30.12.11 Brief an Kretschmann

Offener Brief an Kretschmann zum neuen Jahr

Publiziert am 30. Dezember 2011 von Matthias von Herrmann

Quelle: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2011/12/30/offener-brief-an-kretschmann-zum-neuen-jahr/ (download 03.01.2012)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

wir wünschen Ihnen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2012. Doch es soll bei den Wünschen nicht bleiben, wir schreiben Ihnen zum Jahreswechsel auch, weil wir mehr von Ihnen erwarten als gute Vorsätze und fromme Wünsche.

In den letzten Monaten und gerade im Vorfeld der Volksabstimmung haben Sie immer wieder geäußert, dass Sie sich von der Bahn nicht erpressen lassen wollen – genau diesen Vorsatz müssen Sie nun der Bahn gegenüber durchsetzen. Dafür sind Sie Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg.

Verhandlungen mit der Bahn sind gewiss kein Sonntagsspaziergang, das ist uns allen bewusst. Gerade deshalb dürfen Sie nicht zulassen, dass die Bahn – einfach nur um Fakten zu schaffen – Bäume und historische Gebäude zerstört. Sie dürfen nicht zulassen, dass die Bahn so die Verhandlungsposition des Landes weiter schwächt, während Bahnchef Grube die Offenlegung der wahren Kosten und tatsächlichen Risiken des Tunnelprojekts Stuttgart 21 verweigert. Die Bahn hat großes Interesse, Tatsachen zu schaffen, solange weder die Finanzierung noch die offenen Fragen zum Schutz des Mineralwassers oder des Artenschutzes geklärt sind. Dieser Aktionismus richtet sich gegen unser aller Interessen, diesen Aktionismus dürfen Sie, Herr Ministerpräsident, nicht protegieren.

Wie Sie selbst gesagt haben, ist es Ihre Aufgabe, verbindlich zu klären, wer die Mehrkosten trägt – bevor die Bahn weitere Tatsachen schafft! Ist der angerichtete Schaden erst einmal groß genug, wird das Land erpressbar sein, dagegen helfen fromme Wünsche nichts. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass nicht das ganze Land unter dem Kannibalen Stuttgart 21 leidet. Bereits jetzt ist bestätigt, dass Stuttgart 21 weder für die Rheintalstrecke, noch für Gäubahn oder Südbahn Geld übrig lässt.

Sie haben für die Interessen des ganzen Landes einzustehen: gegenüber der Bahn, gegenüber dem Bundesverkehrsminister und gegenüber der Bundesregierung. Auch wenn es unangenehm ist, Sie sind gewählt, um sich diesem Konflikt zu stellen, so wie sich Tausende Mutbürger seit Jahren für einen rechtschaffenen Umgang mit öffentlichem Geld und Gut einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Gebhard, Gründer der Parkschützer
Der Parkschützerrat
Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer
Egon Hopfenzitz, ehem. Vorsteher des Stuttgarter Hauptbahnhofs
Sigrid Klausmann-Sittler, Regisseurin
Walter Sittler, Schauspieler
Volker Lösch, Regisseur
Werner Sauerborn, Gewerkschafter gegen Stuttgart 21
Dr. Christoph Engelhardt, Analyst und Mitbegründer von WikiReal
Rudolf Pfleiderer, Bezirksbeirat in Stuttgart-Weilimdorf
Dr. Carola Eckstein, Mathematikerin, Ingenieure 22
Wolfgang Kuebart, Diplomphysiker und Entwicklungsingenieur, Ingenieure 22
Hans Heydemann, Dipl.-Ingenieur, Ingenieure 22
Harald Schorr, Dipl.-Ingenieur, Ingenieure22
Wolfgang Jakubeit, Dipl.-Ingenieur, Ingenieure22
Fridtjof Schmidt-Eisenlohr, Dipl.-Ingenieur, Ingenieure22
Martin Poguntke, Theologe gegen S21
Friedrich Gehring, Pfarrer i.R.

PS: Zwei Hinweise möchten wir Ihnen noch mit ins neue Jahr geben:

  1. Vor gut einem Jahr konnte der damalige Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger den Tunneldurchstich zum Gotthard-Basistunnel mit den Worten feiern: „Heute durchbohren wir [den Berg] und schaffen den längsten Tunnel der Welt, zum Zeitpunkt, wie wir ihn planten, zu den Kosten, wie wir sie rechneten.“ Es ist also durchaus möglich, auch sehr große, sehr komplexe Projekte korrekt zu planen und zu kalkulieren, bevor man ‚mal anfängt, hier etwas einzureißen und dort zu buddeln und Bäume zu fällen‘. Auch die Ingenieure und Planer der deutschen Bahn können das, daran besteht kein Zweifel; zumal der in Stuttgart geplante Tunnelbahnhof ein weitaus kleineres Projekt ist als der Gotthard-Basistunnel.
  2. Um das Tunnelprojekt Stuttgart 21 baulich voranzutreiben, wäre derzeit Folgendes notwendig: Die Fertigstellung des Grundwassermanagements – der Weiterbau ist bis auf weiteres gerichtlich untersagt – und die Tieferlegung des Nesenbachs – der Bau des dafür notwendigen Dükers ist seit weit über einem Jahr im Verzug. Solange das Grundwassermanagement nicht läuft und erprobt ist, kann nichts gebaut werden, wobei unsere Schlossgarten-Bäume im Weg wären. Bis das Grundwassermanagement einsatzbereit und getestet ist, bedarf es noch über ein Jahr, auch ohne den aktuell geltenden Baustopp. Aus technischer Sicht besteht also keine Eile, Bäume zu fällen. Auch für den Bau des Nesenbachdükers muss kein Baum gefällt werden, es bedarf lediglich eines Auftragnehmers, der willens ist, die riskanten Arbeiten knapp über dem Mineralwasser zu übernehmen. Das Grundwassermanagement ist für diese Arbeiten eher hinderlich, schließlich bietet der Wasserdruck des Grundwassers einen gewissen Schutz für das unter starkem Druck stehende Mineralwasser.Die Verzögerung dieser beiden, für S21 essenziellen, Bauabschnitte führt unweigerlich zu einer Verzögerung des Gesamtprojekts. An dieser Verzögerung kann eine voreilige Zerstörung des Schlossgartens oder des Südflügels nichts ändern. Den Nordflügel hat die Bahn bereits vor über einem Jahr ab- und die ihm benachbarten Bäume ausgerissen. Dies sollte Platz schaffen für ein Technikgebäude, mit dessen Bau die Bahn bis heute nicht begonnen hat. Zum jetzigen Zeitpunkt kann das Fällen von Bäumen oder der Abriss historischer Gebäude nur eines bewirken: Eine weitere wüste Brache in der Stuttgarter Innenstadt und damit eine weitere Schwächung von Stadt und Land in den notwendigen Verhandlungen mit der Bahn.

 

zur Antwort von Winfried Kretschmann (pdf)…

 

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