23.01.12 Neujahrsrede (Lösch)

Neujahrsrede von Brigitte Lösch am Neujahrsempfang der Grünen KV Göppingen im Kulturhaus Rätsche, Geislingen am 23.01.2012

Die Rede als pdf-Datei gibt’s hier…

Ich freue mich sehr zum Neujahrsempfang von meinem früheren Kreisverband Göppingen eingeladen worden zu sein und freue mich noch mehr darüber, dass der Neujahrsempfang in meiner früheren Heimatstadt Geislingen stattfindet, dort wo sozusagen die Grundsteine für mein politisches Engagement gelegt wurden. 
 
Eine Neujahrsrede besteht immer aus den Teilen Rückblick und dem Ausblick. 
 
Deshalb lassen Sie uns zuerst kurz auf 2011 zurückblicken, ein Jahr das in vielerlei Hinsicht Neues und Unerwartetes gebracht hat – so dass wir nicht mit dem bekannt beliebten Spruch "The same procedure as every year" starten konnten. 
 
Zu viel hat sich im letzten Jahr ereignet, dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe in Fukoshima folgte die Energiewende in Deutschland mit dem erneuten und frühzeitigen Atomausstieg – nachdem ein halbes Jahr zuvor die Laufzeit der Atomkraftwerke von der Bundesregierung verlängert wurde und damit der rot-grüne Atomausstieg aus 2001 rückgängig gemacht wurde. 
 
Das Ergebnis der Landtagswahl im März 2011, das nach 58 Jahren einen Regierungswechsel mit sich brachte, ist ein grüner Ministerpräsident. 
 
Das ist für manche gewöhnungsbedürftig – vor allem für diejenigen, die die letzten Jahre an der Regierung waren und noch nach ihrer neuen Rolle suchen. Aber der Großteil der Bevölkerung von Baden-Württemberg hat damit keine Probleme, wie die Umfragen für Baden-Württemberg zeigen. 
 
Außer vielleicht in einem kleinen Ort am Rande des Landkreises Göppingen – bezeichnender Weise bei den Narren – so ist den Donzdorfern ihr Obernarr abhanden gekommen, der Vorsitzende des Kulturrings, der sich trotzig geweigert hat den Ministerpräsidenten einzuladen, weil der das falsche Parteibuch hat. 
 
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich auch die CDU im Landkreis Göppingen in den folgenden Jahren noch mit dem neuen Ministerpräsidenten und den Grünen arrangieren wird. 
 
Die Bürgerinnen und Bürger haben am 27. März 2011 in Baden-Württemberg Geschichte geschrieben. Sie haben bei der Landtagswahl den Wechsel gewählt und sich damit für eine neue Politik und einen neuen Politikstil entschieden. 
 
Im Koalitionsvertrag sind die Grundlagen für eine neue Politik des Gehörtwerdens verankert, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern will Grün-Rot den Politikwechsel verwirklichen 
 
Und ich sag‘s mal mit Friedrich Schiller: "Frisch also – mutig ans Werk!" 
 
Im Augenblick finden die Haushaltsplanberatungen für den Landeshaushalt 2012 statt. Unter dem Motto "konsolidieren, sanieren und investieren" steht die Landesregierung vor der riesigen Aufgabe die strukturelle Deckungslücke im Haushalt von mindestens 1,5 Milliarden Euro schrittweise abzubauen. Dabei wird der Haushalt 2012 ohne neue Schulden auskommen. Unser Kurs als Landesregierung steht jedenfalls für finanzielle Nachhaltigkeit. Dabei ist auch klar, dass sich Landespolitik nicht nur am politisch Wünschbaren, sondern vor allem auch am finanziellen Machbaren orientieren muss. 
 
Denn spätestens 2020 gebietet die neu in die deutsche Verfassung aufgenommene Schuldenbremse, dass auch für die Länder keine Neuverschuldung mehr möglich ist. Deshalb müssen wir frühzeitig reagieren und die Deckungslücke jetzt abbauen. 
 
Doch die Überschrift über dem Haushalt heißt ja nicht nur Konsolidieren und Sanieren – sondern auch Investieren. 
 
Bei den geplanten Investitionen im neuen Haushalt haben wir besondere politische Schwerpunkte auf Bildung und Energie gesetzt, von denen auch der Landkreis Göppingen profitiert. 
 
