniert. Gleichwohl mahnte Wolff ein planvolles Vorgehen an, um auch das Bild der Landschaft und ihren Erholungswert zu erhalten.

Mit einem Ökosong auf Sonne, Wasser und Wind hatten Eybacher Kindergartenkinder die Feier eröffnet. Mit zünftiger Volksmusik wartete im Anschluss an die offizielle Feier, zu der auch zahlreiche kommunale Mandatsträger gekommen waren, der Musikverein Schnittlingen auf. Mit einem symbolischen Knopfdruck schalteten Kretschmann und Brösamle die Anlage ein. Dann fuhren beide mit dem Aufzug hoch und traten auf Nabenhöhe auf die Plattform heraus.

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Bereit, um mit einem Aufzug und über Treppen die 100 Meter hohe Plattform der neuen Windkraftanlage zu erreichen: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links) und wpd-Vorstand Dr. Hartmut Brösamle haben dazu Schutzkleidung angelegt. Fotos: Markus Sontheimer

Der Landesvater erfreut sich am Riesenrad

Autor: EBERHARD WEIN | StZ 10.09.2011 

 

Geislingen Auf dem Stöttener Berg hat der Ministerpräsident Winfried Kretschmann die größte Windkraftanlage Baden-Württembergs eingeweiht. Doch ob der schwäbische Prototyp aus dem Hause Schuler in Serie geht, ist weiter ungewiss. Von Eberhard Wein

Auf historischem Boden eine historische Tat: im Beisein des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) ist gestern auf dem Stöttener Berg nördlich von Geislingen die leistungsstärkste Windenergieanlage Baden-Württembergs eingeweiht worden. Sie soll mit einer Nennleistung von 2,7 Megawatt, einer Nabenhöhe von 100 Metern und einem ebenso großen Rotordurchmesser rund 4000 Personen mit Strom versorgen können. Sie ist damit zwar etwas niedriger, aber leistungsstärker als die umstrittene Anlage, die in Kürze bei Ingersheim im Kreis Ludwigsburg in den Himmel wächst.

Dies liegt nicht nur an den größeren Rotorblättern, sondern auch daran, dass die Schwäbische Alb mit durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von bis zu sechs Metern pro Sekunde als besonders ertragreich gilt. Nicht umsonst drehen sich mittlerweile 26 Windräder mit einer Nennleistung von fast 33 Megawatt im Kreis Göppingen. Das sind neunmal so viele wie im gesamten Rest der Region. „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen”, zitierte der Landrat Edgar Wolff in seinem Grußwort stolz ein chinesisches Sprichwort.

Dabei besitzt der Standort Stötten für die weltweite Entwicklung der Windenergienutzung auch eine historische Bedeutung, wie der Geschäftsführer der in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) ansässigen Betreiberfirma wpd, Hartmut Brösamle, in seiner Ansprache hervorhob. „Hier – und nicht irgendwo an der Küste – hat Ulrich Hütter, der Leiter des Instituts für Flugzeugbau an der Technischen Hochschule Stuttgart, das Urmodell der modernen Windkraftanlage errichtet”, sagte Brösamle.

Obwohl dieses Windrad nur auf die bescheidene Nennleistung von hundert Kilowatt kam, besaß es schon damals, im September 1957, drei Rotorblätter aus glasfaserverstärktem Kunststoff. „Das ist heute Stand der Technik”, sagte Brösamle. In Anbetracht so viel schwäbischen Tüftlergeists konnte die Frage des Ministerpräsidenten also nur eine rhetorische sein: „Wo, wenn nicht in Baden-Württemberg mit seiner Infrastruktur in Forschung und Wissenschaft,” sagte Kretschmann in seiner Ansprache, „sollte Windenergie gute Zukunftschancen haben?”

Dennoch herrschte beim Bau von Windanlagen im Land lange Flaute. Wegen der Mauertaktik früherer Landesregierungen habe sich seine Firma vor Jahren von Baden-Württemberg abgewandt, räumte Brösamle ein. Das Projekt auf dem Stöttener Berg sei nun ein Wiedereinstieg in den südwestdeutschen Markt. Kretschmanns Besuch mache dabei den vollzogenen Wandel in der Landespolitik deutlich, lobte Brösamle und erinnerte an den früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU). Dieser habe noch vor wenigen Jahren das Wort von der Verspargelung der Landschaft geprägt und sich „als Don Quichotte im Kampf gegen Windmühlen” feiern lassen.

Aus Landessicht besitzt das Stöttener Riesenrad noch eine weitere Bedeutung. Es handelt sich um eine echte schwäbische Eigenentwicklung auf dem bisher von norddeutschen und dänischen Firmen beherrschten Markt. Der Prototyp, dessen neuen Permanent-Magnet-Generator Kretschmann aus der Nähe ansehen durfte, als er im Serviceaufzug in hundert Metern Höhe schwebte, stammt aus dem Hause des Pressenherstellers Schuler. Das Göppinger Unternehmen hat das Projekt im Geschäftsjahr 2009/2010 unter dem damaligen Geschäftsführer Jürgen Tonn gestartet, um die Abhängigkeit vom Automobil- und Zuliefersektor zu reduzieren.

„Ich erhoffe mir, dass sich Schuler weiterhin in diesem Markt engagiert”, sagte Kretschmann. Allerdings ist es gut möglich, dass das Stöttener Rad, das sich seit April im Probebetrieb dreht, ein Unikat bleibt. Der neue Vorstandschef Stefan Klebert scheint wenig Interesse an der Windsparte zu haben, obwohl er im Jahr 2003 als Geschäftsführer der Rostocker Windkraftfirma Nordex tätig war. Allerdings dauerte sein Gastspiel dort nur drei Monate.

Ob sich dabei eine Aversion ausbildete, ist unbekannt. Jedenfalls kündigte Klebert bei Schuler zu Jahresbeginn eine Rückfokussierung auf die traditionellen Geschäftsfelder an. Man habe den Markt für Windkraftanlagen nochmals analysiert und festgestellt, dass sich die Wettbewerbssituation verschärft habe. Wachstum sei nur mit hohem Kapitaleinsatz möglich. Man sei deshalb auf der Suche nach einem strategischen Partner, hieß es auch gestern. Bei der Einweihung ließ sich Klebert durch seinen Technikvorstand Joachim Beyer vertreten.

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Im Festzelt unter dem 150 Meter hohen Windrad haben gestern hunderte Bürger dessen Einweihung gefeiert. Foto: Horst Rudel