„Wir haben uns gefreut und natürlich gleich zugesagt“ sagen die Vorsitzenden der Göppinger Grünen Fadime Ercik und David Catenazzo zum Angebot ihrer Bundesvorsitzenden Ricarda Lang, den Kreisverband für einen Austausch in lockerer Runde vor Ort zu besuchen. Als die Parteichefin dann ein paar Tage später abends im Kaffeehaus Gutmann eintrifft, wird sie von etwa 60 Mitgliedern erwartet. Obwohl sie an diesem Tag schon einige Termine hinter sich hat, wirkt die Parteivorsitzende hellwach und spricht etwa eine halbe Stunde frei und fokussiert.
Entgegen allen Voraussagen sei Deutschland gut durch den Winter gekommen und unabhängig geworden von russischem Gas, was nicht nur eine politische, sondern eine gemeinsame Leistung gewesen sei. „Die Bürgerinnen und Bürger haben Energie gespart, viele Unternehmen haben ihre Produktion umgestellt, Kommunen haben Unfassbares geleistet, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen ging, einige sogar ihre eigene Wohnung geöffnet“.
Bei den erneuerbaren Energien sei man mit Sonne und Wind auf Bundesebene endlich auf der richtigen Schiene, ebenso mit der Anhebung des Mindestlohns. Als Meilenstein bezeichnet Frau Lang das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, denn die Wirtschaft brauche das moderne Einwanderungsrecht, um dem Personal- und Fachkräftemangel zu begegnen.
„Dennoch kam einiges, was auf den Weg gebracht wurde, bei den Menschen nicht gut an“, so die Politikerin selbstkritisch. Streit und Diskussion müssten am Kabinettstisch stattfinden, die Lösung als gemeinsames Ergebnis nach außen getragen werden, keinesfalls brauche man einen Einheitsbrei, aber es müsse sachlich um gute Lösungen gerungen werden. Grundsätze wie Wahrheit, Anstand und Respekt voreinander müssen Grundpfeiler sein. Ein Zuhörer schaltet sich ein: „Die GroKo hat sich auch permanent gestritten und die Ampel hat mehr Gesetze zuwege gebracht als die Vorgängerregierung in der letzten Legislaturperiode“.
Das Umfragehoch der AfD kann man aus Sicht von Ricarda Lang nicht einfach mit den üblichen Erzählungen, es handle sich beim Rechtspopulismus um ein ostdeutsches Problem oder ein Phänomen der sozial Schwachen, erklären. Dem widersprächen die guten Umfrageergebnisse in Baden-Württemberg, wie auch der AfD-Erfolg in Sonneberg, einem wirtschaftlich eher stärkeren Landkreis.
Besorgniserregend findet sie den Trend, die AfD zu normalisieren, er stehe zudem konträr zu ihrer Entwicklung. Der jüngste Parteitag zeige, dass gerade der rechtsextreme Flügel mit Parolen wie „Die EU muss sterben“ durchmarschiert und das Fundament für Frieden angreift. Das stuft auch der Verfassungsschutz so ein.
Konservative müssten sich hier ihrer Verantwortung stellen. „Wenn Markus Söder bei einer Demonstration gegen das Gebäudeenergiegesetz erklärt, man müsste sich die Demokratie zurückholen impliziert er damit, man lebe nicht in einer Demokratie. Wenn Konservative das Lied der Populisten singen, hören Sie auf selbst bürgerlich zu sein und stärken das Original“.
Um Populismus entgegenzuwirken, muss die Regierung Sicherheit schaffen, um Abstiegsängsten entgegenzuwirken, denn rechts werde laut Frau Lang vor allem dort gewählt – das zeige sich auch international – wo es Unsicherheit und Zukunftsängste gibt und die Menschen das Gefühl haben, es gehe nicht gerecht zu. Große Gerechtigkeitslücken, wie die Erbschafts- und Übergewinnsteuern anzugehen und dabei Streit in der Ampel zu vermeiden, sei besonders herausfordernd.
Für Gerechtigkeit wolle die Regierung bei der Kindergrundsicherung sorgen, denn sie schaffe Sicherheit, Chancengleichheit und gebe Kindern aus prekären Verhältnissen Selbstwertgefühl. 175 Leistungen werden dafür in einer Leistung zusammenführt, digitalisiert und damit entbürokratisiert. Der Behördendschungel führt dazu, dass Hilfe oft nicht ankommt.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage setzt Frau Lang auf Investitionen. Endlich wurde erkannt, dass Klimaschutz und Wohlstand nicht im Widerspruch stehen, stattdessen siedeln sich in Deutschland große Unternehmen dort an, wo es erneuerbare Energien gibt. In den USA werden mit dem Inflation Reduction Act Milliarden investiert, in China in die Elektromobilität. „Im Moment erleben wir ein wirtschaftliches „Race to the top“. Entscheidend ist die Frage, wer es schafft, modernste Technologien wie klimaneutralen Stahl anzusiedeln, die Erneuerbaren am schnellsten auszubauen, sichere Jobs zu schaffen. Bei diesem Rennen muss Deutschland mit durchs Ziel laufen. Mit klassischer Standortsicherung durch einen vorübergehenden Industriestrompreis, der an Standorttreue, Tarifbezahlung und Transformationsplänen gekoppelt ist. Außerdem mit öffentlichen Investitionen, die eine arbeits- und familienfreundliche Infrastruktur schaffen.
Schließlich wendet sich die Parteivorsitzende den Fragen der Mitglieder zu. Etwa der, wie es sein könne, dass es rund um die Windkraft immer noch so viele Mythen und Vorbehalte gebe. Den Ball nimmt Frau Lang auf, um ihn an die Basis zurückzuspielen und zum wiederholten Male an diesem Abend für die politischen Beteiligung vor Ort zu werben: Akzeptanz für Veränderung könne neben der finanziellen Beteiligung an den Gewinnen am besten durch glaubwürdige Akteure vor Ort geschaffen werden. Durch lokale Naturschutzgruppen oder Menschen aus der Nachbarschaft, die man persönlich kennt, denen man vertraut. Diese Multiplikatoren seinen unbezahlbar und könnten oft mehr ausrichten als die Informationskampagnen der Bundesregierung.