12.02.12 Geißler

Geißler erinnert die Bahn an ihr Versprechen

12.02.2012 Frankfurter Rundschau (Quelle: http://www.fr-online.de/stuttgart-21/stuttgart-21–geissler-erinnert-die-bahn-an-ihr-versprechen- ,4767758,11618232,item,0.html, download 13.02.12)

Die Bahn sollte nicht aus Kostengründen den Kompromiss zu S 21 verwässern, warnt der Schlichter Heiner Geißler. Auch die Grünen warnt er vor gebrochenen Wahlversprechen. Sie sollten nicht denselben Fehler machen wie die Politiker in Frankfurt.

Herr Geißler, vor gut 14 Monaten haben Sie Ihren Schlichterspruch zu Stuttgart 21 verkündet. Hätten Sie sich das sparen können?

Geißler: Nein, wieso? Die Schlichtung war ja Ergebnis des Stuttgarter Bürgeraufstands, sie ist also von den Bürgern erzwungen worden. Die Vereinbarung lautet: Der Bahnhof wird weitergebaut unter den Bedingungen des Schlichterspruchs.

Eine dieser Bedingungen war, dass im Schlossgarten keine gesunden Bäume gefällt werden dürfen. Genau das hat die Bahn aber nun vor. Ist das ein Widerspruch zum Schlichtungsergebnis?

Der Vereinbarung haben alle zugestimmt, von Bahnchef Grube über die Landesregierung bis hin zum Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Sie ist insofern verbindlich. Nun gibt es zwar auch den Rechtsgrundsatz „Ultra posse nemo tenetur“, das heißt: Man kann sich nicht zu etwas Unmöglichem verpflichten, das muss auch die Bahn nicht.

Es kann sein, dass Bäume einer bestimmten Größe und eines bestimmten Alters sinnvollerweise gar nicht mehr verpflanzt werden können, etwa aus botanischen Gründen. Aber klar ist auch: Die Bahn muss alles tun, um die Bestimmungen aus der Schlichtung zu realisieren.

Hat sie das aus Ihrer Sicht?

Das tut sie mit den bisher vorgetragenen Argumenten nicht. Ihre Gründe sind im Wesentlichen nicht faktisch-technischer Natur, sondern finanziell. Aber vorgeschobene Kostengründe können nicht eine Vereinbarung infrage stellen, die ja gerade im Interesse eines friedlichen Verlaufs des Neubaus von beiden Seiten getroffen worden ist.

Die Bahn muss alles tun, damit der Schlichterspruch so weit wie möglich realisiert wird. Da darf sie keine Kostengründe geltend machen. Sie muss bereit sein, auch große Kosten auf sich zu nehmen, die im Übrigen im Rahmen der Gesamtkosten von 4,5 Milliarden Euro keine große Rolle spielen.

Schließen Sie sich der Forderung des grünen OB-Kandidaten für Stuttgart, Fritz Kuhn, an, die Baumfällungen zunächst bis Oktober zu unterlassen?

Ich bin nicht das Echo von irgendwelchen Leuten. Aber ich sage: Die Schlichtung und ihr Ergebnis berühren das demokratische Vertrauen. Die Beteiligten müssen sich darüber im Klaren sein: Auch die Volksabstimmung wurde unter der Bedingung durchgeführt, dass das Ergebnis der Schlichtung realisiert wird.

Das wurde vor der Abstimmung mehrfach so gesagt. Wenn man jetzt davon abkommt, dann ist das so schlimm wie alle Steuerlügen und gebrochenen Wahlversprechen, die sonst in der Politik abgegeben werden. Das reiht sich ein in das gebrochene Versprechen beim Frankfurter Flughafen, wo der Ministerpräsident erst ein Nachtflugverbot zugesagt und nach Baubeginn wieder fallengelassen hat.

So etwas führt nicht nur zu einem Verlust an Vertrauen in die Politik, sondern ist dann in Zukunft wieder die Ursache für erhebliche Auseinandersetzungen, weil die Menschen enttäuscht worden sind. Die Verantwortlichen in Stuttgart müssen sehen, dass sie mit dem Schlichtungsergebnis nicht einfach machen können, was sie wollen.

Sollte man die Baumfällungen kommende Woche also unterlassen?

Man sollte es nicht so machen, wie bisher geplant. Die Bahn darf nur die Bäume fällen, die faktisch-technisch nicht verpflanzt werden können. Die anderen Bäume muss sie verpflanzen. Auch wenn es viel Geld kostet.

Achtet der grüne Ministerpräsident Kretschmann konsequent genug auf die Bedingungen des Schlichterspruchs? Was würden Sie ihm raten?

Wenn die Grünen und Herr Kretschmann nach Schlichtung und Volksabstimmung hinter die Ergebnisse der Schlichtung zurückgehen, dann machen sie etwas Ähnliches wie Steuerlügen oder andere gebrochene Wahlversprechen. Das werden sie bei der nächsten Wahl deutlich zu spüren bekommen.

Wären Sie bereit, für weitere Bauabschnitte der Schnellbahnstrecke Stuttgart-Ulm noch einmal zu schlichten, wie es aus den Reihen von Stuttgart-21-Kritikern vorgeschlagen wurde?

Wenn alle Seiten bereit sind, mache ich das noch einmal, aber nur für Stuttgart.

Der Schlichterspruch wurde damals auch als Signal für mehr Bürgerbeteiligung und, wie Sie es nannten, „unmittelbare Demokratie“ angesehen. Haben sich Ihre Hoffnungen erfüllt?

Es hat große Fortschritte gegeben. Inzwischen wünscht auch der Bundesverkehrsminister eine Bürgerbeteiligung, wie ich sie vorgeschlagen habe, oder auch andere Varianten. Daran führt keine Weg mehr vorbei.

Dass wir die Komplikationen in Stuttgart haben, liegt ja daran, dass die Schlichtung fünf, sechs Jahre oder auch zehn Jahre früher hätte stattfinden müssen. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre der Bahnhof wahrscheinlich jetzt schon fertig.

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