So steigt das Land wieder in die Schulsozialarbeit ein und finanziert jede Stelle zu einem Drittel. Von daher ist es zu begrüßen, dass der Gemeinderat der Stadt Geislingen den Beschluss gefasst hat, an allen drei Werkrealschulen Schulsozialarbeit einzurichten. Zur Erinnerung: 2005 ist das Land aus der Finanzierung der Schulsozialarbeit ausgestiegen und hat es als reine kommun ale Aufgabe definiert. Wir sind der Ansicht, dass die traditionelle Form der Kooperation von Jugendhilfe und Schule nicht nur Aufgabe der Kommune ist. Schon 1998 hat die Jugendenquete des Landtags festgestellt, dass Schulsozialarbeit je zu einem Drittel von Jugendhilfeträger (Landkreis), Schulträger (Stadt) und Land zu finanzieren ist. 
 
Desweiteren haben wir einen Meilenstein zum Ausbau der Kleinkindbetreuung auf den Weg gebracht. Wie Sie wissen, wird ab 1.8. 2013 der Rechtsanspruch für einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr Gesetz werden. Um die Kommunen mit diesem Rechtsanspruch nicht im Regen stehen zu lassen, hat die Landesregierung einen "Pakt für Familien mit Kindern" mit den kommunalen Spitzenverbänden geschlossen, d.h. schon in diesem Jahr erhöhen sich die Zuweisungen an die Kommunen um 315 Millionen Euro von 129 Millionen auf 444 Millionen. Das bedeutet für den Landkreis Göppingen ein Mehr an vier Millionen Euro für den Ausbau der Kleinkindbetreuung und rund 400 000 Euro mehr für die Betreuung durch Tageseltern. 
 
Das Land wird sich ab 2014 mit 68% der Betriebskosten an der Kleinkindbetreuung beteiligen. Damit ist ein wichtiger Schritt gemacht worden, das Land tatsächlich kinderfreundlicher zu machen und aktiv zur Vereinbarung von Familie und Beruf beizutragen. 
 
Die Kinder- und Familienfreundlichkeit der Kommune wird ein immer wichtigerer Standortvorteil für Kommunen im Kampf um junge Familien. Im Zuge der demographischen Entwicklung ist das ein wichtiger Faktor – und man darf nicht ausser Acht lassen, dass der Landkreis Göppingen und die Stadt Geislingen sehr negative Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung haben. 
 
Die Bildungspolitik wird auch in diesem Jahr ein zentrales Thema bleiben. Im Bereich der frühkindlichen Bildung werden zum ersten Mal originäre Mittel für die Sprachförderung im Haushalt eingestellt: 11 Mio. Euro – und zwar für eine alltagsintegrierte Sprachförderung ab dem ersten Tag, an dem ein Kind in den Kindergarten kommt. Nur wenn Kinder über ein ausreichendes Sprachverständnis verfügen, sind sie auch in der Lage Bildungsinhalte zu verstehen. 
 
Aus diesem Grund lehnen wir auch das von der schwarz-gelben Bundesregierung in Berlin geforderte Betreuungsgeld ab, das Eltern eine Prämie zusichert, wenn sie keinen Krippenplatz in Anspruch nehmen. Das ist absoluter Murks und setzt bildungspolitisch die absolut falschen Signale. 
 
In einigen Wochen werden wir auch die Erfolge der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung sehen und zeigen können, dass die Befürchtungen nicht eingetroffen sind. Im Gegenteil wird durch die Neuregelung der Druck aus den letzten Klassen der Grundschulen genommen, und auch der Druck von den SchülerInnen und Eltern genommen – das vierte Schuljahr hatte sich ja schon zu einer Art Grundschulabitur entwickelt. 
 
Die grün-rote Landesregierung steht für einen Bildungsaufbruch an den Schulen, indem die Kinder nicht passend für die Schule gemacht werden, sondern die Schule passend für die Kinder. Wir haben eine innovative Schulentwicklung von unten angestoßen und überall dort, wo Schulträger, LehrerInnen und Eltern das wollen, können künftig zehnjährige Gemeinschaftsschulen entstehen. 
 
In der letzten Woche wurden die ersten Standorte der 34 Gemeinschaftsschule bekanntgegeben, die jetzt im Herbst 2012 ihre Arbeit aufnehmen. Jetzt haben zahlreiche Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg die Chance bis zur 10. Klasse gemeinsam zu lernen und ihr persönliches Bildungsziel zu erreichen. Längeres gemeinsames Lernen fördert die schwachen SchülerInnen und fordert die starken. Durch das pädagogische Konzept mit Schwerpunkt auf individuelle Förderung erreicht jeder seinen individuell besten Lernerfolg – kein Kind geht verloren. 
 
