Bauernproteste: Zwischen symbolischem Widerstand und gefährlicher Eskalation

Auch bei uns im Stadtteil Holzhausen kann man sie sehen: Gummistiefel an Schnürsenkel vom Ortsschild hängend. Ein stiller Protest vermutlich aus der lokalen Bauernschaft.

Über 600 Kilometer weiter im Norden, im Schleswig-Holsteinischen Schlüttsiel ist der Protest am vergangenen Donnerstagabend weder still noch friedlich. Über 300 Bauern haben sich dort vor dem Fähranleger aufgebaut und wollen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am verlassen der Fähre hindern. Eine kleine Gruppe von 30 Protestlern schlägt völlig über die Stränge und versucht eine Polizeisperre zu durchbrechen und die Fähre zu stürmen. Der Vizekanzler wird in seiner Freizeit von einem pöbelnden Mob bedrängt und eingeschüchtert. Es ist der vorläufige, traurige Höhepunkt der Bauernproteste und der ohnehin aufgeheizten Stimmung im Land. Nüchtern betrachtet wurde ein hochrangiger Politiker persönlich bedroht und glücklicherweise ist ihm durch das umsichtige Handeln der Sicherheitsbehörden nichts passiert.

Das ist nicht nur eine „Grenzüberschreitung“, sondern ein aktives Abwenden von demokratischen Werten.

Dass die Ampelregierung zum Zeitpunkt des Ereignisses einen Teil der Streichungen bereits zurückgenommen hat, interessiert niemanden. Mit Minister Robert Habeck – der sich gegen den Rat seiner Personenschützer der Situation stellt – möchte niemand sprechen. Am Protest teilgenommen und die Situation aufgestachelt haben, wie der SPIEGEL berichtet unter anderem rechte Gruppen, Verschwörungstheoretiker aber auch Parteinen AfD, NPD und der Dritte Weg. An einem sachlichen demokratischen Diskurs ist hier niemand interessiert. Umsturzphantasien machen hier die Runde.

Dass die AfD für den Abbau der öffentlichen Agrarförderung ist, gegen den die Bauern protestieren, scheint  wohl niemandem bewusst. Die Partei nutzt den Unmut in diesem Land erneut auf billige Art und Weise für ihre braunen Machenschaften aus. Im Grundsatzprogramm der Partei liest man:

»mehr Wettbewerb, weniger Subventionen« in der Landwirtschaft. ZIel dieser Partei ist die Abschaffung der demokratichen Grundordnung in Deutschland.

Gewaltfreie friedliche Demonstrationen sind natürlich völlig legitim.

Wie stark einzelne Betriebe unter den Kürzungen der Regierung aber tatsächlich leiden, lässt sich nur schwer sagen. Für Agrarökonom Alfons Balmann, vom Leibniz-Institut indes sind die abgeschwächten geplanten Streichungen »weder für größere noch für kleinere Betriebe existenzgefährdend«. Sollte die angekündigte Kürzung für einzelne Betriebe dennoch die Existenz gefährden, dann müssten bereits ökonomische Schwierigkeiten vorliegen, betont Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Universität Rostock.

Robert Habeck zeigt sich nach dem Vorfall zurecht sehr besorgt: „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt. Ich bedaure, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte. Protestieren in Deutschland ist ein hohes Gut.

Nötigung und Gewalt zerstören dieses Gut.“

Mit Robert Habeck trifft es in diesem Fall den Politiker, der sich am allermeisten um Kommunikation mit der Bevölkerung und Transparenz bemüht hat, und der nie durch Hetze aufgefallen ist. Die Eskalation spiegelt jedoch eine Tendenz im Land wider: „Es kann nicht sein, dass der ganze Hass fortwährend an den Grünen ausgelassen wird. Natürlich sind unsere Ansätze einigen zu unbequem – ja wir müssen wirklich was verändern, wie es ist kann es nicht bleiben – aber die konstruktive Debatte und sachliche Ebene ist schon lange verlassen. Und das merkt man teilweise auch bei privaten Gesprächen: ‚Die Grünen‘ sind der Sündenbock für quasi alles. Mit plakativen Schuldzuweisungen werden keine Probleme gelöst, wir müssen zu einem demokratischen und vor allem faktenorientierten Austausch zurückkehren“, findet unser Co-Vorsitzender Daniel Wagner.

Vielfach wird über die schlimmste Regierung aller Zeiten geschimpft. Oft vergessen wird dabei aber, dass die Vorgängerregierungen vielens verschlafen haben, was die Ampel jetzt ausbaden und nachholen muss. Der Stillstand unter der Regierung Merkel hat einen enormen Investitionsrückstau und eine Bürokratiemauer hinterlassen. Wer nichts tut, kann auch nichts falsch machen. Hinzu kommt, dass sich die Regierung aus SPD, FDP und Grünen mit gleich mehreren akuten Krisen beschäftigen muss, was zu einem alles andere als einfachen Start geführt hat und die Regierung im Besonderen herausfordert.

Ein schwacher Trost kommt dieser Tage durch die Bestürzung über den Vorfall, die sich über alle demokratischen Parteien hinweg breit macht.

Auf der anderen Seite stellt sich hier die Frage, ob nicht etwa manche Parteigliederungen der CDU zu dieser aufgeheizten Stimmung beigetragen:

Die CDU-Fraktion in Sachsen etwa zeigte auf einem Post einen wütenden Bauern, der mit einer Mistgabel droht.

Auf einem anderen Blatt steht dann noch die Art des Protestes den die Bauern teilweise gewählt haben. Straßenblockaden in deutschen Innenstädten von einer ganz anderen Gruppe wurden aufs schärfste kritisiert, bis hin zu Präventivmaßnahmen. Hier sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Einige Bauernverbände haben das erkannt und sich von Blockaden distanziert.

Wir stehen an der Seite von Robert Habeck und unterstützen die mehr als gerechtfertigten Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft Flensburg aufgenommen hat.

OV Uhingen