Im Landkreis Göppingen haben wir eine Schule in Bad Boll, die ins Landesprogramm aufgenommen wurde. 
 
Gute Voraussetzungen dazu hätte auch in Geislingen die Tegelbergschule – und ich kann mir vorstellen, dass Schule, Eltern und Schulträger (also Stadt) ein gutes pädagogisches Konzept entwickeln, um in der zweiten Tranche im nächsten Jahr an den Start gehen zu können. 
 
Ein Satz noch zur Bildungspolitik, zum Thema G8/G9 – also zwei Geschwindigkeiten, die zum Abitur führen. Dass dies ein wichtiges Anliegen vieler SchülerInnen und Eltern ist merkt man daran, dass in Geislingen beide Gymnasien einen Antrag auf G9 gestellt haben. Wohlwissend, dass pro Kommune nur ein Antrag für ein Gymnasium gestellt werden darf – Anmeldeschluss ist 1. März 2012. 
 
Mit der Einführung des G8 in der vorletzten Legislaturperiode der alten Landesregierung hat sich gezeigt, dass viele SchülerInnen überfordert sind – weil der Stoffplan nicht entsprechend reduziert wurde und es kaum mehr Zeit für Aktivitäten und Engagement außerhalb der Schule gab. Die neue Landesregierung eröffnet nun die Wahlfreiheit und geht gleichzeitig nicht komplett zurück zum G9. Warum nicht? 
 
Zum einen setzen wir auf den Ausbau der Gemeinschaftsschulen, die einen neunjährigen Weg zum Abitur schaffen, genauso wie übrigens die beruflichen Gymnasien. Vor allem setzten wir auf die Weiterentwicklung des Bildungsplans des jetzigen G 8 – denn damit entlasten wir die Großzahl der SchülerInnen an allen Gymnasien in Baden-Württemberg. 
 
(das beinhaltet die Erhöhung der sogenannten Poolstunden, die zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stehen sollen, zu verbessern.) 
 
Neben dem Bildungsaufbruch steht als weiteres zentrales Thema die Energiewende im Mittelpunkt unseres Handelns. Dazu gehören vor allem die Novellierung des Landesplanungsgesetzes und der Windenergieerlass. Damit kommen wir, dem von der Landesregierung anvisiertem Ziel, bis zum Jahr 2020 etwa 10% des Stroms im Land aus Windenergie bereit zu stellen, einen großen Schritt näher. Dazu sind die neuen Leitlinien des Landesplanungsgesetzes dringend notwendig, die nicht mehr auf Verhinderung zum Bau für neue Windräder setzen, sondern auf die Ausweisung von Vorranggebieten. Dass dies dringend notwendige Maßnahmen sind, zeigt sich daran, dass im Jahr 2011 (also unter den Vorzeichen der alten Landesregierung) nur sage und schreibe sechs neue Windkraftanlagen gegründet wurden – mit gerade einer Gesamtleistung von 13 Megawatt. 
 
Insgesamt müssen und werden wir ein deutlich günstigeres Planungs- und Investitionsklima schaffen, als es bisher der Fall war. 
 
Dass der wirtschaftsstarke Südwesten, mit zahlreichen vor allem mittelständischen Unternehmen in der Windbranche, bundesweit Schlusslicht beim Zubau von Windkraftanlagen ist, darf so nicht mehr passieren. 
 
Dass in Geislingen die Energiewende angekommen ist, zeigt sich daran dass neben den bisherigen 12 Windkraftanlagen die Planungen für weitere sieben bestehen. 
 
Wenn Sie dies umsetzen, bekommen Sie den Titel „Geislingen – the windy city“ überreicht. 
 
Neben dem Ausbau der Windenergie ist der Klimaschutz ebenfalls ein Job-Motor fürs Land. Mit dem geplanten Energie- und Klimaschutzkonzept wird Baden-Württemberg nicht nur seinen Beitrag zur weltweiten Begrenzung des Temperaturanstiegs leisten, sondern es werden auch neue Arbeitsplätze entstehen. Dies unterstreicht auch eine Studie des Unternehmensberater Roland Berger (bestimmt nicht im Verdacht ein Grüner zu sein), wonach der Umweltschutz bis zum Jahr 2020 der bedeutendste Industriezweig in Deutschland wird. Allein im Bereich der Energieeffizienz können bundesweit in den nächsten zehn Jahren etwa 800 000 neue Jobs geschaffen werden. 
 
Um dies zu unterstützen wird die Landesregierung im laufenden Jahr die Haushaltsmittel mehr als verdoppeln und somit 11 Mio. Euro mehr für die Energiewende und den Klimaschutz bereitstellen. 
 
Ein weiteres wichtiges Anliegen – das mir persönlich auch sehr am Herzen liegt – ist eine gute und moderne demokratische Beteiligungskultur für unser Land. Mit der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Gisela Erler haben wir da jetzt eine wunderbare Frau sitzen, die das Thema vorantreibt. 
 
Mit der Volksabstimmung zu S 21 wurde auf Landeseben erstmals direkte Bürgerbeteiligung erprobt. Obwohl mir das Ergebnis nicht gefallen hat, muss man feststellen, dass die hohe Abstimmungsbeteiligung ein sehr guter Beginn für mehr Demokratie in Baden-Württemberg ist. 
 
Mein Fazit lautet deshalb, die Menschen wollen mehr Transparenz und eine stärkere Beteiligung an politischen Entscheidungen. Deshalb ist für 2012 vorgesehen ein Gesetz zur Erleichterung von Volksabstimmungen und Bürgerentscheiden in den Kommunen. Baden-Württemberg ist in dieser Frage im Rückstand gegenüber den meisten Bundesländern. 
 
Die beste Bürgerbeteiligung findet auf kommunaler Ebene statt. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich Bürgermeister und Kommunalverwaltungen für diese Ideen öffnen – denn von denen hängt ja deren Gelingen ab. Wir wollen deshalb, dass in der Ausbildung der BeamtInnen auf allen Ebenen die Bürgerbeteiligung als originäre Aufgabe herausgestellt wird und dass sie die erforderlichen Kompetenzen erhalten, um Gespräche zu moderieren und Konflikte frühzeitig zu erkennen. Für mich hängt das Thema Bürgerbeteiligung ganz stark von den Handlungsweisen der Behörden und Ministerien ab. 
 
Faire Diskussion und Moderation soll aber auch schon in der Schule ein Bestandteil des Unterrichts sein. Die Anerkennung und Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement schafft die Möglichkeit, auf ein breites Wissen in der Zivilgesellschaft zurückgreifen zu können. 
 
Auch für bürgerschaftliches Engagement ist oder war Geislingen gut aufgestellt. Ich erinnere an die Geislinger Studie, die 1996 repräsentativ vom Sozialministerium in Sachen Ehrenamt/Bürgerschaftliches Engagement erstellt wurde. Im Vorwort der „Geislingen-Studie“, die repräsentativ Meinungen zum Thema Ehrenamt in Baden-Württemberg erhoben hat, heißt es dazu zutreffend: „Wir tun dies nicht aus einer obrigkeitsstaatlichen Haltung heraus, um ein Alibi zu liefern für den Rückzug des Staates aus der sozialen Sicherung, oder um nötige professionelle Arbeit einzusparen. Wir tun dies aus der Überzeugung, dass der Sozialstaat genau so viel wert ist, wie er die Menschen zum Handeln befähigt, sie in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung stärkt und sie dafür gewinnt, sich selbst für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen, die Interessen gerade auch Benachteiligter und Schwächerer zu vertreten und damit dem Gemeinwohl zu dienen.“ 
 
Zum Schluss, möchte ich noch auf einen letzten Punkt hinweisen, der auch mit dem Ort zu tun hat, an dem wir uns befinden – mit der Rätschenmühle. Es geht um die Finanzierung der soziokulturellen Zentren, die eine Komplementärfinanzierung über Stadt und Land erhalten. Nach jahrzehntelanger Unterfinanzierung kommt das Land dieser Verpflichtung wieder nach. Der Kulturhaushalt 2012 soll erhöht, so dass zukünftig die Komplementärfinanzierung auch umgesetzt werden kann. 
 
(Das heißt bei 77 000 Euro städtischem Zuschuss müssten nun 26 000 Euro vom Land kommen). 
 
Sie sehen 2012 wartet viel Arbeit auf uns. Aber es wartet auch ein wichtiger und schöner Grund zum Feiern auf uns – denn in diesem Jahr wird Baden-Württemberg 60 Jahre alt – und ich möchte Sie ganz herzlich dazu einladen aus unserem Landesjubiläum ein Bürger- und Bügerinnen-Fest zu machen 
 
Ich glaube wir können zuversichtlich ins neue Jahr blicken – weil wir alle etwas dafür tun – Frisch also- Mutig ans Werk! 
 
Für dieses Jahr – für die 366 Tage wünsche ich Ihnen viel Glück, Zufriedenheit und stets gute Gesundheit.

zu Berichten von GZ, filstaexpress und Türkiye über den Neujahrsempfang…

 

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